Produkte von Reihen

 Konvergieren die Reihen n xn und n yn, so stellt sich die Frage nach der Existenz des Reihenprodukts n, m xnym. Wir betrachten hierzu zunächst die Rechteck-Aufzählung g :   2 des Gitters  × :

analysis1-AbbID68

Die ersten Elemente der Rechteck-Aufzählung g(0), g(1), g(2), … sind:

(0, 0), 

(0, 1),  (1, 0),  (1, 1), 

(0, 2),  (1, 2),  (2, 0),  (2, 1),  (2, 2), 

(0, 3),  (1, 3),  (2, 3),  (3, 0),  (3, 1),  (3, 2),  (3, 3),  …

Das ( × )-Gitter wird durch die Aneinanderreihung rechtwinkliger Segmente R(n) ausgeschöpft, deren Spitzen auf der Diagonale von 2 liegen. Diese Segmente sind für alle n  ∈   definiert durch

R(n) =  { (i, n) | i < n }  ∪  { (n, i) | i < n }  ∪  { (n, n) }
=  { (i, k) | max(i, k) = n }  ⊆   × .

Die wichtigste Eigenschaft dieser Aufzählung ist, dass ein Paar (n0, m0) vor einem Paar (n1, m1) durchlaufen wird, falls das Maximum von n0 und m0 kleiner ist als das Maximum von n1 und m1. Wie genau die Segmente R(n) durchlaufen werden spielt im Folgenden keine Rolle. Um konkret zu sein, wählen wir die Aufzählung, die zunächst entlang der Waagrechten (ohne das Diagonalelement (n, n)) und dann entlang der Senkrechten von R(n) bis einschließlich (n, n) verläuft.

 Für die Rechteck-Aufzählung können wir nun leicht zeigen:

Satz (Rechteck-Produkt von Reihen)

Seien n xn und n yn konvergente Reihen in . Für alle n sei

rn  =  (i, j)  ∈  R(n) xi yj  =  i < n xi yn  +  i < n xn yi  +  xn yn.

Dann ist n rn konvergent und es gilt

n rn  =  n xn  ·  n yn.

Konvergieren n xn und n yn absolut, so gilt dies auch für n rn.

Beweis

Mit sn = k ≤ n xk, tn = k ≤ n yk gilt für alle n nach dem endlichen Assoziativ- und Distributivgesetz:

k ≤ n rk  =  i, j ≤ n xi yj  =  sn tn.

Damit erhalten wir nach der Limesregel für das Produkt von Folgen:

n rn  =  limn (sn tn)  =  limn sn  ·  limn tn  =  n xn  ·  n yn.

Der Zusatz folgt analog aus

n |rn|  ≤  limn i, j ≤ n |xi| |yj|  =  n |xn| · n |yn|.

(Die Ungleichung der letzten Beweiszeile ist im Allgemeinen strikt.)

 Die absolute Konvergenz garantiert nun eine beliebige Summation:

Satz (Produkt absolut konvergenter Reihen)

Seien n xn, n yn absolut konvergent. Dann konvergiert n, m xn ym. Weiter gilt

n, m xn ym  =  n xn  ·  n yn.

Beweis

Nach Definition der Konvergenz von Summen über Familien genügt es, eine beliebige Bijektion g :   2 anzugeben mit

(+)  n |xg(n)|  <  ∞  und  n xg(n)  =  n xn · n yn.

Sei hierzu g die Rechteck-Aufzählung von 2. Dann gilt

n |xg(n)|  =  limn i, j ≤ n |xi| |yj|  =  n |xn| · n |yn|  <  ∞.

Bei der ersten Gleichheit verwenden wir ein Einholargument (vgl. das folgende Diagramm; ≤ würde hier genügen). Nach endlicher Blockbildung und dem Satz über das Rechteck-Produkt gilt

n xg(n)  =  n rn  =  n xn  ·  n yn.

s

 Zm Einholargument des Beweises betrachten wir:

analysis1-AbbID66

Sei g :   2 bijektiv. Dann ist jede Menge { g(0), …, g(m) } Teilmenge einer Menge der Form A(n) = { 1, …, n }2. Umgekehrt jedes A(n) Teilmenge einer Menge der Form { g(0), …, g(k) }. Damit gilt:

limn k ≤ n |xg(k)|  ≤  limn i, j ≤ n |xi| |yj|  ≤  limn k ≤ n |xg(k)|,

sodass

n |xg(n)|  =  n |xn| · n |yn|.

 Der Produktsatz ist für bedingt konvergente Reihen im Allgemeinen nicht gültig. Beispiele hierzu werden wir in den Übungen kennenlernen. Das Einholargument für Mengen lässt sich bei negativen Summanden nicht mehr auf die Summen übertragen: Aus „⊆“ folgt im Allgemeinen nicht mehr „≤“ für die zugehörigen Summen.

 Eine hübsche Anwendung des Produktsatzes ist:

Korollar (Produkt zweier geometrischer Reihen)

Seien x, y  ∈  ] − 1, 1 [. Dann gilt

n, m xn ym  =  1(1 − x) (1 − y).

Beweis

Die Reihen n xn und n yn konvergieren absolut gegen

11 − x  bzw.  11 − y.

Damit konvergiert die Produktreihe n, m xn ym gegen (1 − x)−1 (1 − y)−1.

Beispiele

(1)

Für y = x, |x| < 1, ergibt sich

n, m xn + m  =  n, m xn xm  =  1(1 − x)2.

(2)

Für y = −x, |x| < 1, erhalten wir

n, m (−1)m xn + m  =  1(1 − x) (1 + x)  =  11 − x2  =  n (x2)n  =  n x2 n.

(3)

1  +  12  +  14  +  15  +  18  +  110  +  116  +  120  +  …

 =  n, m 12n 5m  =  11 − 1/2 11 − 1/5  =  2 · 54  =  52.

 Der Produktsatz lässt sich durch Induktion auf endlich viele absolut konvergente Reihen verallgemeinern. Wir erhalten dann:

Korollar (Produkt endlich vieler geometrischer Reihen)

Sei k ≥ 1, und seien x1, …, xk  ∈  ] −1, 1 [. Dann gilt:

n1, …, nk x1n1 · … · xknk  =  1(1 − x1) · … · (1 − xk).

Damit gilt zum Beispiel

n, m, k xn + m + k  =  (1 − x)−3  für alle x mit |x| < 1.

 Interessant ist, dass sich aus diesem Korollar die Unendlichkeit der Menge der Primzahlen herleiten lässt:

Satz (Unendlichkeit der Primzahlen)

Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Beweis

Seien p1 < … < pk Primzahlen. Dann gilt (mit xi = 1/pi für i = 1, …, k im Korollar oben):

(+)  n1, …, nk 1p1n1··pknk  =  1(1 − 1/p1) · … · (1 − 1/pk)  <  ∞.

Auf der linken Seite werden alle Brüche 1/n aufsummiert, deren Nenner aus den Primfaktoren p1, …, pk zusammengesetzt ist. Da die harmonische Reihe divergiert, gibt es ein n derart, dass 1/n kein Summand der linken Reihe ist. Dann besitzt n einen Primfaktor p* mit p* ≠ p1, …, pk. Dies zeigt, dass es unendlich viele Primzahlen gibt.

 Sicher ist dieser Beweis komplizierter als der Beweis bei Euklid:

Beweis von Euklid

Seien p1, …, pk Primzahlen. Wir setzen

n  =  p1 · … · pk  +  1.

Dann hat n den Rest 1 bei Division durch p1 (denn es gilt n = p1 d + 1 mit d = p2 … pk), sodass n nicht durch p1 teilbar ist. Analoges gilt für p2, …, pk. Also ist jeder Primteiler p* von n verschieden von p1, …, pk.

 In das neue analytische Argument gehen die Divergenz der harmonischen Reihe und der Produktsatz für absolut konvergente Reihen ein. Aber dennoch wird der Beweis von vielen Mathematikern als Praline empfunden. Er deutet den „magischen“ Zusammenhang zwischen der Welt der Primzahlen und der Welt der Riemannschen Zeta-Funktion n ≥ 1  1/ns an. Mit Hilfe von (+) kann die Eulersche Produktdarstellung der Zeta-Funktion bewiesen werden (vgl. den Ausblick im vorangehenden Kapitel).