Der Identitätssatz für stetige Funktionen
Die Approximierbarkeit jeder reellen Zahl durch eine Folge rationaler Zahlen führt dazu, dass eine stetige Funktion auf ℝ durch ihre Werte auf ℚ bereits eindeutig bestimmt ist. Allgemeiner gilt:
Satz (Identitätssatz für stetige Funktionen auf ℝ)
Seien f, g : P → ℝ stetig. Weiter sei Q ⊆ P mit:
(a) | f (q) = g(q) für alle q ∈ Q. |
(b) | Für alle p ∈ P existiert eine Folge (qn)n ∈ ℕ in Q mit limn qn = p. |
Dann gilt f = g.
Beweis
Sei p ∈ P. Nach (b) existiert eine gegen p konvergente Folge (qn)n ∈ ℕ in Q. Da f und g auf Q übereinstimmen, gilt aufgrund der Stetigkeit von f und g:
f (p) = limn f (qn) = limn g(qn) = g(p).
Da ℚ die Voraussetzung (b) des Satzes für den Fall P = ℝ erfüllt, gilt:
Korollar (Bestimmtheit stetiger Funktionen durch ihre Werte auf ℚ)
Seien f, g : ℝ → ℝ stetig, und für alle q ∈ ℚ gelte f (q) = g(q). Dann ist f = g.
Als Anwendung zeigen wir, dass die Exponentialfunktion durch ihre Stetigkeit, das Additionstheorem und ihren Wert an der Stelle 1 eindeutig bestimmt ist:
Korollar (Charakterisierung der Exponentialfunktion)
Sei f : ℝ → ℝ eine im Nullpunkt stetige Funktion mit den Eigenschaften:
(a) | f (1) = e, |
(b) | f(x + y) = f (x) f (y) für alle x, y ∈ ℝ. |
Dann gilt f = exp.
Beweis
Aus der Stetigkeit von f bei 0, f (1) ≠ 0 und (b) folgt, dass f stetig ist und dass f (q) = f (1)q für alle q ∈ ℚ (Übung). Wegen f (1) = exp(1) gilt also f (q) = exp(1)q = exp(q) für alle q ∈ ℚ. Da die Funktionen f und exp stetig sind, gilt f (x) = exp(x) für alle x ∈ ℝ.
Wir werden später eine Exponentiation expa(x) = ax für alle a > 0 und x ∈ ℝ einführen. Für eine feste Basis a ist expa : ℝ → ℝ stetig und durch die Eigenschaften „expa(1) = a, expa(x + y) = expa(x) expa(y) für alle x, y ∈ ℝ“ charakterisiert.