Ausblick: Feinanalyse der gleichmäßigen Stetigkeit
Wir untersuchen den Begriff der gleichmäßigen Stetigkeit noch genauer. Hierzu definieren wir für jedes f eine Funktion σf, die angibt, wie weit f zwei Punkte in Abhängigkeit von ihrem Abstand voneinander entfernen kann.
Definition (Stetigkeitsmodul einer Funktion)
Sei f : P → ℝ. Dann definieren wir σf : [ 0, ∞ [ → [ 0, ∞ ] durch
σf(δ) = supx, y ∈ P, |x − y| ≤ δ |f (x) − f (y)| für alle δ > 0,
σf(0) = infδ > 0 σf(δ).
Die Funktion σf heißt der Stetigkeitsmodul von f.
Aus der Definition folgt leicht:
Satz (Eigenschaften des Stetigkeitsmoduls)
Sei f : P → ℝ. Dann gilt:
(a) | |f (x) − f (y)| ≤ σf(|x − y|) für alle x, y ∈ P. |
(b) | σf : [ 0, ∞ [ → [ 0, ∞ ] ist monoton steigend. |
(c) | f ist genau dann gleichmäßig stetig, wenn σf(0) = 0. |
(d) | f ist genau dann Lipschitz-stetig mit der Konstanten L ≥ 0, wenn σf(δ) ≤ L δ für alle δ > 0. |
Der Fall „σf(0) > 0“ kann für stetige und unstetige Funktionen eintreten:
Beispiele
(1) | Sei f : [ 0, 1 ] → ℝ die Funktion mit f (x) = 0 für x ∈ [ 0, 1/2 ] und f (x) = 1 für x ∈ ] 1/2, 1 ]. Dann gilt σf(δ) = 1 für alle δ ≥ 0. |
(2) | Sei f : [ 0, 1 ] → [ 0, 1 ] eine stetige Funktion mit f(1/(2n − 1)) = 1, f (1/(2n)) = 0 für alle n ≥ 1. Dann gilt σf(δ) = 1 für alle δ ≥ 0. |
Für die Komposition gilt:
Satz (Stetigkeitsmodul einer Komposition)
Seien f : P → ℝ, g : Q → ℝ mit f[ P ] ⊆ Q. Dann gilt σg ∘ f ≤ σg ∘ σf.
Insbesondere ist die Komposition gleichmäßig stetiger Funktionen gleichmäßig stetig.
Beweis
Sei δ > 0, und seien x, y ∈ P mit |x − y| ≤ δ. Dann gilt nach (a) und (b) im vorangehenden Satz, dass
|g(f (x)) − g(f (y))| ≤ σg(|f (x) − f (y)|) ≤ σg(σf(δ)).
Dies zeigt, dass σg ∘ f(δ) ≤ σg(σf(δ)). Der Zusatz folgt aus Eigenschaft (c).
Wir betrachten nun noch eine Variation der gleichmäßigen Stetigkeit, die in der Integrationstheorie eine Rolle spielt. Ist f : P → ℝ gleichmäßig stetig, so existiert für alle ε > 0 ein δ > 0, sodass für alle Punkte x < y in P gilt:
y − x < δ → |f (y) − f (x)| < ε.
Eine Verstärkung dieser Stetigkeitsaussage erhalten wir, wenn wir statt eines Punktepaars endlich viele Punktepaare zulassen:
Definition (absolutstetig)
Eine Funktion f : P → ℝ heißt absolutstetig, falls für alle ε > 0 ein δ > 0 existiert, sodass für alle n und alle x1 < y1 < x2 < y2 < … < xn < yn in P gilt:
∑1 ≤ k ≤ n (yk − xk) < δ → ∑1 ≤ k ≤ n|f (yk) − f (xk)| < ε.
Die Absolutstetigkeit ist offenbar eine Verstärkung der gleichmäßigen Stetigkeit. Andererseits gilt wieder:
Satz (Lipschitz-Stetigkeit impliziert Absolutstetigkeit)
Sei f : P → ℝ Lipschitz-stetig. Dann ist f absolutstetig.
Beweis
Sei L > 0 eine Lipschitz-Konstante für f. Zum Beweis der Absolutstetigkeit von f sei ε > 0 beliebig. Wir setzen δ = ε/L. Dann gilt für alle Punkte x1 < y1 < … < xn < yn in P mit ∑1 ≤ k ≤ n |yk − xk| < δ:
∑1 ≤ k ≤ n |f (yk) − f (xk)| ≤ L ∑1 ≤ k ≤ n |yk − xk| < L δ = ε.
Damit haben wir die Implikationen:
f Lipschitz-stetig ↷ f absolutstetig ↷ f gleichmäßig stetig.
Die Abstufungen sind echt: Die Quadratwurzelfunktion auf [ 0, 1 ] ist absolutstetig, aber nicht Lipschitz-stetig, und g auf [ 0, 1 ] mit g(x) = x f (x) mit f wie in Beispiel (2) oben ist gleichmäßig stetig, aber nicht absolutstetig.
Verzichtet man in der Definition der Absolutstetigkeit auf die Ordnungsbedingung an die Punkte xk und yk, so ist der entstehende Begriff äquivalent zur Lipschitz-Stetigkeit. Wir diskutieren dies in den Übungen.