Die Stetigkeitsformulierung der Differenzierbarkeit

 Folgende bedeutsame Variante des Approximationssatzes verwendet eine stetige „Verzerrung“ einer Geraden anstelle der Tangente (Beweis als Übung):

Satz (Stetigkeitsformulierung, linearer Approximationssatz II)

Sei f : P  , und sei p  ∈  P ein Häufungspunkt von P. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:

(a)

f ist differenzierbar in p.

(b)

Es gibt eine in p stetige Funktion s : P   mit

f (x)  =  f (p)  +  s(x) (x − p)  für alle x  ∈  P.

In diesem Fall gilt dann s(p) = f ′(p) mit s wie in (b).

 In der Formulierung (b) kommt keine Division vor. Die Differenzierbarkeit wird auf den Stetigkeitsbegriff zurückgeführt. Liegt x hinreichend nahe bei p, so liegt s(x) nahe bei s(p), sodass f (x) ∼ f (p) + s(p) (x − p).

 Die Funktion s ist eine Fortsetzung der oben betrachteten Sekantensteigungsfunktion von f an der Stelle p: Es gilt s(x) = (f (x) − f (p))/(x − p) für alle x ≠ p. Diese Darstellung zeigt, dass s eindeutig bestimmt ist, denn eine stetige Fortsetzung der Sekantensteigungsfunktion ist, wenn sie existiert, eindeutig. Ist die Funktion f stetig, so ist auch s stetig (in allen Punkten von P, nicht nur in p).

Beispiele

(1)

Sei sq :    die Quadratfunktion mit sq(x) = x2 für alle x  ∈  . Weiter sei p  ∈  . Nach der zweiten binomischen Formel gilt

x2  =  p2  +  (x + p)(x − p)  für alle x  ∈  .

Die Funktion s :    mit s(x) = x + p für alle x ist stetig. Damit gilt

sq′(p)  =  p + p  =  2p.

(2)

Wir betrachten die Betragsfunktion abs :    und den Nullpunkt p = 0. Es gilt

abs(x)  =  sgn(x) x  =  abs(0)  +  sgn(x) (x − 0)  für alle x  ∈  .

Die Signumsfunktion sgn :    lässt sich an der Stelle 0 nicht so abändern, dass dadurch eine dort stetige Funktion entsteht. Damit ist die Betragsfunktion im Nullpunkt nicht differenzierbar.

(3)

In einer Darstellung f (x) = f (p) + s(x) (x − p) ist der Wert s(p) wegen p − p = 0 frei wählbar; s(p) wird erst durch die Stetigkeitsforderung eindeutig.