Monotonie und Ableitung

 Hinreichende Bedingungen für lokale Extrema erhalten wir aus dem in der Ableitung kodierter Monotonieverhalten einer Funktion. Wir vereinbaren:

Konvention: I für Intervall

Im Folgenden sei I immer ein nichttriviales reelles Intervall gleich welches Typs. Nichttrivial bedeutet, dass I unendlich viele Punkte enthält, d. h. I ist weder leer noch einpunktig.

Satz (Vorzeichen der Ableitung und Monotonie der Funktion, Monotoniesatz)

Sei f : I   differenzierbar. Dann gilt:

(a)

f ′  ≥  0  genau dann, wenn  f ist monoton steigend.

(b)

f ′  ≤  0  genau dann, wenn  f ist monoton fallend.

(c)

f ′  >  0  impliziert  f ist streng monoton steigend.

(d)

f ′  <  0  impliziert  f ist streng monoton fallend.

Beweis

zu (a):  Sei zunächst f ′ ≥ 0, und seien x < y zwei Punkte in I. Nach dem Mittelwertsatz existiert ein p  ∈  ] x, y [ mit

f ′(p)  =  f (y)  −  f (x)y  −  x.

Wegen f ′(p) ≥ 0 gilt

f (y)  −  f (x)  =  f ′(p) (y − x)  ≥  0.

Dies zeigt, dass f monoton steigend in I ist.

Sei nun umgekehrt f monoton steigend in I, und sei p  ∈  I. Dann gilt:

(+)  f ′(p)  =  lim p f (x)  −  f (p)x  −  p   ≥  0.

Denn jeder Differenzenquotient in (+) ist aufgrund des monotonen Wachstums von f größergleich 0 (da er entweder gleich 0 ist oder die Vorzeichen von Zähler und Nenner übereinstimmen).

zu (c):  Wie im Beweis der Implikation von links nach rechts in (a) mit

f (y)  −  f (x)  =  f ′(p) (y − x)  >  0.

zu (b) und (d):  Analog zu (a) bzw. (c) (oder durch Übergang zu −f).

 Dass der Definitionsbereich der Funktion ein Intervall ist, wird nur in den Implikationen von links nach rechts verwendet. Hier ist die Voraussetzung auch wesentlich:

Beispiel

Die Hyperbel f :   mit f (x) = 1/x ist auf * nicht monoton, hat aber eine Ableitung f ′ mit f ′(x) = − 1/x2 < 0 für alle x ≠ 0.

Eine Verstärkung des Monotoniesatzes

 Die Umkehrungen der Implikationen in (c) und (d) gelten im Allgemeinen nicht, denn eine streng monotone Funktion kann Nullstellen in ihrer Ableitung aufweisen:

Beispiel

Die Funktion f :    mit f (x) = x3 für alle x  ∈   ist streng monoton. Es gilt f ′(x) = 3x2 und speziell f ′(0) = 0. Damit gilt non(f ′ > 0).

 Ist f streng monoton, so sind die Differenzenquotienten in (+) im Beweis von Null verschieden. Die Grenzwertbildung „lim p“ kann aber 0 ergeben.

 Der Monotoniesatz lässt sich aber so modifizieren, dass überall Äquivalenzen gelten. Wir definieren hierzu allgemein:

Definition (lokal konstant)

Sei f : P  , und sei p  ∈  P. Dann heißt f lokal konstant an der Stelle p mit Wert f (p), falls f (x) = f (p) links und rechts von p.

 Dass f : P   lokal konstant gleich c an der Stelle p  ∈  P ist, bedeutet:

∃ε > 0 ∀x  ∈ ] p − ε, p + ε [ ∩ P  f (x)  =  c.

Beispiele

(1)

Die Vorzeichenfunktion sgn :    ist lokal konstant gleich 1 an jeder Stelle p > 0 und lokal konstant gleich −1 an allen Stellen p < 0. An der Stelle 0 ist sie nicht lokal konstant.

(2)

Jedes Polynom f mit deg(f) ≥ 1 ist nirgendwo lokal konstant.

 Damit können wir eine abgeschwächte Positivität und Negativität für Funktionen einführen:

Definition (quasipositiv, quasinegativ)

Sei f : P  . Dann heißt f quasipositiv, in Zeichen f ≥* 0, falls gilt:

f  ≥  0  und  f ist an keiner Stelle p  ∈  P lokal konstant gleich 0.

Analog sind quasinegativ und f <* 0 definiert.

 Es gelten die Implikationen

f  >  0    f  >*  0    f  ≥  0.

Erweiterung zu einer partiellen Ordnung

Allgemeiner können wir für f, g : P   definieren:

f  >*  g,  falls  f − g  >*  0.

Die Relation >* ist irreflexiv und transitiv, also eine partielle Ordnung (vom strikten Typ). Analoges gilt für f <* g.

 Ist f : I  , so lassen wir in f >* 0 und f <* 0 Nullstellen zu, verlangen aber, dass f die x-Achse gleich wieder verlässt. Auf Intervallen gilt f >* 0 genau dann, wenn f ≥ 0 und f auf keinem nichttrivialen Teilintervall J von I konstant gleich 0 ist.

Beispiele

(1)

Hat f : I   höchstens endlich viele Nullstellen, so sind „f ≥ 0“ und „f >* 0“ äquivalent. Analoges gilt für ≤*.

(2)

Die Funktion f :    mit f (x) = sin(x) + 1 hat unendlich viele Nullstellen, ist aber quasipositiv. Das Gleiche gilt für g :    mit g(x) = sin(1/x) + 1 für x ≠ 0 und g(0) = 0. Die Funktion g hat in jedem Intervall Uε(0) unendlich viele Nullstellen.

(3)

Ist f : P   an keiner Stelle p  ∈  P lokal konstant gleich 0, so ist |f| quasipositiv.

 Mit diesen Begriffsbildungen können wir den Monotoniesatz verstärken (und verschönern):

Satz (Monotoniesatz, Ergänzung)

Sei f : I   differenzierbar. Dann gilt:

(c)′  f ′  >*  0  genau dann, wenn  f ist streng monoton steigend.

(d)′  f ′  <*  0  genau dann, wenn  f ist streng monoton fallend.

 Der Beweis sei dem Leser zur Übung überlassen.

 Die Ergebnisse sind ein Paradebeispiel für die Analyse einer Funktion mit Hilfe ihrer Ableitung:

Das Vorzeichen der Ableitung entspricht der Monotonie der Funktion.

Im nächsten Kapitel werden wir einen analogen Satz beweisen, der die Monotonie der ersten Ableitung (und damit das Vorzeichen der zweiten Ableitung) mit der Krümmung der Funktion verbindet.