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Aneignung des Grenzwertbegriffs
Durch die Einführung des exakten Grenzwertbegriffs für Folgen reeller und komplexer Zahlen haben wir die Grundlage für den Aufbau der Differential- und Integralrechnung geschaffen. Unendliche Summen, stetige Funktionen, Ableitungen und Integrale können in der ε-Sprache der Grenzwerte definiert und untersucht werden. Die Präzisierung des Grenzwertbegriffs darf, wenn man auf die Theorien blickt, die auf diesem Fundament ruhen, als mathematischer Triumph bezeichnet werden. Zu diesen gehören neben der reellen Analysis die Funktionentheorie, die Theorie der Differentialgleichungen, die Funktionalanalysis und die Maß- und Wahrscheinlichkeitstheorie.
Exakte und allgemeine Grundbegriffe sind in der Mathematik unerlässlich, weil wir hoch hinaus und uns dabei nicht in Widersprüche verwickeln wollen. Sie stellen aber für den Anfänger, der Anschauung und Formalisierung oft noch nicht unterscheiden und sicher ineinander übersetzen kann, auch Hürden dar. Man weiß „eigentlich“, was ein Grenzwert und ein Häufungspunkt ist, kann aber mit den Definitionen nicht richtig umgehen, und es fällt schwer, auch kleine Beweise selbst zu führen und aufzuschreiben. Die Entwicklung korrekter und „definitionsbewusster“ Anschauungen kann helfen, sich mit den Definitionen anzufreunden, und solche Anschauungen fördern dann auch die formale Beherrschung der Begriffe. Die folgenden Übungen zur Grenzwerttheorie möchten dazu anregen.
Ergänzungsübung 1
Diskutieren Sie mathematische und physikalische Situationen, die zur Definition von Folgen in { 0, 1 }, ℕ, ℝ und ℂ Anlass geben.
Ergänzungsübung 2
Zeichnen Sie Diagramme für Folgen in ℝ und in ℂ. Stellen Sie dabei Folgen in ℝ sowohl linear als auch funktional dar und erläutern Sie die Konvergenzbedingungen für diese Folgentypen und ihre Grenzwerte.
Geben Sie weiter Beispiele für konvergente Folgen in ℝ, die weder monoton sind noch pendeln.
Ergänzungsübung 3
Wir betrachten die allgemeine Konvergenzbedingung, die Cauchy-Bedingung und die Negationen dieser beiden Bedingungen.
(a) | Formulieren Sie die vier Bedingungen mit Hilfe der Sprechweisen „fast alle“ (d. h. „alle bis auf endlich viele“) und „unendlich oft“. |
(b) | Visualisieren Sie die vier Bedingungen mit Hilfe von Diagrammen. |
Ergänzungsübung 4
Erläutern Sie mit Hilfe von Diagrammen und Beispielen die Begriffe „Häufungspunkt einer Folge“, „Häufungspunkt einer Menge“ und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Begriffe.
Ergänzungsübung 5
Präzisieren und begründen Sie die folgende Aussage für Folgen oder für Mengen:
„Ein Häufungspunkt von Häufungspunkten ist ein Häufungspunkt.“
Ergänzungsübung 6
Geben Sie eine anschauliche und durch Diagramme unterstützte Zusammenfassung des Beweises des Satzes von Bolzano-Weierstraß. Beschreiben Sie dabei die Konstruktion der konvergenten Teilfolge informal, aber dennoch möglichst genau.
Ergänzungsübung 7
Zeichnen Sie Diagramme zur Visualisierung des Limes Superior und des Limes Inferior einer Folge in ℝ. Erläutern Sie anhand Ihrer Diagramme den Zusammenhang zwischen liminfn xn, limn xn und limsupn xn.
Ergänzungsübung 8
Betrachten Sie eine Kugel, die auf dem Nullpunkt der Ebene ℝ2 liegt. Bilden Sie die Punkte der Kugeloberfläche auf die Punkte der Ebene mit Hilfe von Geradenstücken ab, die im Nordpol der Kugel beginnen und auf der Ebene enden (stereographische Projektion). Betrachten Sie nun Folgen in ℂ, die uneigentlich gegen ∞ konvergieren. Durch welche Bedingung sind die zugehörigen Folgen auf der Kugeloberfläche gekennzeichnet? Wie lautet ein Analogon dieses Modells für ℝ? Wie kann man mit diesem Modell die uneigentliche Konvergenz gegen ∞ (= +∞) bzw. −∞ in ℝ erläutern?
Ergänzungsübung 9
Recherchieren Sie die „Paradoxie von Zenon“ über Achill und die Schildkröte. Formulieren Sie die Paradoxie und geben Sie eine Antwort auf die aufgeworfenen Fragen mit Hilfe des Grenzwertbegriffs.