Elementare Eigenschaften des Integrals
Folgende Eigenschaften sind ständig im Einsatz:
Satz (elementare Eigenschaften des Integrals)
Sei [ a, b ] ⊆ ℝ. Dann gilt für alle integrierbaren Funktionen f, g : [ a, b ] → ℝ, alle α, β ∈ ℝ und alle s, t ∈ [ a, b ] :
(a) | ∫ba1 dx = b − a, (Normiertheit) |
(b) | ∫baα f (x) + β g(x) dx = α ∫baf (x) dx + β ∫bag(x) dx, (Linearität) |
(c) | ∫baf (x) dx ≤ ∫bag(x) dx, falls f ≤ g, (Monotonie) |
(d) | ∫tsf (x) dx existiert, (Einschränkung) |
(e) | ∫baf (x) dx = ∫saf (x) dx + ∫bsf (x) dx. (Aufspaltung) |
Beweis
zu (a): Ist f : [ a, b ] → ℝ die konstante Funktion mit f (x) = 1 für alle x ∈ [ a, b ], so gilt für jede Partition p = (tk, xk)k ≤ n von [ a, b ]:
∑p f = ∑k ≤ n f (xk) (tk + 1 − tk) = ∑k ≤ n (tk + 1 − tk) = tn + 1 − t0 = b − a.
Damit ist das Integrierbarkeitskriterium für c = b − a erfüllt, da |∑pf − c| = 0 für alle Partitionen p gilt.
zu (b): Seien also f, g integrierbar und α, β ∈ ℝ. Wir setzen
c = I(f), d = I(g), h = α f + β g.
Wir zeigen, dass die Integrierbarkeitsbedingung für h für den Wert α c + β d erfüllt ist, sodass also I(h) = α c + β d. Dabei verwenden wir, dass für jede Partition p = (tk, xk)k ≤ n von [ a, b ] gilt:
(+) ∑p h = ∑p(α f + β g) = α ∑p f + β ∑p g.
Sei nun also ε > 0. Aufgrund der Integrierbarkeit von f und g existiert ein δ > 0, sodass für jede δ-Partition von [ a, b ] gilt:
|α| | ∑p f − c | < ε2, |β| | ∑p g − d | < ε2.
Dann gilt aber für jede δ-Partition p von [ a, b ] nach (+) und der Dreiecksungleichung, dass
| ∑p h − (α c + βd) | = | α ∑p f − α c + β ∑p g − βd |
≤ |α| | ∑p f − c | + |β| | ∑p g − d | ≤ ε2 + ε2 = ε.
zu (c), (d), (e):
Übung.
Die Eigenschaft (b) beinhaltet die Integrierbarkeit der Funktion α f + β g für integrierbare Funktionen f und g und reelle Zahlen α, β. Die integrierbaren Funktionen auf [ a, b ] bilden damit einen Unterraum V des ℝ-Vektorraums aller reellen Funktionen auf [ a, b ] und I : V → ℝ ist ein lineares Funktional auf diesem Unterraum. Im vierten Abschnitt werden wir mit Hilfe von Integralen ein Skalarprodukt und damit eine geometrische Struktur auf diesem Unterraum einführen.
Der Beweis der Linearität des Integrals lässt sich kurz so zusammenfassen:
Die endlichen Riemann-Summen vererben die Linearität auf das Integral.
Der relativ einfache Beweis der Linearität ist eine Stärke des Ansatzes, Flächen mit Hilfe von Riemann-Summen zu messen. Bei Ausschöpfungsverfahren ist diese Eigenschaft schwieriger zu beweisen. Wir kommen im nächsten Kapitel bei der Diskussion des Jordan-Inhalts darauf noch zurück. Eine anschauliche Interpretation der Linearität besprechen wir in den Ergänzungen E1.
Für die Monotonie gilt wie für die Linearität: ≤ überträgt sich von den Riemann-Summen auf das Integral. Während bei Grenzübergängen die strenge Monotonie oft verloren geht (1/n > 0 für alle n ≥ 1, aber limn ≥ 1 1/n = 0), bleibt beim Integral die Kleiner-Relation erhalten: Ist f < g, so ist I(f) < I(g). Einen Beweis hierfür geben wir in 2.1 mit Hilfe des Baireschen Kategoriensatzes.
Eine wichtige Stabilitätseigenschaft des Integrals ist:
Satz (Änderung an endlich vielen Stellen)
Sei f : [ a, b ] → ℝ integrierbar. Weiter sei g : [ a, b ] → ℝ derart, dass
E = { x ∈ [ a, b ] | f (x) ≠ g(x) }
endlich ist. Dann ist g integrierbar, und es gilt I(f) = I(g).
Das Integral ist also unempfindlich gegenüber einer endlichen Werteveränderung. Insbesondere ist das Integral für jede Funktion, die nur an endlich vielen Stellen von 0 verschieden ist, gleich 0. Wir werden später sehen, dass der Satz im Allgemeinen nicht mehr gültig ist, wenn sich die Funktion g an abzählbar vielen Stellen von der Nullfunktion unterscheidet. Die Integrierbarkeit von g kann dann verletzt sein.