Topologische Räume

 Wir haben für das Linearkontinuum und dann allgemeiner für die metrischen Räume gesehen, wie die offenen Mengen eine komplexe Welt erzeugen, in der sich Teilmengen von Räumen und stetige Funktionen zwischen Räumen untersuchen lassen. Da sich „Umgebung, abgeschlossene Menge, Häufungspunkt …“ aus den offenen Mengen ergeben, genügt es, zu erklären, welche Teilmengen einer Menge offen sein sollen, um aus der Menge einen abstrakten Raum zu machen, in dem all diese Begriffe definiert sind. Hierzu muss keine Metrik herangezogen werden. Die Abgeschlossenheitseigenschaften der offenen Mengen können an die Spitze treten:

Definition (topologischer Raum)

Sei X eine Menge, und sei 𝒰 ⊆ (X). Dann heißt (X, 𝒰) ein topologischer Raum und 𝒰 eine Topologie auf X, falls gilt:

(a)

∅  ∈  𝒰 und X  ∈  𝒰.

(b)

Für alle 𝒱 ⊆ 𝒰 ist ⋃𝒱  ∈  𝒰.

(c)

Für alle endlichen 𝒱 ⊆ 𝒰 ist ⋂ 𝒱  ∈  𝒰.

Die Elemente von 𝒰 heißen offen.

 Eine Topologie auf einer Menge X einführen heißt also, gewisse Teilmengen von X als offen zu erklären. Es müssen lediglich die drei Eigenschaften der Definition gelten. Sie sind zum Beispiel für 𝒰 = { ∅, X } und für 𝒰 = (X) erfüllt. Im ersten Fall sind nur ∅ und X offen, im zweiten Fall ist jede Teilmenge von X offen. Allgemein lässt sich eine Topologie durch Vorgabe eines beliebigen Mengensystems einführen:

Satz (Erzeugung einer Topologie)

Sei X eine Menge, und sei 𝒮 ⊆ (X). Weiter seien

 =  { S1 ∩ … ∩ Sn | S1, …, Sn  ∈  𝒮, n ≥ 0 }  (mit ⋂ ∅ = X für n = 0),

𝒰  =  { ⋃ 𝒱 | 𝒱 ⊆  }.

Dann ist 𝒰 eine Topologie auf X. Genauer ist 𝒰 die kleinste Topologie auf X, die 𝒮 enthält, d. h., ist 𝒯 eine Topologie auf X mit 𝒮 ⊆ 𝒯, so ist 𝒰 ⊆ 𝒯.

 Wir definieren:

Definition (erzeugte Topologie)

Ist X eine Menge, 𝒮 ⊆ (X) und 𝒰 wie im Satz, so heißt 𝒰 die von 𝒮 erzeugte Topologie auf X.

 Die Erzeugung des topologischen Raumes (X, 𝒰) mit Hilfe eines beliebigen Systems 𝒮 von Teilmengen von X geschieht also in zwei Schritten: Zuerst bilden wir die Menge  aller Durchschnitte von endlich vielen Mengen in 𝒮. Dann bilden wir die Menge 𝒰 aller Vereinigungen von Mengen in . Diese Vereinigungen können endlich, abzählbar unendlich oder überabzählbar sein.

 Für viele Systeme 𝒮 genügt der zweite Schritt. Ist nämlich 𝒮 abgeschlossen unter endlichen nichtleeren Durchschnitten positiver Länge und gilt X = ⋃ 𝒮, so ist die von 𝒮 erzeugte Topologie 𝒰 einfach die Menge aller Vereinigungen von Mengen in 𝒮:

𝒰  =  { ⋃ 𝒱 | 𝒱 ⊆ 𝒮 ∪ { ∅, X } }  =  { ⋃ 𝒱 | 𝒱 ⊆ 𝒮 }.

 Neben dieser mengentheoretischen Konstruktion ist die Konstruktion mit Hilfe von metrischen Räumen besonders bedeutsam:

Definition (von einer Metrik erzeugte Topologie)

Sei (X, d) ein metrischer Raum, und sei

𝒰  =  { U ⊆ X | U ist offen in (X, d) }.

Dann heißt 𝒰 die von der Metrik d erzeugte Topologie auf X.

Die von einer Metrik d erzeugte Topologie 𝒰 ist die von

𝒮  =  { Udε(x) | x  ∈  X,  ε > 0 }  ⊆  (X)

erzeugte Topologie auf X. Der Frage, ob die Topologie 𝒰 eines vorliegenden topologischen Raumes (X, 𝒰) von einer Metrik stammt, gehen wir später nach.

 Viele Begriffe, die wir für metrische Räume eingeführt haben, wurden mit Hilfe der offenen Mengen definiert oder lassen sich auf offene Mengen zurückführen. Wir können sie deswegen für topologische Räume übernehmen:

Übertragung der Begriffe

Ist (X, 𝒰) ein topologischer Raum, so sind die folgenden Begriffe wie für metrische Räume definiert:

Umgebung, abgeschlossene Menge, Häufungspunkt, Inneres, Abschluss,

Rand, Fσ- und Gδ-Menge, Zusammenhang, dicht, separabel, Basis.

 Genuin metrische Begriffe wie

Abstand, Durchmesser, Cauchy-Folge, Vollständigkeit

stehen dagegen im Allgemeinen nicht zur Verfügung. Eine topologische Formulierung des Limesbegriffs für Folgen besprechen wir unten.

 Ist (X, 𝒰) ein topologischer Raum, so ist ein  ⊆ 𝒰 nach Definition genau dann eine Basis, wenn jede offene Menge eine Vereinigung von Mengen in  ist. Äquivalent hierzu ist, dass  die Topologie 𝒰 erzeugt. Das System  in der zweistufigen Erzeugung „von 𝒮 nach  nach 𝒰“ ist also eine Basis von 𝒰.

Beispiele

(1)

Wir betrachten die Menge . Das Mengensystem

 =  { ] a, b [ | a, b  ∈   }

ist eine Basis der euklidischen Topologie auf . Gleiches gilt für

𝒞  =  { ] a, b [ | a, b  ∈   }.

(2)

Sei X =  −  die Menge der irrationalen Zahlen. Dann ist

 =  { ] a, b [ ∩ X | a, b  ∈   }

eine Basis der euklidischen Topologie auf X. Für alle a ≤ b in  gilt

] a, b [  ∩  X  =  [ a, b ]  ∩  X  =  X  −  (] −∞, a [ ∪ ] b, ∞ [).

Damit ist jedes B  ∈   abgeschlossen. Der Raum besitzt also eine Basis aus Mengen, die zugleich offen und abgeschlossen sind.

(3)

Wir betrachten erneut die Menge , nun aber das System

 =  { [ a, b [ | a, b  ∈   }

der nach rechts halboffenen beschränkten Intervalle.  ist abgeschlossen unter endlichen Durchschnitten und es gilt ⋃ = . Damit ist

𝒰[ )  =  { U ⊆  | U ist eine Vereinigung von Intervallen [ a, b [ }

die von  erzeugte Topologie. Sie heißt die (nach rechts) halboffene Topologie auf . In dieser Topologie sind zum Beispiel die Mengen

[ 0, 1 [,  [ 0, 1 [  ∪  [ 2, 3 [,  [ 0, 1 [  ∪  [ 2, 3 [  ∪  …  ∪  [ 2n, 2n + 1 [  ∪  …,

] −∞, b [  =  ⋃a < b [ a, b [,  [ a, ∞ [  =  ⋃b > a [ a, b [

offen. Weiter ist auch jede euklidisch offene Menge offen, da

] a, b [  =  ⋃c  ∈  ] a, b [ [ c, b [  für alle a, b  ∈   ∪ { −∞, ∞ }.

Die halboffene Topologie ist also eine Erweiterung (oder Verfeinerung, wie man sagt) der euklidischen Topologie. Für alle a < b gilt

[ a, b [  =    −  (] −∞, a [  ∪  [ b, ∞ [),

sodass also jedes Intervall [ a, b [ nicht nur offen, sondern auch abgeschlossen ist.

(4)

Für jede Menge X erzeugt  = { { x } | x  ∈  X } die Topologie 𝒰 = (X) auf X. Sie stimmt mit der von der diskreten Metrik auf X erzeugten Topologie überein und heißt die diskrete Topologie auf X.

(5)

Für jede Menge X erzeugt 𝒮 = { ∅ } die Topologie 𝒰 = { ∅, X }. Das System  = { X } ist eine Basis dieser Topologie.