Lineare Systeme
Zu den einfachsten Systemen von Differentialgleichungen gehören:
Definition (lineares System)
Ein n-dimensionales System von Differentialgleichungen erster Ordnung heißt linear, wenn es von der Form
y′ = A(x) y + b(x), x ∈ I,
ist, mit einem reellen Intervall I, einer stetigen matrixwertigen Funktion A : I → ℝn × n und einer stetigen Funktion b : I → ℝn. Ist b = 0, so heißt das System homogen. Andernfalls heißt es inhomogen.
Schreiben wir A(x) in der Form
A(x) = ,
so ist die Stetigkeit von A : I → ℝn × n gleichwertig dazu, dass alle Funktionen aij : I → ℝ stetig sind. Dies ist sicher erfüllt, wenn A(x) konstant gleich einer Matrix A ∈ ℝn × n ist. Im Allgemeinen hängen die Einträge der Matrizen A(x) aber von x ab.
Die wichtigsten Ergebnisse der Lösungstheorie linearer Systeme sind:
Satz (Lösungen linearer Systeme und Anfangswertprobleme)
(a) | Jedes lineare AWP y′ = A(x) y + b(x), y(x0) = y0, mit x0 ∈ I, y0 ∈ ℝn besitzt eine eindeutige Lösung f : I → ℝn. Ist I kompakt, so liefert das Iterations-Verfahren von Picard-Lindelöf eine auf ganz I definierte Lösung. |
(b) | Die Lösungen f : I → ℝn des homogenen Systems y′ = A(x) y bilden einen n-dimensionalen ℝ-Vektorraum L. Die Lösungen des inhomogenen Systems y′ = A(x) y + b(x) haben die Form f + g, wobei f ∈ L und g irgendeine Lösung des inhomogenen Systems ist. |
Eine Basis des Lösungsraumes L eines homogenen Systems heißt ein Fundamentalsystem. Sind f1, …, fn ∈ L gefunden, so bilden diese Lösungen genau dann ein Fundamentalsystem, wenn für ein (alle) x ∈ I die Determinante der aus den Zahlen f1(x), …, fn(x) gebildeten Matrix von Null verschieden ist.
Die Übersetzung in ein n-dimensionales System erster Ordnung liefert:
Satz (Lösungen linearer Differentialgleichungen n-ter Ordnung)
(a) | Jedes eindimensionale AWP n-ter Ordnung der Form y(n) = an − 1(x) y(n − 1) + … + a1(x) y′ + a0(x)y + b(x), y(x0) = y0, y′(x0) = y1, …, y(n − 1)(x0) = yn, mit stetigen ai : I → ℝ, b : I → ℝ und x0 ∈ I, y = (y0, …, yn − 1) ∈ ℝn besitzt eine eindeutige Lösung f : I → ℝn. |
(b) | Die Lösungen φ : I → ℝ von y′ = an − 1(x) y(n − 1) + … + a1(x) y′ + a0(x)y bilden einen n-dimensionalen ℝ-Vektorraum L. Die Lösungen von y′ = an − 1(x) y(n − 1) + … + a1(x) y′ + a0(x)y + b(x) haben die Form f + g, wobei f ∈ L und g irgendeine Lösung ist. |
Auch hier nennt man eine Basis von L ein Fundamentalsystem der homogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung
y(n) = an − 1(x) y(n − 1) + … + a1(x) y′ + a0(x)y.
Lösungen f1, …, fn ∈ L bilden genau dann ein Fundamentalsystem, wenn für ein (alle) x ∈ I die Wronski-Determinante W(x) von Null verschieden ist, wobei
W(x) = Wf1, …, fn(x) = .
Beispiel
Zu Beginn des Abschnitts hatten wir die Differentialgleichung y″ = − c y, c > 0 untersucht und die Lösungen in der Form
φ(x) = a cos(wx) + b sin(wx), w = , a, b ∈ ℝ
angegeben. Die Differentialgleichung ist homogen linear von zweiter Ordnung, und die Funktionen cos(wx) und sin(wx), x ∈ ℝ, bilden ein Fundamentalsystem.
Analoge Definitionen und Sätze gelten für komplexe lineare Systeme. Für diese ist A ∈ ℂn × n und b : I → ℂn. Das Intervall I und damit der Definitionsbereich der Lösungen f : I → ℂ ist nach wie vor reell.