Das Maximumsprinzip
In der mehrdimensionalen Analysis hatten wir die Hesse-Matrix als Analogon zur zweiten Ableitung zur Analyse lokaler Extrema eingesetzt. Sei u : P → ℝ harmonisch, und sei p ∈ U. Dann berechnet sich die Hesse-Matrix zu:
Hu(p) = Jgrad(u)(p) = .
Mit ux = ∂x u und uy = ∂y u gilt:
det(Hu (p)) | = − ((∂x,x u (p))2 + (∂y, x u (p))2) = − ((∂x ux (p))2 + (∂y ux (p))2) |
= − ∥ grad ux (p) ∥ 2, und analog | |
det(Hu (p)) | = − ∥ grad uy (p) ∥ 2. |
Nach dem Determinantenkriterium der Determiniertheit ist also Hu(p) weder positiv noch negativ definit (es gilt det(− A) = (−1)2 det(A) = det(A) für A ∈ ℝ2 × 2).
Eigenwertformeln
Für die reellen Eigenwerte λ1,2 einer reellen symmetrischen Matrix A = ((a, b), (b, d)) ∈ ℝ2 × 2 gelten die Formeln:
2 λ1,2 = a + d ±
λ1 + λ2 = a + d = spur(A), λ1 λ2 = a d − b2 = det(A)
Für die Hesse-Matrix Hu(p) (mit d = − a) ergibt sich:
λ1,2 = ± ∥ grad ux (p) ∥ = ± ∥ grad uy (p) ∥,
λ1 + λ2 = 0, λ1 λ2 = − ∥ grad ux (p) ∥ 2 = − ∥ grad uy (p) ∥ 2.
Damit ist A genau dann indefinit, wenn grad ux (p) ≠ 0. In diesem Fall hat u in p kein lokales Extremum (nach dem hinreichenden Kriterium). Hat also u in p ein lokales Extremum, so gilt
(+) grad u (p) = grad ux (p) = grad uy (p) = 0.
Die Funktion u(x, y) = x2 − y2 zeigt, dass (+) gelten kann (in einem Sattelpunkt), ohne dass ein lokales Extremum vorliegt. Es zeigt sich, dass dies immer der Fall ist: Eine nichtkonstante harmonische Funktion u hat keine lokalen Maxima und Minima. Das ist nicht leicht zu beweisen. Wir zeigen hier ein Teilresultat:
Satz (Extremwertsatz für harmonische Funktionen, Maximumsprinzip)
Sei C ⊆ ℂ kompakt, und sei U = int(C) ≠ ∅. Weiter sei u : C → ℝ stetig und harmonisch auf U. Dann nimmt u ihr Minimum und Maximum auf dem Rand von C an, d. h. es gilt
infz ∈ ∂C u(z) ≤ u(z) ≤ supz ∈ ∂C u(z) für alle z ∈ U.
Da die Menge C und ihr Rand ∂C kompakt sind, wird das Minimum und Maximum auf diesen Mengen von der stetigen Funktion u angenommen. Ein Supremum ist hier ein Maximum, ein Infimum ein Minimum. Im Beweis brauchen wir nur, dass u im Inneren von C harmonisch ist.
Die Grundidee des Beweises ist eine einfache Extremwertanalyse mit Hilfe der bekannten Kriterien für die erste und zweite Ableitung. Leider kann die zweite Ableitung auch in einem strikten Maximum Null sein (nur „meistens“ ist sie negativ), wodurch eine technische ε-Regularisierung nötig wird. Dieser Ansatz ist auch anderswo nützlich, sodass der Beweis das Prädikat „besonders wertvoll“ bekommt.
Beweis
Wir betrachten für jedes ε > 0 die Anhebung uε : C → ℝ mit
uε(x, y) = u(x, y) + ε (x2 + y2).
Die Funktion u wird also um ein ε-flaches Paraboloid angehoben. Sei nun ε > 0 beliebig. Wir zeigen:
(+) uε besitzt kein lokales Maximum in U
Beweis von (+)
Da u harmonisch auf U ist, gilt für alle (x, y) ∈ U:
∆ uε(x, y) = ∆ u (x, y) + ε(2 + 2) = 4 ε > 0.
Sei p ∈ U mit grad(u)(p) = 0 (kritischer Punkt). Wegen ∆ uε(p) > 0 gilt ∂x u2(p) > 0 oder ∂y u2(p) > 0. Also besitzt u bei p ein striktes lokales Minimum entlang der x- bzw. y-Koordinate. Dies zeigt (+).
Damit nimmt die stetige Funktion uε ihr Maximum auf ∂C an. Mit der Schranke S = supz ∈ C |z|2 < ∞ gilt also:
supz ∈ U u(z) ≤ supz ∈ U uε(z) ≤ supz ∈ ∂C uε(z) ≤ supz ∈ ∂C u(z) + ε S.
Da dies für alle ε > 0 gilt, folgt
supz ∈ C u(z) ≤ supz ∈ ∂C u(z).
Die Aussage für das Minimum wird analog oder durch Übergang zur Funktion − u bewiesen.
Das Paradebeispiel für eine kompakte Menge wie im Satz ist eine abgeschlossene Kreisscheibe. Eine harmonische Funktion nimmt also ihr Maximum und Minimum immer auf dem Rand einer Kreisscheibe an (wobei diese Extrema weder strikt noch eindeutig sein müssen, wie konstante Funktionen zeigen). Der Leser vergleiche wieder ein Paraboloid, welches das Maximumsprinzip grob verletzt, mit einer Sattelfläche, für die das Prinzip richtig ist.
Stärker kann man (weitaus schwieriger) zeigen:
Satz (starker Extremwertsatz, starkes Maximumsprinzip)
Sei u : G → ℝ harmonisch (mit einem Gebiet G), und u nehme ihr Maximum oder Minimum an. Dann ist u konstant.
Für die holomorphen Funktionen erhalten wir durch ein Rotationsargument ein analoges Ergebnis für den Betrag:
Satz (Maximumsprinzip für holomorphe Funktionen)
Sei f : G → ℂ holomorph, zweimal stetig reell differenzierbar, und |f| nehme ihr Maximum an. Dann ist f konstant.
Beweis
Sei p ∈ G eine Maximalstelle von |f|. Sei f (p) = (r, φ)polar, und sei
c = ei φ = (cos φ, sin φ),
sodass f (p) = r c. Wir definieren u : G → ℝ durch
u(z) = Re(c−1 f (z)) für alle z ∈ G.
Dann ist u harmonisch (da c−1 f holomorph ist), und u nimmt ihr Maximum r in p an. Folglich ist u konstant gleich r. Für alle z ∈ G gilt also
|c−1 f (z) | = | f (z) | ≤ | f (p) | = r = Re(c−1 f (z)),
sodass f (z) = c r für alle z. (Gilt |w| = Re(w) für ein w ∈ ℂ, so ist w = Re(w).)
Anwendung des Satzes auf 1/f liefert:
Satz (Minimumsprinzip für holomorphe Funktionen)
Sei f : P → ℂ holomorph, nicht konstant und zweimal stetig reell differenzierbar, und |f| nehme ihr Minimum in p an. Dann ist p eine Nullstelle von f.
Bemerkung: Lokale Versionen
Die drei letzten Sätze gelten sogar noch stärker mit lokalen anstelle von globalen Extrema. Hat eine holomorphe Funktion f auf G einen lokalen Extremwert in G, so ist f konstant. Obiger Satz liefert „konstant auf einer nichtleeren offenen Menge“, und dies führt (durch den Identitätssatz, den wir später kennenlernen werden) automatisch zur Konstanz auf G.
Zwei wichtige Folgerungen aus dem Maximumsprinzip sind:
Satz (Gebietstreue für harmonische Funktionen)
Sei u : G → ℝ harmonisch und nicht konstant. Dann ist u [ G ] ein offenes nichtleeres Intervall (ein Gebiet in ℝ).
Beweis
Sei G ⊆ P ein Gebiet. Da stetige Funktionen den Zusammenhang erhalten, ist u [ G ] zusammenhängend und damit ein nichtleeres Intervall I in ℝ. Da u nicht konstant ist, besitzt I nach dem Maximumsprinzip kein Minimum oder Maximum, sodass I offen ist.
Satz (Offenheitssatz)
Sei u : G → ℝ harmonisch und nicht lokal konstant. Dann ist u offen.
Beweis
Sei U ⊆ P offen und (ohne Einschränkung) nichtleer. Da U die Vereinigung seiner Komponenten ist und u auf diesen Komponenten nicht konstant ist, ist u [ U ] eine Vereinigung von offenen Intervallen in ℝ und damit offen.
Wir werden die Analoga dieser Sätze der Theorie der harmonischen Funktionen für die holomorphen Funktionen mit Hilfe von Integration beweisen. Dabei wird sich auch ein weiterer Beweis für das Maximumsprinzip ergeben (sogar in der starken Version).