Die Partialbruchzerlegung

 Rationale Funktionen lassen sich additiv zerlegen, wodurch viele Berechnungen vereinfacht werden − speziell gilt dies für Integrale. Die Zerlegung lässt sich durch das Lösen eines linearen Gleichungssystems oder durch ein Rekursionsverfahren ermitteln. Es gilt (vgl. Analysis 2):

Satz (Partialbruchzerlegung)

Seien f, g :    Polynome ohne gemeinsame Nullstellen mit deg(f) < deg(g) = n, n ≥ 1. Es gelte

g(z)  =  a (z − w1)m1 … (z − wr)mr  für alle z  ∈  ,

mit paarweise verschiedenen w1, …, wr und Vielfachheiten m1, …, mr ≥ 1. Weiter sei T = { (k, m) | 1 ≤ k ≤ r, 1 ≤ m ≤ mr }. Dann gibt es eindeutige Koeffizienten ck, m  ∈  , (k, m)  ∈  T, sodass für alle z  ∈   − { w1, …, wr } gilt:

(+)  f (z)g(z)  =  (k, m)  ∈  T ck, m(z − wk)m

 Im Fall mk = 1 schreiben wir kurz cm anstelle von cm, 1.

 Die Koeffizienten ck, m lassen sich auf verschiedene Weisen bestimmen.

Methode 1: Koeffizientenbestimmung über Gleichungssysteme

Wir bringen die Brüche der rechten Seite von (+) auf den gemeinsamen Nenner g(x) und addieren sie. Nun multiplizieren wir den Zähler aus und erhalten durch Koeffizientenvergleich mit f (z) ein lineares Gleichungssystem mit n Gleichungen und n Unbestimmten ck,m. Lösen liefert die Koeffizienten.

Beispiel 1

Für f (z) = 2 und g(z) = (z2 + 1) = (z − i)(z + i) lautet der Ansatz:

0 z  +  2z2 + 1 =  c1z − i  +  c2z + i =  c1 (z + i) + c2 (z − i)(z − i) (z + i).

Durch Koeffizientenvergleich erhalten wir das lineare Gleichungssystem

c1 + c2  =  0,  i c1 − i c2  =  2.

Die Lösung des Systems ist c1 = − i, c2 = i.

 Per Hand durchgeführt kann diese Methode etwas freudlos wirken. Zum Glück gibt es weitere Möglichkeiten, die zudem theoretisch bedeutsam sind. Die Überlegungen bereiten den Residuenkalkül der Integrationstheorie vor.

Methode 2: Multiplizieren, Einsetzen, Rekursion

Wir multiplizieren (+) mit (z − w1)m1 und kürzen auf der linken Seite. Nun werten wir beide Seiten an der Stelle z = w1 aus. Dies liefert den Koeffizienten c1, m1 = f (w1)/g1(w1) mit g1(z) = g(z)/(z − w1)m1 (Faktorstreichung im Nenner). Analog erhalten wir die anderen maximalen Koeffizienten c2, m2, …, cr, mr. Für k = 1, …, r gilt also:

ck, mk  =  f (wk)gk(wk)  mit  gk(z)  =  g(z)(zwk)mk(Koeffizientenformel)

Sind alle Nullstellen einfach, so sind wir fertig. Andernfalls wiederholen wir das Verfahren mit den Polynomen

f*(z)  =  f(z)krck,mkgk(z)(zw1)(zwr),(alle wk sind Nullstellen des Zählers)

g*(z)  =  a (z − w1)m1 − 1 … (z − wr)mr − 1.(mit Grad n − r < n)

Beispiel 1 mit Methode 2

Die Methode liefert für f (z)/g(z) = 2/((z − i) (z + i)) sofort

c1  =  2z+iz=i  =  − i,  c2  =  2ziz=i  =  i.

Beispiel 2

Wir berechnen die Partialbruchzerlegung von f (z)/g(z) für

f (z)  =  (2 + i) z2 − 2 (1 + i) z − i,  g(z)  =  (z − 1)2 (z − i)2.

mit Methode 2 (Methode 1 als Übung). Der Ansatz lautet:

(2 + i) z2 − 2 (1 + i) z − i(z − 1)2 (z − i)2  =  c1,2(z − 1)2 + c1,1z − 1 + c2,2(z − i)2 + c2,2z − i.

Multiplizieren mit (z − 1)2, Kürzen und Einsetzen von z = 1 liefert

c1, 2  =  (2 + i) − 2 (1 + i) − i(1 − i)2  =  − 2 i− 2 i  =  1.

Analog erhalten wir c2, 2 = 2. Nun wiederholen wir das Verfahren mit

f*(z)  =  f (z) − (z − i)2 − 2 (z − 1)2(z − 1) (z − i)  =  − 1 + i,  g*(z)  =  (z − 1) (z − i).

Wir erhalten nach kurzer Rechnung c1,1 = −1 und c2,1 = 1. Insgesamt ist also

f (z)g(z)  =  1(z − 1)2  −  1z − 1  +  2(z − i)2  +  1z − i.

 Für die Termauswertung lässt sich auch die Ableitung verwenden. Für

g(z)  =  a (z − w1)m1 … (z − wr)mr

gilt (wie die mehrfache Anwendung der Produktregel zeigt):

g(m1)(w1)  =  m1! g1(w1)  =  m1! a (w1 − w2)m2 … (w1 − wr)mr,

g(m2)(w2)  =  m2! g2(w2)  =  m2! a (w2 − w1)m1 (w2 − w3)m3 … (w2 − wr)mr,

g(mr)(wr)  =  mk! gk(wr)  =  mk! a (wr − w1)m1 … (wr − wr − 1)mr − 1.

Damit lässt sich „Multiplizieren + Auswerten“ durch Ableiten ersetzen:

Methode 2b: Verwendung der Ableitungen

ck, mk  =  mk! f(wk)g(mk)(wk)  für  k = 1, …, r.(Koeffizientenformel, II)

Im Fall mk = 1 gilt also

ck, 1  =  f (wk)g′(wk).(Koeffizientenformel für einfache Pole)

Die verbleibenden Koeffizienten werden wieder rekursiv bestimmt.

 Wir betrachten die beiden obigen Beispiele im Licht dieser Erkenntnis.

Beispiel 1 mit Ableitung

Für f (z)/g(z) = 2/(z2 + 1) gilt g′(z) = 2 z. Damit erhalten wir

c1  =  2g′(i)  =  22i  =  − i,  c2  =  2g′(− i)  =  22 (− i)  =  i.

Die Ableitungs-Methode ist hier besonders übersichtlich.

Beispiel 2 mit Ableitung

Für f (z)/g(z) mit

f (z)  =  (2 + i) z2 − 2 (1 + i) z − i,  g(z)  =  (z − 1)2 (z − i)2  gilt:

g″(1)  =  2 (1 − i)2,  g″(i)  =  2 (z − 1)2.

(Es ist möglich, aber nicht nötig, hierzu die Ableitungen

g′(z)  =  2 (z − 1) (z − i)2  +  2 (z − 1)2 (z − i),

g″(z)  =  2 (z − i)2  +  8 (z − 1) (z − i)  +  2 (z − 1)2

auszurechnen.)

Damit erhalten wir erneut

c1, 2  =  2! f (1)2 (1 − i)2  =  1,  c2, 2  =  2! f (i)2 (z − 1)2  =  2.

Der Rest ist wie früher. Die erste Ableitung von g ist an den Stellen 1 und i Null. Die Koeffizienten c1, 1 und c2, 1 lassen sich nicht direkt ablesen.

 Welche Version der Bestimmung der Partialbruchzerlegung man bevorzugt ist letztendlich Geschmackssache und die Vor- und Nachteile hängen auch von der konkreten Situation ab. Kompliziertere Berechnungen wird man ohnehin dem Computer übergeben. Unsere Überlegungen liefern den theoretisch wie praktisch bedeutsamen Spezialfall:

Satz (Partialbruchzerlegung für einfache Polstellen)

Sind in der Situation des obigen Satzes alle Nullstellen w1, … wn von g einfach (d. h. r = n), so gilt

f (z)g(z)  =  1 ≤ k ≤ n f (wk)/g′(wk)z − wk.

 Diese übersichtliche Berechnung der Partialbruchzerlegung für einfache Polstellen führt zu hübschen Formeln. Ein Beispiel ist (Beweis als Übung):

Satz (Partialbruchzerlegung für Einheitswurzeln)

Sei n ≥ 1, und seien ζ0, …, ζn − 1 die n-ten Einheitswurzeln,

ζk  =  (1, k 2π/n)polar  =  exp(k 2π/n)  für k = 0, …, n − 1.

Dann gilt:

1zn − 1  =  1n k < n ζkz − ζk  für alle z  ∈   mit |z| ≠ 1.

Ist allgemeiner φ  ∈   beliebig und c = exp(i φ), w = exp(i φ/n), so gilt

1zn − c  =  1n c k < n w ζkz − w ζk.