Konvergenz von Laurent-Reihen

 Potenzreihen und Hauptteile von Laurent-Reihen gehen durch den Übergang von z zu 1/z mit z  ∈  * ineinander über. Sei hierzu wieder p = 0, und seien an, n ≥ 1, beliebig. Dann ist

(1)

n ≥ 1 an zn  eine Potenzreihe,

(2)

n < 0 a− n zn  =  n ≥ 1 an (1/z)n  eine Laurent-Reihe (mit leerem Nebenteil).

Die Potenzreihe (1) konvergiert genau dann bei w ≠ 0, wenn die Laurent-Reihe (2) bei 1/w konvergiert (mit 1/(1/w) = w). Aus dem punktierten Konvergenzkreis UR(0)* der Potenzreihe (1) wird so das offene Kreiskomplement

ext(U1/R(0))  =  U1/R(∞)  =  { z  ∈   | |z| > 1/R }

für die Laurent-Reihe (2). (Im Fall R = 0 sind beide Mengen leer.) Da jeder Hauptteil so erhalten wird, konvergiert der Hauptteil einer Laurent-Reihe n  ∈   an zn auf einer Menge Ur1(∞). Der Nebenteil ist eine übliche Potenzreihe mit einem gewissen Konvergenzradius r2 und Konvergenz in Ur2(0). Der Schnitt dieser offenen Mengen hat im Fall r1 < r2 die Form eines Kreisrings:

Definition (Kreisring)

Seien 0 ≤ r1 < r2 ≤ ∞ und p  ∈  . Dann heißt

Ur1, r2(p)  =  { z  ∈   | r1 < |z − p| < r2 }

der offene Kreisring mit Mittelpunkt p, innerem Radius r1 und äußerem Radius r2.

 Jeder Kreisring ist offen, nichtleer und zusammenhängend und damit ein Gebiet. Wir bezeichnen einen Kreisring oft mit A für lateinisch „anulus“ = „kleiner Ring“. Ist A = Ur1, r2(p), so gilt A = A+ ∩ A mit

A+  =  Ur2(p),  A  =  ext(Ur1(p))  =  Ur1(∞)  =  { z  ∈   | |z − p| > r1 }.

Beispiele

(1)

Die Kreisringe mit dem Innenradius 0 sind genau die punktieren offenen Umgebungen U0, r(p) = Ur(p) − { p } = Ur(p)*, r > 0.

(2)

U0, ∞(0)  =  *,  U0, ∞(p)  =  * − { p }  für alle p  ∈  .

(3)

Für alle p und 0 ≤ R ≤ ∞ ist UR(p) kein Kreisring. Einem Kreisring Ur, s(p) fehlt immer (mindestens) der Punkt p.

(4)

U1,3(0) ∩ U2, 4(0)  =  U2, 3(0).

 Die Kreisringe entsprechen in der Theorie der Laurent-Reihen den offenen Kreisscheiben der Potenzreihen. Unsere Überlegung zeigt:

Satz (Konvergenzverhalten einer Laurent-Reihen)

Sei n  ∈   an (z − p)n eine Laurent-Reihe. Weiter sei r0 der Konvergenzradius der Potenzreihe n ≥ 1 a− n zn und r2 der Konvergenzradius des Nebenteils n ≥ 0 an zn. Wir setzen r1 = 1/r0 ≤ ∞. Dann divergiert die Laurent-Reihe auf Ur1(p) und ext(Ur2(p)). Gilt r1 < r2, so konvergiert die Laurent-Reihe normal auf dem Kreisring Ur1, r2(p).

 Auf dem Rand des Konvergenzrings ist wie immer keine allgemeine Aussage über die Konvergenz möglich. Die Radien r0 und r2 lassen sich mit den Formeln von Cauchy-Hadamard und Euler berechnen, woraus sich r1 = 1/r0 ergibt.

 Wir führen die (integralfreie) Berechnung einer Laurent-Darstellung an einem einfachen Beispiel vor. Dabei ist die geometrische Reihe ein treuer Freund.

Beispiel: Laurent-Entwicklungen einer Funktion mit zwei Polen, I

Sei f :  − { 0, 1 }   definiert durch

f (z)  =  1z (z − 1)  für alle z ≠ 0, 1.

Der Kreisring A = U0,1(0) = U1(0)* ist eine Teilmenge des Definitionsbereichs von f. Auf dem inneren und äußeren Rand des Rings befinden sich je eine Polstelle von f. Um eine Laurent-Entwicklung von f bei p = 0 auf A zu erhalten, verwenden wir die geometrische Reihe

n zn  =  1/(z − 1)  für |z| < 1.

Für alle z  ∈  A gilt:

f (z)  =  − 1z n zn  =  − 1z  −  1  −  z  −  z2  −  …  −  zn  −  …

Diese Darstellung ergibt sich auch mit Hilfe der Partialbruchzerlegung

f (z)  =  −1z  +  1z − 1  =  − 1z  −  11 − z

und erneutem Einsatz der geometrischen Reihe.

Wir können auch auf dem unbeschränkten Kreisring B = U1, ∞(0) eine Laurent-Entwicklung erhalten (nach wie vor im Entwicklungspunkt 0). Ein Abspalten von 1/z2 führt hier zum Ziel, denn für alle z  ∈  B gilt:

f (z)  =  1z2 11 − 1/z  =  1z2 n 1zn  = 1z2  +  1z3  +  1z4  +  …

Der Hauptteil ist unendlich, der Nebenteil leer.

 Wir werden im zweiten Abschnitt zeigen, dass diese Mehrfach-Entwicklung typisch ist: Eine holomorphe Funktion lässt sich auf jedem offenen Kreisring in ihrem Definitionsbereich eindeutig in eine Laurent-Reihe entwickeln.

 Wir betrachten noch ein weiteres Beispiel, in dem der Entwicklungspunkt kein Pol mehr ist.

Beispiel: Laurent-Entwicklungen einer Funktion mit zwei Polen, II

Sei f :  − { 1, −1 }   definiert durch

f (z)  =  1z2 − 1  für alle z ≠ 1, −1.

Nun befinden sich beide Pole 1 und −1 der Funktion auf dem Rand des Kreisrings A = U0,1(0). Für alle z mit |z| < 1 gilt

f (z)  =  − 11 − z2  =  − n ≥ 0 z2n  =  − 1  −  z2  −  z4  −  …

Diese Pozentreihenentwicklung auf U1(0) ist eine Laurent-Darstellung von f auf A (mit leerem Hauptteil).

Auf dem unbeschränkten Kreisring B = U1, ∞(0) gilt:

f (z)  =  1z2 11 − 1/z2  =  1z2 n 1z2n  = 1z2  +  1z4  +  1z6  +  …

Der Hauptteil ist unendlich, der Nebenteil leer.

 Abschließend betrachten wir noch:

Beispiel: Laurent-Entwicklungen einer Funktion mit drei Polen

Sei f :  − { 0, 1, 2 }   definiert durch

f (z)  =  1z (z − 1) (z − 2)  für alle z ≠ 0, 1, 2.

Die Funktion f hat in den Kreisringen U1(0)*, U1, 2(0), U2, ∞(0) die Laurent-Entwicklungen (Übung):

f (z)  =  12z  +  n 2n + 2 − 12n + 2 zn für  z  ∈  U1(0)*
f (z)  =  − 12z  −  n ≥ 2 1zn  −  n zn2n + 2 für  z  ∈  U1, 2(0)
f (z)  =  n ≥ 1 2n − 1zn + 2 für  z  ∈  U2, ∞(0)

Die Ordnungsfunktion

 Laurent-Darstellungen erlauben eine sehr klare und einfache Definition der Ordnung einer Funktion f an einer Stelle p:

Definition (Ordnung einer Stelle, Startindex einer Entwicklung)

Sei f : P   holomorph, und sei p  ∈  . Weiter sei f in einer punktierten Umgebung Uε(p) von p dargestellt als Laurent-Reihe

f (z)  =  n  ∈   an (z − p)n  für alle z  ∈  Uε(p)*.

Ist f = 0, so setzen wir of(p) = ∞. Ist an ≠ 0 für unendlich viele n < 0, so setzen wir op(f) = −∞. Andernfalls sei

op(f)  =  „das kleinste n mit an ≠ 0“.

Die Zahl op(f)  ∈   ∪ { ∞ } heißt die Ordnung oder der Startindex der Laurent-Entwicklung von f an der Stelle p.

 Ist f an der Stelle p definiert, so ist der Hauptteil die leere Summe und die Darstellung die Potenzreihen-Darstellung in einer vollen Umgebung Uε(p).

 Die Definition setzt die Definition der Ordnung für rationale Funktionen fort (Übung). Mit den üblichen Konventionen für das Rechnen mit den symbolischen Werten ∞, −∞ gelten erneut (Übung):

Satz (Rechenregeln für die Ordnung)

Seien f, g : P   holomorph, und sei p  ∈  P derart, dass f und g in einem Uε(p)* als Laurent-Reihen mit endlichem Hauptteil dargestellt werden können. Dann gilt:

(a)

op(f + g)  ≥  min(op(f), op(g)),(Summenregel)

(b)

op(fg)  =  op(f) op(g).(Produktregel)

Die Ungleichung in (a) ist genau dann echt, wenn k = op(f) = og(g) < ∞ und ak = − bk für die Koeffizienten der Entwicklungen von f bzw. g bei p.