Konvergenz von Laurent-Reihen

 Für die Untersuchung der Konvergenz von Laurent-Reihen können wir wie bei den Potenzreihen p = 0 annehmen. Sehr hilfreich ist nun die folgende Besonderheit dieses Entwicklungspunkts. Sie erlaubt eine überraschend einfache Lösung des Konvergenz-Problems für Laurent-Reihen.

Laurent-Reihen mit Entwicklungspunkt Null

Eine Laurent-Reihe mit p = 0 können wir in der Form

(+)  n  ∈   an zn  =  h(1/z)  +  g(z)(reziproke Darstellung)

schreiben, mit zwei Potenzreihen

h(z)  =  n ≥ 1 bn zn  =  n ≥ 1 a−n zn,  g(z)  =  n an zn.

Eine derartige Laurent-Reihe ist also die Summe zweier Potenzreihen, wobei die erste Potenzreihe h(z) mit b1 z startet und wir in diese Potenzreihe 1/z anstelle von z einsetzen. Die zweite Potentreihe ist der Nebenteil der Laurent-Reihe.

Ist nun r0  ∈  [ 0, ∞ ] der Konvergenzradius der Potenzreihe h, so konvergiert h(1/z) für alle z mit |z| > 1/r0 ≥ 0, während h(1/z) für alle z mit |z| < r0 divergiert. Wir setzen r1 = 1/r0  ∈  [ 0, ∞ ]. Aus dem punktierten Konvergenzkreis Ur0(0)* der Potenzreihe h wird so das offene Kreiskomplement

ext(Ur1(0))  =  Ur1(∞)  =  { z  ∈   | |z| > r1 }

für den Hauptteil der Laurent-Reihe. Im Fall r0 = 0 sind beide Mengen leer. Ist r2 ≤ ∞ der Konvergenzradius der Potenzreihe g, so gilt also:

(a)

Die Laurent-Reihe konvergiert für alle z mit r1 < |z| < r2.

(b)

Die Laurent-Reihe divergiert für alle z mit |z| < r1 oder |z| > r2.

Für komplexe Zahlen z mit |z| = r1, 2 ist wie bei den Potenzreihen keine allgemeine Aussage möglich.

Wir lassen nun wieder beliebige p zu und definieren:

Definition (Kreisring)

Seien 0 ≤ r1 < r2 ≤ ∞ und p  ∈  . Dann heißt

Ur1, r2(p)  =  { z  ∈   | r1 < |z − p| < r2 }

der offene Kreisring mit Mittelpunkt p, innerem Radius r1 und äußerem Radius r2.

 Jeder Kreisring ist offen, nichtleer und zusammenhängend und damit ein Gebiet. Wir bezeichnen einen Kreisring oft mit A für lateinisch „anulus“ = „kleiner Ring“. Ist A = Ur1, r2(p), so gilt A = A+ ∩ A mit

A+  =  Ur2(p),  A  =  ext(Ur1(p))  =  { z  ∈   | |z − p| > r1 }.

Beispiele

(1)

Die Kreisringe mit dem Innenradius 0 sind genau die punktieren offenen Umgebungen

U0, r(p)  =  Ur(p) − { p }  =  Ur(p)*,  r > 0.

(2)

U0, ∞(0)  =  *,  U0, ∞(p)  =  * − { p }  für alle p  ∈  .

(3)

Für alle p und 0 ≤ R ≤ ∞ ist UR(p) kein Kreisring. Einem Kreisring Ur, s(p) fehlt immer (mindestens) der Punkt p.

(4)

Für alle p gilt U1,3(p) ∩ U2, 4(p) = U2, 3(p).

 Die Kreisringe entsprechen in der Theorie der Laurent-Reihen den offenen Kreisscheiben der Potenzreihen. Obige Überlegung zeigt (durch ein Translations-Argument):

Satz (Konvergenzverhalten einer Laurent-Reihen)

Sei n  ∈   an (z − p)n eine Laurent-Reihe. Weiter seien r0 der Konvergenzradius der Potenzreihe h(z) = n ≥ 1 a− n zn und r2 der Konvergenzradius des Nebenteils g(z) = n ≥ 0 an zn. Wir setzen r1 = 1/r0 ≤ ∞. Dann divergiert die Laurent-Reihe auf Ur1(p) und ext(Ur2(p)). Gilt r1 < r2, so konvergiert die Laurent-Reihe normal auf dem Kreisring Ur1, r2(p).

 Die Konvergenz auf dem Rand eines Konvergenzrings bleibt wie immer schwierig. Die Radien r0 und r2 lassen sich mit den Formeln von Cauchy-Hadamard und Euler berechnen, woraus sich r1 = 1/r0 ergibt.

 Wir führen die (integralfreie) Berechnung einer Laurent-Darstellung an einem einfachen Beispiel vor. Dabei ist die geometrische Reihe ein treuer Freund.

Beispiel: Laurent-Entwicklungen einer Funktion mit zwei Polen, I

Sei f :  − { 0, 1 }   definiert durch

f (z)  =  1z (z − 1)  für alle z ≠ 0, 1.

Der Kreisring A = U0,1(0) = U1(0)* ist eine Teilmenge des Definitionsbereichs von f. Auf dem inneren und äußeren Rand des Rings befinden sich je eine Polstelle von f. Um eine Laurent-Entwicklung von f bei p = 0 auf A zu erhalten, verwenden wir die geometrische Reihe

n zn  =  1z − 1  für |z| < 1.

Für alle z  ∈  A gilt:

f (z)  =  − 1z n zn  =  − 1z  −  1  −  z  −  z2  −  …  −  zn  −  …

Diese Darstellung ergibt sich auch mit Hilfe der Partialbruchzerlegung

f (z)  =  −1z  +  1z − 1  =  − 1z  −  11 − z

und erneutem Einsatz der geometrischen Reihe.

Wir können auch auf dem unbeschränkten Kreisring B = U1, ∞(0) eine Laurent-Entwicklung erhalten (nach wie vor im Entwicklungspunkt 0). Ein Abspalten von 1/z2 führt hier zum Ziel, denn für alle z  ∈  B gilt:

f (z) =  1z2 11 − 1/z  =  1z2 n 1zn
= 1z2  +  1z3  +  1z4  +  …

Der Hauptteil ist unendlich, der Nebenteil leer.

 Wir werden im zweiten Abschnitt zeigen, dass diese Mehrfach-Entwicklung typisch ist: Eine holomorphe Funktion lässt sich auf jedem offenen Kreisring in ihrem Definitionsbereich eindeutig in eine Laurent-Reihe entwickeln.

 Wir betrachten noch ein weiteres Beispiel, in dem der Entwicklungspunkt kein Pol mehr ist.

Beispiel: Laurent-Entwicklungen einer Funktion mit zwei Polen, II

Sei f :  − { 1, −1 }   definiert durch

f (z)  =  1z2 − 1  für alle z ≠ 1, −1.

Nun befinden sich beide Pole 1 und −1 der Funktion auf dem Rand des Kreisrings A = U0,1(0). Für alle z mit |z| < 1 gilt

f (z)  =  − 11 − z2  =  − n ≥ 0 z2n  =  − 1  −  z2  −  z4  −  …

Diese Pozentreihenentwicklung auf U1(0) ist eine Laurent-Darstellung von f auf A (mit leerem Hauptteil).

Auf dem unbeschränkten Kreisring B = U1, ∞(0) gilt:

f (z)  =  1z2 11 − 1/z2  =  1z2 n 1z2n  = 1z2  +  1z4  +  1z6  +  …

Der Hauptteil ist unendlich, der Nebenteil leer.

 Abschließend betrachten wir noch:

Beispiel: Laurent-Entwicklungen einer Funktion mit drei Polen

Sei f :  − { 0, 1, 2 }   definiert durch

f (z)  =  1z (z − 1) (z − 2)  für alle z ≠ 0, 1, 2.

Die Funktion f hat in den Kreisringen U1(0)*, U1, 2(0), U2, ∞(0) die Laurent-Entwicklungen (Übung):

f (z)  =  12z  +  n 2n + 2 − 12n + 2 zn für  z  ∈  U1(0)*,
f (z)  =  − 12z  −  n ≥ 2 1zn  −  n zn2n + 2 für  z  ∈  U1, 2(0),
f (z)  =  n ≥ 1 2n − 1zn + 2 für  z  ∈  U2, ∞(0).

Die Ordnungsfunktion

 Laurent-Darstellungen erlauben eine sehr klare und einfache Definition der Ordnung einer Funktion f an einer Stelle p:

Definition (Ordnung einer Stelle, Startindex einer Entwicklung)

Sei f : P   holomorph, und sei p  ∈  . Weiter sei f in einer punktierten Umgebung Uε(p)* von p dargestellt als Laurent-Reihe

f (z)  =  n  ∈   an (z − p)n  für alle z  ∈  Uε(p)*.

(a)

Ist f = 0, so setzen wir of(p) = ∞.

(b)

Ist an ≠ 0 für unendlich viele n < 0, so setzen wir op(f) = −∞.

(c)

Andernfalls sei

op(f)  =  „das kleinste n mit an ≠ 0“.

Die Zahl op(f)  ∈   ∪ { ∞ } heißt die Ordnung oder der Startindex der Laurent-Entwicklung von f an der Stelle p.

 Ist f an der Stelle p definiert, so ist der Hauptteil die leere Summe und die Darstellung die Potenzreihen-Darstellung in einer vollen Umgebung Uε(p).

 Die Definition setzt die Definition der Ordnung für rationale Funktionen fort (Übung). Mit den üblichen Konventionen für das Rechnen mit den symbolischen Werten ∞, −∞ gelten erneut (Übung):

Satz (Rechenregeln für die Ordnung)

Seien f, g : P   holomorph, und sei p  ∈  P derart, dass f und g in einem Uε(p)* als Laurent-Reihen mit endlichem Hauptteil dargestellt werden können. Dann gilt:

(a)

op(f + g)  ≥  min(op(f), op(g)),(Summenregel)

(b)

op(fg)  =  op(f) op(g).(Produktregel)

Die Ungleichung in (a) ist genau dann echt, wenn k = op(f) = og(g) < ∞ und ak = − bk für die Koeffizienten der Entwicklungen von f bzw. g bei p.