2. Der Integralsatz für homotope Wege
Wir haben gesehen, dass Integrale über holomorphe Funktionen in jedem konvexen und allgemeiner sternförmigen Gebiet wegunabhängig sind. Das Hauptbeispiel 1/z in ℂ* zeigt, dass wir ohne topologische Voraussetzung keine vollständige Wegunabhänigkeit erreichen können. In einem beliebigen Gebiet G gilt jedoch die folgende sehr anschauliche Abschwächung der Wegunabhängigkeit: Deformieren wir einen Weg γ0 stetig in einen Weg γ1 unter kontinuierlicher Beibehaltung des Anfangs- und Endpunkts, ohne dabei das Gebiet G zu verlassen, so gilt I(f, γ0) = I(f, γ1) für alle holomorphen f : G → ℂ. Zwei derartige Wege heißen homotop in G (relativ zu festen Anfangs- und Endpunkten). Äquivalent ist, dass jeder geschlossene Weg, der sich in G stetig zu einem konstanten Weg zusammenziehen lässt, Nullintegrale besitzt. Derartige Wege nennen wir nullhomotop in G. Wir erhalten einen Integralsatz vom Typ I, der das Lemma von Goursat-Pringsheim verallgemeinert. Denn jedes Dreieck, das samt seinem Inneren in G liegt, ist nullhomotop. Weiter ist in jedem Sterngebiet jeder geschlossene Weg nullhomotop, da er zu einem Zentrum des Sterngebiets herangezogen werden kann. Dies führt zum neuen topologischen Begriff des einfachen Zusammenhangs und zu einer entsprechenden sehr starken Verallgemeinerung des Integralsatzes für Sterngebiete vom Typ II.
Zur Einführung in das Thema besprechen wir den wichtigen Spezialfall einer Kreisvergrößerung und eines Kreiswechsels, der sich elementar und spielerisch einsehen lässt.