Isolierte Singularitäten

 Neben Schnitten wie ] −∞, 0 ] bei der Wurzelfunktion oder beim Logarithmus treten Ausnahmestellen der Holomorphie vor allem in Form von Punktierungen auf. Eine Menge P ⊆  heißt punktiert in p  ∉  P, falls P ∪ { p } eine Umgebung von p ist, d. h.:

(+)  Es gibt ein ε > 0 mit Uε(p)* ⊆ P,  wobei  Uε(p)* = Uε(p) − { p }.

Der Stern bedeutet hier also nicht die Entfernung der Null, sondern die Entfernung des Zentrums von Uε(p) (einer Art Null). Ist P offen − wie im Folgenden immer − , so ist P genau dann punktiert in p, wenn p  ∉  P und P ∪ { p } offen ist.

Definition (isolierte Singularität und Typ einer Singularität)

Sei f : P   holomorph. Eine Punktierung p von P nennen wir eine auch isolierte Singularität von f. Eine Singularität p von f heißt

(a)

hebbar, falls sich f holomorph nach P ∪ { p } fortsetzen lässt,

(b)

eine Polstelle oder kurz ein Pol, falls limz  p f (z) = ∞,

(c)

wesentlich, falls p weder hebbar noch ein Pol ist.

 Das ist noch keine überzeugende Klassifikation, da die wesentlichen Singularitäten ja einfach „als Rest“ definiert werden. Erst die Sätze über die drei Typen zeigen im Zusammenspiel mit der Laurent-Entwicklung die Natürlichkeit und Einfachheit der Einteilung.

 Eine Funktion f ist in einer isolierten Singularität p nicht definiert. Der Begriff ist (der Einfachheit halber) nur für holomorphe Funktion erklärt. Wir müssen also „holomorph“ nicht immer dazu schreiben.

Anschaulich erhalten wir aus einer offenen Menge U eine offene Menge P mit Punktierungen, indem wir U „diskret pieksen“. Genauer gilt:

Topologische Struktur der isolierten Singularitäten

Sei f : P   holomorph, und sei N die Menge der isolierten Singularitäten von f. Dann gilt:

(a)

N ⊆  − P und U = P ∪ N ist offen.

(b)

Die Menge N ist diskret in U, d. h. N′ ∩ U = ∅. Sie kann durchaus Häufungspunkte in  haben (vgl. die folgenden Beispiele).

(c)

Als in U diskrete Menge ist N abzählbar. Weiter ist C ∩ N ist endlich für jede kompakte Teilmenge C von U (vgl. „Topologie“).

Beispiele

(1)

Der Hauptzweig log :    des Logarithmus hat keine isolierten Singularitäten. Analoges gilt für sqrt :   .

(2)

Sei f :   mit f (z) = 1/z für alle z ≠ 0. Dann ist der Nullpunkt eine isolierte Singularität von f und genauer ein Pol. Ist dagegen H die offene rechte Halbebene und g : H   mit g(z) = 1/z für alle z  ∈  H, so ist der Nullpunkt keine isolierte Singularität von g.

(3)

Sind f, g :    Polynome mit g ≠ 0, so hat die (nicht automatisch fortgesetzte) rationale Funktion h = f/g den Definitionsbereich P =  − N mit der endlichen Menge N  =  { z  ∈   | g(z) = 0 }. Genau die Elemente von N sind isolierte Singularitäten von g. Diese Singularitäten sind entweder hebbar oder Pole.

(4)

Sind f, g :    ganz mit g ≠ 0, so ist die Menge N der Nullstellen von g diskret nach dem Identitätssatz. Für h = f/g :  − N   ist wieder N die Menge der isolierten Singularitäten von h. Im Gegensatz zu den Polynomen können nun, wie wir sehen werden, alle drei Typen auftreten.

(5)

Sei f : * − N   mit

f (z)  =  csc(1/z)  =  (sin(1/z))−1  für alle z  ∈  * − N,

wobei N = { (k π)−1 | k  ∈  * }. Die Singularitätenmenge von f ist die unendliche Menge N. Die Menge N ist diskret in *. Ihr Häufungspunkt 0 gehört nicht zu *. Der Nullpunkt ist keine isolierte Singularität von f.

Bemerkung zur Notation

Eine isolierte Singularität p einer Funktion f können wir in der Form

f : P  ,  p  ∉  P,  P ∪ { p } offen,

oder in der Form

f : P − { p }  ,  p  ∈  P,

notieren. Beide Versionen haben ihre Vorteil und wir werden sie je nach Kontext verwenden. Die erste Form hat einen einfach bezeichneten Definitionsbereich, die zweite betont die Entfernung des Punktes. Wichtig ist, dass p nicht zum Definitionsbereich von P gehört. Analoges gilt für mehrere Singularitäten.