Der Residuensatz

 Wir zeigen nun den Residuensatz, der die Berechnung von Integralen auf die Berechnung von Residuen und Umlaufzahlen zurückführt. In Anwendungen sind die Wege meistens einfach geschlossen, sodass Integrieren zur Residuenberechnung wird.

 Um das Argument möglichst transparent zu halten, lagern wir einige topologische und mengentheoretische Umformungen aus:

Satz (Endlichkeit diskreter Ausnahmepunkte im Inneren)

Sei P offen und nichtleer, und sei N ⊆ P diskret in P. Weiter sei γ ein nullhomologer Weg in P mit spur(γ) ∩ N = ∅. Dann ist E = int(γ) ∩ N endlich und γ nullhomolog in (P − N) ∪ E.

Beweis

Sei C =  − ext(γ). Dann ist C kompakt. Da γ nullhomolog in P ist, gilt

C  =   − ext(γ)  =  int(γ) ∪ spur(γ)  ⊆  P.

Da N diskret in P und C kompakt ist, ist C ∩ N endlich. Weiter gilt

C ∩ N  =  (int(γ) ∪ spur(γ)) ∩ N  =  int(γ) ∩ N  =  E,

int(γ)  =  (int(γ) − N)  ∪  (int(γ) ∩ N)  ⊆  (P − N) ∪ E.

Damit ist E endlich und γ nullhomolog in (P − N) ∪ E.

 Ein nullhomologer Weg in P kann also nur endlich viele Punkte einer in P diskreten Menge N umschließen. Anschaulich lässt sich dies so begründen: Ist N endlich, so ist die Aussage klar. Ist N unendlich, so häuft sich N aufgrund der Diskretheit am Rand von P, sodass wir die Punkte von N nicht alle mit einem nullhomologen Weg in P einfangen können. Die Punkte außerhalb von E können wir, was γ betrifft, vergessen.

Beispiel

Die Voraussetzung der Nullhomologie ist für die Endlichkeit von E wesentlich. Sei P = U1(0)* die punktierte Einheitskreisscheibe und N = { 1/2n | n ≥ 2 } ⊆ P. Dann ist N diskret in P, da der Häufungspunkt 0 von N nicht zu P gehört. Für einen geschlossenen Kreisweg mit Radius 1/2 gilt E ⊆ int(γ) = U1/2(0). Der Weg ist nicht nullhomolog in P.

 Nach diesen technischen Vorbereitungen können wir nun zeigen:

Satz (Residuensatz)

Sei f : P − N   holomorph mit einer in P diskreten Menge N ⊆ P. Weiter sei γ nullhomolog in P mit spur(γ) ∩ N = ∅. Dann gilt mit der endlichen Menge E = N ∩ int(γ):

γ f (z) dz  =  2 π i  z  ∈  E indγ(z) resz(f).

 Kurz: Zu einem Umlaufintegral tragen nur die Residuen an den endlich vielen isolierten Singularitäten von f im Inneren von γ mit dem üblichen Faktor 2πi bei. Werden sie von γ mehrfach umlaufen, so tragen sie entsprechend ihrer Umlaufzahl auch mehrfach zum Integral bei.

 Der Satz wird in der Praxis in der Form

γ f (z) dz  =  2 π i  z  ∈  int(γ) indγ(z) resz(f)

verwendet. Die Summe ist dabei, wie wir gesehen haben, endlich.

Beweis

Sei E = { z1, …, zn } mit paarweise verschiedenen z1, …, zn. Weiter seien f1, …, fn die Hauptteile der Laurent-Entwicklungen von f in z1, …, zn mit den Residuen a1, …, an. Dann ist fk :  − { zk }   holomorph für k = 1, …, n. Nach Wegfall aller Potenzen ungleich −1 und Definition des Index gilt:

(+)  γ fk(z) dz  =  ak γ 1z − zi  =  2 π i ak indγ(zi)  für k = 1, …, n.

Sei g = f − (f1 + … + fn). Zunächst ist g wie f auf P − N definiert. Die Funktion g lässt aber aufgrund der Herausnahme der Hauptteile in den Punkten z1, …, zn zu einer holomorphen (wieder mit g bezeichneten) Funktion g : (P − N) ∪ E   fortsetzen. Da γ nullhomolog in (P − N) ∪ E ist, gilt I(g, γ) = 0. Damit erhalten wir nach (+):

γ f (z) dz  =  1 ≤ k ≤ n γ fk(z) dz  =  2 π i  1 ≤ k ≤ n indγ(zi) ai.