Rechtecksintegrale

 Natürliche Integrationswege zur Bestimmung beidseitig uneigentlicher reeller Integrale sind Rechtecke der Form

ρr  =  [ −r, r ] + [ r, r + i r ]  +  [ r + i r, − r + i r ]  +  [ − r + i r, − r ].(Rechtecksweg)

Wir bezeichnen die vier Strecken dieses Rechtecks mit ρr, k für k = 1, 2, 3, 4. Die Rechteckswege eignen sich besonders gut für Funktionen der Produktform g(z) = f (z) exp(i z). Für den Hauptfaktor f (z) genügt nun o(1) anstelle von o(1/z):

Satz (Rechtecksintegrale)

Sei f :  − E   holomorph mit E endlich. Es gelte f (z) = o(1) für z  ∞, d. h. limz  ∞ f (z) = 0. Dann gilt:

(a)

lim ∞ I(f ei z, ρr, k)  =  0  für  k = 2, 3, 4.

(b)

Ist E ∩  = ∅, so gilt

−∞ f (x) ei x dx  =  2π i  p  ∈  E, Im(p) > 0 resp(f ei z).

Beweis

Der Beweis von (a) wird wieder mit der Standardabschätzung geführt. Dabei gilt für alle r > 0 und alle x  ∈  [ − r, r ] mit z = x + i r:

|f (z) ei z|  =  |f (z) eix e− r|  =  |f (z) e− r|,

wodurch wir die benötigte Konvergenzgeschwindigkeit erhalten (genauer Nachweis von (a) als Übung). Die Aussage (b) folgt nun aus (a) wie für Halbkreiswege.

 Mit Hilfe des Satzes lassen sich viele uneigentliche reelle Integrale berechnen, die trigonometrische Funktionen enthalten und keine elementare Stammfunktion besitzen.

Beispiel

Seien c > 0 und sei g :  − { ± i c }   mit g(z) = eiz/(z2 + c2). Eine Partialbruchzerlegung liefert resi c(g) = 1/(2 i c ec). Nach dem Satz gilt

−∞ ei xx2 + c2 dx  =  2π i  resi c(g)  =  2π i2 i c ec  =  πc ec.

Mit der Eulerschen Formel ei x = cos(x) + i sin(x) erhalten wir

−∞ cos(x)x2 + c2 dx  =  πc ec  und speziell  −∞ cos(x)x2 + 1 dx  =  πe.

 Es gilt 1/(z2 + c2) = o(1/z) für z  ∞, sodass die Stärke des Satzes nicht ausgeschöpft wird. Dies ist anders für die Variante h(z) = z ei z/(z2 + c2), die wir in den Übungen besprechen.

Verdopplung durch Symmetrie

 Rechteckswege können wir auch einsetzen, um Symmetrien auszunutzen. Wir betrachten hierzu eine zu integrierende Funktion f und einen Weg der Form

ρ(r, s)  =  [ −r, r ] + [ r, r + i s ]  +  [ r + i s, − r + i s ]  +  [ − r + i s, − r ],

also ein Rechteck der Breite 2r und Höhe s. Gilt

(+)  f(x + i s)  =  f (x)  für alle x  ∈  ,

so hat der waagrechte Rückweg auf der Höhe s das gleiche Integral wie der waagrechte Hinweg auf der x-Achse. In diesem Fall genügt es, dass die senkrechten Streckenintegrale für r  ∞ gegen Null konvergieren, um das uneigentliche reelle Integral über f mit dem Residuensatz zu berechnen.

Beispiel

Sei f = 1/cosh. Die Nullstellen des Kosinus Hyperbolicus sind charakterisiert durch exp(z) + exp(− z) = 0. Dies ist äquivalent zu exp(2z) = −1, sodass f genau an den Stellen i π/2 + k 2π, k  ∈  , Pole erster Ordnung besitzt. Es gilt f (x) = f(x + i π) für alle x  ∈  , sodass wir Rechtecke σr = ρ(r, π) der Höhe π für die Integration wählen. Es gilt

(i)

I(f, σρ, 1)  =  I(f, σr, 3)  für alle r > 0,(nach Symmetrie)

(ii)

limr  ∞ I(f, σr, k) = 0  für k = 2, 4.(Übung)

In jedem Rechteck σr befindet sich nur der Pol i π/2 mit dem Residuum

resi π/2(f)  =  1cosh′(i π/2)  =  1sinh(i π/2)  =  2eiπ/2 − e− i π/2  =  22i  =  − i.

Damit ergibt sich

−∞ 1cosh(x) dx  =  limr  ∞ 12 σr f (z) dz  =  12 2 π i (− i)  =  π.

Dieses Ergebnis lässt sich auch in der reellen Analysis erhalten, da

 1cosh(x) dx  =  2 arctan(tanh(x/2)),

lim ± ∞ 2 arctan(tanh(x/2))  =  2 arctan(±1)  =  ± 2 (π/4)  =  ± π/2.

Das ist erfreulich und kein Nachteil der komplexen Methode.