Domain Coloring
Wir möchten eine komplexe Funktion f : P → ℂ zu visualisieren. Hierzu färben wir zunächst (unabhängig von f), die komplexe Zahlenebene ℂ ein:
Unsere Grundfärbung der komplexen Ebene (zusammen mit einem polaren Gitter)
Bewegen wir uns auf einem Kreis beginnend auf der positiven x-Achse gegen den Uhrzeigersinn, so durchlaufen wir das Farbspektrum von rot über gelb, grün, türkis, blau und violett, bis wir wieder bei rot ankommen. Die Farben verblassen für größere Radien, für kleinere Radien werden sie intensiver. Der Nullpunkt wird schwarz eingefärbt. Dem symbolischen Wert ∞ in ℂ = ℂ ∪ { ∞ } ordnen wir „die verblasste Farbe“ Weiß zu (der Leser stelle sich die Färbung auch auf der Zahlenkugel vor). Die Farben Rot-Gelb entsprechen dem ersten Quadranten, Grün findet sich im zweiten, Blau im dritten und Violett-Pink im vierten. Warme Farben liegen in der rechten Halbebene, kalte in der linken. Reelle Zahlen sind rot oder türkis, rein imaginäre Zahlen hellgrün oder violett.
Ein polares Gitter dient der Orientierung. In der Regel verwenden wir zwölf polare Halbstrahlen wie bei einer Uhr und eine kontextabhängige Anzahl von Radien (im Bild r = 1, …, 4). Die Winkel der zwölf Polarstrahlen sind gegeben durch φk = k π/6 mit k = −5, …, 6. Wir färben das Gitter mit abgedunkelten Farben ein. Manchmal zeichnen wir auch einfach ein graues Gitter (weniger Rechenaufwand) oder puristisch gar kein Gitter (reiner Farbplot).
Prinzipiell ist jeder Farbverlauf geeignet (z. B. weiß für Nullstellen, schwarz für ∞). Ist nichts anderes angegeben, so wird der Verlauf wie im obigen Diagramm verwendet. Jede injektive Färbung der Ebene führt zu einer Farbdarstellung einer komplexen Funktion:
Farbkeismethode (Domain Coloring)
Sei f : P → ℂ eine komplexe Funktion. Wir erzeugen ein f darstellendes Farbdiagramm, indem wir jeden Punkt z ∈ P mit der Farbe f (z) der gewählten Färbung einfärben.
Liegt f (z) auf dem gewählten Gitter, so färben wir z entsprechend der dortigen Gitterfarbe ein.
Wir stellen zusammen:
Grundlegende Eigenschaften der Farbkreismethode
(1) | Nullstellen entsprechen schwarzen Punkten. Ein z ∈ ℂ wird genau dann schwarz gefärbt, wenn f (z) = 0, d. h. wenn z ∈ f −1[ { 0 } ] (Urbild der Einermenge 0). |
(2) | f ist genau dann injektiv, wenn keine Farbe mehrfach verwendet wird. Ebenso ist f ist genau dann surjektiv, wenn jede Farbe verwendet wird. |
(3) | Intensive Farben entsprechen Funktionswerten mit f (z) mit kleinen Beträgen |f (z)|. Analog entsprechen blasse Farben Funktionswerten f (z) mit großen Beträgen |f (z)|. |
(4) | Eine Polstelle p (d. h. limz → p f (z) = ∞) erscheint als weißer Punkt. |
(5) | Reelle Werte f (z) sind schwarz (f (z) = 0), ein gewisses rot (f (z) > 0) oder ein gewisses türkis (f (z) < 0). Wir nennen diese Farben auch reell-rot bzw. reell-türkis. Analoges gilt für rein imaginäre Werte und allgemeine Winkel. Werte, die auf der ersten Winkelhalbierenden der Ebene liegen, sind zum Beispiel ein gewisses orange oder blau. |
(6) | Die Verwendung von Gitterfarben führt für eine stetige Funktion f zu verzerrten Gittern im Farbplot von f. Ein solches verzerrtes Gitter ist für nicht injektive Funktion nicht eindeutig: So wie die schwarzen Punkte die Urbildmenge f −1[ { 0 } ] = { z ∈ P | f (z) = 0 } repräsentieren, so zeigen die verzerrten Gitter die Urbildmenge des polaren Gitters unter f. Grob gesprochen gilt: Um jede Nullstelle liegt ein stetig verzerrtes Gitter. Wir werden sehen, dass komplex differenzierbare Funktionen winkeltreu sind (außerhalb der Nullstellen), sodass die Gitter rechtwinklig sind. |
Wir betrachten zwei einfache Beispiele. Im ersten Abschnitt behandeln wir die elementaren komplexen Funktionen systematisch mit zahlreichen Diagrammen.
Die Funktion f : ℂ → ℂ mit f (z) = i z für alle z ∈ ℂ.
Jedes z ∈ ℂ wird um π/2 gegen (!) den Uhrzeigersinn gedreht.
Die Normalparabel f mit f (z) = z2 für alle z ∈ ℂ. Augenfällig ist der doppelte Durchlauf des Farbkreises und der Erhalt der rechten Winkel. Wir diskutieren die Normalparabel (und die Abbildung) ausführlich im Kapitel „Parabeln“ im ersten Abschnitt.
Die inverse Farbkreismethode
Beim Betrachten des Diagramms für die Rotation f (z) = i z fällt auf:
Optischer Invertierungseffekt
Jedes z im Definitionsbereich von f erhält die Farbe des Punktes f (z) der Grundfärbung. Ist beispielsweise „i-Grün“ die Farbe der imaginären Einheit i, so sind genau die Punkte im Urbild f −1[ { i } ] i-grün gefärbt. Ist konkret f : ℂ → ℂ die Drehung um π/2 gegen den Uhrzeigersinn, d. h. f (z) = i z, so wird der Punkt 1 i-grün eingefärbt (da f (1) = i). Analog wird i (−1)-türkis gefärbt (da f (i) = −1) usw. Der Farbplot entsteht also durch eine Drehung des Farbkreises π/2 im Uhrzeigersinn.
Für eine injektive reelle Funktion erhalten wir den Graphen der Umkehrfunktion durch Spiegelung an der Winkelhalbierenden oder (ungewohnt, aber noch einfacher) durch Lesen des Graphen von f mit der y-Achse als Definitionsachse. Für die komplexen Farbplots ist eine ähnliche Lesart möglich:
Inverse Farbkreismethode, Farbverschiebung
Sei g : P → ℂ injektiv. Gilt g(z) = w, so färben wir w mit der Grundfarbe von z ein. Anders formuliert: Wir verschieben die z-Farbe nach w (Farbverschiebung, Farbtransport). Dies tun wir für alle z ∈ P.
Die Injektivität stellt sicher, dass wir einen Punkt w nicht mit verschiedenen Farben verschmieren. Für nicht injektive Funktion brauchen wir verschiedene „dünne Blätter“, um die Farben in Schichten eintragen zu können.
Bei der ersten Methode wird der Punkt z mit f (z) eingefärbt. So wie wir in den reellen Zahlen einen Wert f (x) bei x (darüber oder darunter) eintragen, so tragen wir f (z) auf z auf (als Farbe). Bei der zweiten Methode schicken wir z (als Farbe) zum Punkt g(z). Anders formuliert: Methode 1 ist ein Maler, der gemäß f malt im Sinne von „Malen nach Funktionswerten“. Methode 2 ist ein Transporter, der die Farben der Grundfärbung gemäß g verschiebt.
Bei der zweiten Methode kann keine Farbe doppelt auftreten. Genauer treten genau die Farben des Definitionsbereichs P von g im Plot auf, und sie füllen den Wertebereich von g. Bei der ersten Methode tauchen genau die Farben im Wertebereich von f auf, und sie füllen den Definitionsbereich von f.
Plotten wir f mit f (z) = i z nach der zweiten Methode, so wird der Farbkreis um π/2 gegen den Uhrzeigersinn gedreht, wie bei einer Drehung eines Farbrades. Allgemein ist bei der zweiten Methode das Polargitter das durch f dynamisch verzerrte Gitter. Die inverse Methode zeigt zum Beispiel das Bild g[ K ] des Einheitskreises K unter g. Dies ist inbesondere für invertierbare Matrizen so natürlich, dass sich hier die Farbverschiebung als primäre Methode anbietet. Wir zeigen dies anhand eines Beispiels und verweisen den interessierten Leser auf „Das Buch der Ellipsen“ für weitere Bilder.
Die Matrix A = ((2, 1); (1, 3)) dargestellt als Funktion A : ℝ2 → ℝ2 nach Methode 1.
Die Matrix A−1 = 1/5 ((3, −1); (−1, 2)). Die innere Ellipse ist das Bild A[ K ] des Einheitskreises K unter A. Es bietet sich in der linearen Algebra an, dieses Diagramm zur Visualisierung von A zu verwenden, d. h. die zweite Methode als Standard für invertiere Matrizen zu wählen. Obiges Diagramm ist dann das Diagramm für A−1. Die Beispiele zeigen, dass rechte Winkel nicht immer erhalten bleiben.