2.8Die Dezimaldarstellung

Definition (Dezimaldarstellung)

(a)

Seien m  ∈   und d1, d2, …, dn, … eine Folge von Zahlen mit di  ∈  { 0, …, 9 } für alle n ≥ 1. Dann nennen wir den Ausdruck m, d1 d2 d3 … einen unendlichen Dezimalbruch mit den Dezimalziffern d1, d2, d3 …

(b)

Jedem Dezimalbruch m, d1 d2 d3 … ordnen wir eine reelle Zahl zu, die wir ebenfalls mit m, d1 d2 d3 … bezeichnen. Wir setzen hierzu:

m, d1 d2 d3 …  =  sup({ m,d1 … dn | n ≥ 1 }),

wobei die endlichen Dezimalbrüche m,d1 … dn  ∈   definiert sind durch

m, d1 … dn  =  m  +  d1/10  +  d2/100  +  …  +  dn/10n.

(c)

Gilt x = ± m, d1 d2 d3 … für eine reelle Zahl x, so nennen wir ± m, d1 d2 d3 … eine Dezimaldarstellung oder Dezimalbruchentwicklung von x.

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4,1245649275631843…  =  sup({ 4;  4,1;  4,12;  4,124;  4,1245;  …   })

 Strenger sollte man vielleicht (m, d1, d2, d3, …) für Dezimalbrüche und dann weiter m,d1 d2 … für die durch den Dezimalbruch bezeichnete reelle Zahl schreiben. Die Identifizierung einer Folge mit einer reellen Zahl ist aber in der Regel ungefährlich und einfacher zu handhaben.

 In den endlichen Dezimalbrüchen m,d1 … dn verwenden wir gewisse endliche Summen, die uns auch in  und 𝔸 zur Verfügung stehen. Ein wesentlicher Einsatz des Vollständigkeitsaxioms erlaubt uns für  die Definition von

m,d1 d2 d3 …  =  sup({ m,d1 … dn | n ≥ 1 }).

Die Menge des Supremums ist nichtleer und nach oben beschränkt durch m + 1. Also existiert das Supremum in . Wir haben damit unendliche Dezimalbrüche eingeführt, ohne unendliche Summen zu diskutieren. Dies ist aufgrund der Monotonie

m  ≤  m,d1  ≤  m,d1 d2  ≤  …  ≤  m,d1 … dn  ≤  …

möglich. Kennt man unendliche Summen, so kann man zeigen, dass

m,d1 d2 d3 …  =  a  +  d1/10  +  d2/100  +  …  +  dn/10n  +  …

Zur Definition und ersten Ergründung der Phänomene der Dezimaldarstellung genügt aber der Supremumsbegriff. Die Summenform diskutieren wir in 4. 4.

Beispiele
0  =  0,000…,  1  =  1,000…  =  0,999…, 
1/20  =  0,05…  =  0,04999…, 1/7  =  0,142857142857142857…, 
1/22  =  0,0454545…,2  =  1,4142135356237309…, 
π  =  3,1415926535897932…, e  =  2,7182818284590452…

 Während die Dezimaldarstellung von rationalen Zahlen eher in das Gebiet der elementaren Zahlentheorie fällt, ist es eine Aufgabe der Analysis, Methoden zur Darstellung von 2, π, e, log(2), sin(π/8) usw. zu finden. Dies gelingt unter anderem durch die sog. Potenzreihenentwicklung von Funktionen.

 Das bekannte Phänomen der zweideutigen Darstellung lässt sich mit der obigen Supremumsdefinition klar erklären:

Die reelle Zahl 0,999… ist definiert als das Supremum der Menge

X  =  { 0;  0,9;  0,99;  0,999; … }.

Dieses Supremum ist gleich 1. Also gilt 1 = 0,999…

Zur Begründung, warum sup(X) = 1 ist, beobachten wir, dass jeder endliche Dezimalbruch 0,9…9 kleiner als 1 ist. Damit ist 1 eine obere Schranke von X und somit gilt sicher sup(X) ≤ 1. Andererseits ist sup(X) < 1 unmöglich, da aufgrund der archimedischen Anordnung von  die Differenzen 1/10k = 0,0…01 = 1 − 0,9…9 mit wachsender Zahl k der Nachkommastellen kleiner werden als jede positive Zahl. Die Überlegung zeigt auch, dass die Doppeldeutigkeit bereits in  auftritt. Die Menge X ⊆  besitzt auch im angeordneten Körper  das Supremum 1.

 Insgesamt lässt sich zeigen:

Satz (Ein- und Zweideutigkeit der Dezimaldarstellung)

Jede irrationale Zahl besitzt genau eine und jede rationale Zahl genau eine oder genau zwei Dezimaldarstellungen. Die rationalen Zahlen sind durch periodische Darstellungen gekennzeichnet und zweideutige Darstellungen treten genau für die Zahlen der Form n/(2a 5b), n ≠ 0, a, b ≥ 0 auf. Für diese Zahlen enden die beiden Darstellungen in der Periode 0 bzw. 9.

 Ob man 0,05 = 0,0500… oder 0,04999… bevorzugt, ist Geschmackssache. Während viel für 0,05 spricht, erbt 0,04999… von den eindeutigen Darstellungen die Eigenschaft, dass die Darstellung eine streng monoton wachsende Approximation mitliefert. Dagegen hat man bei 0 = 0,000… keine Wahl.

 Wählt man statt { 0, …, 9 } die Menge { 0, …, b } für ein b ≥ 1 als Nachkommaziffern, so liefert der gleiche Ansatz die sog. b-adischen Entwicklungen.

Beispiel

Für b = 2 (Dualdarstellung, dyadische Entwicklung) gilt

1  =  0,111…  =  sup({ 0;  0,1;  0,11;  … })  =  sup({ 0,  1/2,  1/2 + 1/4,  … }).