3.4 Die Limesregeln
Satz (Limesregeln für punktweise Operationen)
Seien (xn)n ∈ ℕ und (yn)n ∈ ℕ konvergente Folgen in ℝ, und sei c ∈ ℝ. Dann sind
(xn + yn)n ∈ ℕ, (c xn)n ∈ ℕ,
(xn − yn)n ∈ ℕ, (xn · yn)n ∈ ℕ
konvergent und es gilt:
limn (xn + yn) = limn xn + limn yn,
limn (c xn) = c limn xn,
limn (xn − yn) = limn xn − limn yn,
limn (xn · yn) = limn xn · limn yn.
Gilt yn ≠ 0 für alle n und limn yn ≠ 0, so konvergiert (xn/yn)n ∈ ℕ mit
limn ( xnyn ) = limn xnlimn yn .
Das Diagramm zeigt die je ersten 50 Glieder der drei Folgen (xn)n ≥ 1, (xn2)n ≥ 1 und (xn3)n ≥ 1 mit
xn = (1 + 1/n)n für alle n ≥ 1.
Die erste Folge konvergiert gegen die Eulersche Zahl e, die beiden anderen gegen e2 und e3 (vgl. Beispiel (4)). Der ε-Streifen für ε = 1/2 zeigt, wie in diesem Beispiel die Geschwindigkeit der Konvergenz durch die Produktbildung abnimmt.
Hier wurde die ebenfalls gegen e konvergente Folge (xn)n ∈ ℕ mit
xn = ∑k ≤ n 1/k! für alle n
verwendet (vgl. 4.12). Die Konvergenz ist auch für die Produkte noch sehr gut.
Für die Summe zweier Folgen
(xn)n ∈ ℕ + (yn)n ∈ ℕ = (xn + yn)n ∈ ℕ
gilt also im Fall der Konvergenz: Der Grenzwert der Summe ist die Summe der Grenzwerte. Allgemeiner:
Für konvergente Folgen dürfen eine Limesbildung und eine punktweise arithmetische Operation in beliebiger Reihenfolge ausgeführt werden.
Die Vertauschbarkeit von Operationen ist eines der Grundmotive der Mathematik, dem wir noch öfter begegnen werden (etwa bei der Limesstetigkeit einer Funktion, vgl. 5.1).
Die oft mühsame Bestimmung von Grenzwerten durch den Nachweis der Konvergenzbedingung wird durch die Limesregeln sehr erleichtert. Sie stellen uns einen „ε-freien“ Kalkül zur Verfügung. Weiter erlauben sie einen eleganten Beweis der Existenz von Wurzeln in ℝ (vgl. Beispiel (6)).
Beispiele
(1) | Es gilt (1, 1/2, 1/3, …) − (1/(1 · 2), 1/(2 · 3), 1/(3 · 4), …) = (1 − 1/2, 1/2 − 1/6, 1/3 − 1/12, …) = (1/2, 1/3, 1/4, …), d. h. (1n)n ≥ 1 − (1n (n + 1))n ≥ 1 = (1n + 1)n ≥ 1. |
(2) | Für alle c ∈ ℝ gilt limn c = c. Wegen limn 1/(n + 1) = 0 ist also limn ≥ 1 (c + 1n + 1) = c + 0 = c. Allgemeiner gilt: Ist (xn)n ∈ ℕ eine gegen x konvergente Folge und (yn)n ∈ ℕ eine Nullfolge, d. h., gilt limn yn = 0, so gilt limn (xn + yn) = limn xn + limn yn = x + 0 = x. Wir können also eine konvergente Folge punktweise ohne Veränderung des Grenzwertes modifizieren, wenn wir dies in einer „im Limes unwesentlichen“ Art und Weise tun. |
(3) | Es gilt (0, 1, 0, 1, 0, 1, …) + (1, 0, 1, 0, 1, 0, …) = (1, 1, 1, …). Zwei divergente Folgen können also eine konvergente Summe haben. Aus der Existenz von limn xn + yn darf man im Allgemeinen nicht schließen, dass die Grenzwerte limn xn und limn yn existieren. |
(4) | Es gelte limn xn = x. Dann gilt limn (xn2) = limn (xn xn) = (limn xn) · (limn xn) = x · x = x2. Induktiv zeigt man, dass allgemeiner limn (xnk) = xk für alle k ≥ 1 gilt. |
(5) | Es gilt limn ≥ 1 1 + 2 n2n3 = limn ≥ 1 (1n3 + 2 n2n3) = (limn ≥ 1 1n)3 + 2 limn ≥ 1 1n = 03 + 2 · 0 = 0. |
(6) | Wir zeigen mit Hilfe der Limesregeln, dass existiert. Nach dem Vollständigkeitsaxiom existiert s = sup({ x ∈ ℝ | x2 ≤ 2 }). Nun gilt aber 2 ≤ limn ≥ 1 (s + 1/n)2 = (s + 0)2 = s2 = (s − 0)2 = limn (s − 1/n)2 ≤ 2. Damit ist s2 = 2. Das Argument lässt sich leicht verallgemeinern, um die Existenz von n-ten Wurzeln zu zeigen. |