4.5Die harmonische Reihe

Satz (Divergenz der harmonischen Reihe)

Für die sog. harmonische Reihe

n ≥ 1 1/n  =  1  +  1/2  +  1/3  +  1/4  +  1/5  +  …  +  1/n  +  …

gilt:   (a)  n ≥ 1 1/n  =  +∞,  (b)  limn ≥ 1 1/n  =  0.

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Die ersten 25 Partialsummen sn der harmonischen Reihe.

Die Zahlen sn = 1 ≤ k ≤ n heißen auch harmonische Zahlen.

 Die harmonische Reihe ist ein Beispiel für eine divergente Reihe, deren Summanden eine Nullfolge bilden. Eine Berechnung der Partialsummen zeigt, dass die harmonische Reihe sehr langsam wächst. So gilt z. B.

1  +  …  +  1/10000  ∼  9.78761.

Dies scheint eher Konvergenz anzudeuten. Eine verblüffend einfache Argumentation zeigt jedoch, dass die harmonische Reihe divergiert. Das Argument gehört zu den Klassikern der Mathematik.

Beweis der Divergenz der harmonischen Reihe

Die Idee ist, die Summanden der Reihe zu Blöcken der Länge 1, 2, 4, 8, 16, … zusammenzufassen:

1  + 
(1/2  +  1/3)  + 
(1/4  +  1/5  +  1/6  +  1/7)  + 
(1/8  +  1/9  +  1/10  +  1/11  +  1/12  +  1/13  +  1/14  +  1/15)  + 

Der erste Block ist größer als 1/2. Der zweite Block hat zwei Summanden, die beide größer als 1/4 sind, also ist dieser Block größer als 2/4 = 1/2. Analog hat der dritte Block vier Summanden größer als 1/8, also ist dieser Block größer als 4/8 = 1/2. Allgemein hat der k-te Block 2k − 1 Summanden größer als 1/2k und ist damit größer als 2k − 1/2k = 1/2. Summieren wir also n Blöcke auf, so erhalten wir eine Partialsumme der harmonischen Reihe, die größer als n/2 ist. Da die Partialsummen monoton steigen, folgt n ≥ 1 1/n = +∞.

 Die harmonische Reihe besitzt viele bemerkenswerte Eigenschaften. Auf drei von ihnen wollen wir noch etwas genauer eingehen.

Zusammenhang zum natürlichen Logarithmus
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Sei log der Logarithmus zur Basis e.

Dann existiert

C  =  limn (1 ≤ k ≤ n 1/k  −  log(n)).

C heißt Euler-Mascheroni-Konstante.

Es gilt

C  =  0,57721566…

Die Konvergenzaussage wird falsch, wenn wir einen Logarithmus zu einer anderen Basis wählen. Insofern „steckt“ die Eulersche Zahl e in n ≥ 1 1/n.

Exponenten größer als 1 im Nenner
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Die ersten Partialsummen von 1 + 1/4 + 1/9 + …

Für k = 2, 3, 4, … konvergiert

n ≥ 1 1/nk  =  1  +  1/2k  +  1/3k  +  …

Speziell gilt, wie schon erwähnt,

n ≥ 1 1/n2  =  π2/6  ∼  1,64493.

Allgemeiner ist n ≥ 1 1/nx für alle x > 1 konvergent, sodass also n ≥ 1 1/n1,01 existiert. Die Funktion

f : ] 1, ∞ [    mit  f (x)  =  n ≥ 1 1/nx  für alle x > 1

besitzt an der Stelle 1 einen Pol, der der Divergenz der harmonischen Reihe entspricht. Die Fortsetzung dieser Funktion ins Komplexe führt zur Riemannschen Zetafunktion und dem bislang ungelösten Problem ihrer Nullstellen (Riemannsche Hypothese).

Ausdünnungen der harmonischen Reihe

Man kann zeigen, dass die Reihe

p prim 1/p  =  1/2  +  1/3  +  1/5  +  1/7  +  1/11  +  1/13  +  1/17  +  …

immer noch divergent ist. Es folgt, dass die Menge der Primzahlen unendlich sein muss, sonst wäre die Summe endlich. Dagegen konvergiert die Ausdünnung

n ≥ 1, n ist 9-frei 1/n  =  1/1 + 1/2 + 1/3  +  …  +  1/8  +  1/10  +  …  +  1/18  +  1/20  +  …,

wobei ein n 9-frei heißen soll, wenn die Dezimaldarstellung von n keine 9 enthält. Umgekehrt bedeutet dies, dass die folgende Reihe divergiert:

1/9  +  1/19  +  1/29  +  …  +  1/89  +  1/90  +  1/91  +  …  +  1/99  +  1/109  +  …