2.11Polynomringe und Polynomfunktionen

Definition (Polynom, Polynomring, Koeffizient, Unbestimmte, Grad, normiert)

Sei R ein kommutativer Ring. Wir setzen:

R()  =  „die Menge aller Folgen p = (pn)n ∈  in R, die schließlich gleich 0 sind“  = 
{ (pn)n ∈   ∈  R | es gibt ein n0, sodass pn = 0 für alle n ≥ n0 }.

Für alle p = (pn)n ∈ , q = (qn)n ∈  in R() definieren wir

p  +  q  =  (pn + qn)n  ∈  ,

p · q  =  (m ≤ n pm qn − m)n  ∈  .

Der so entstehende Ring R() heißt der Polynomring über R. Die Elemente von R() heißen Polynome. Für p  ∈  R() und n ≥ 0 heißt pn der n-te Koeffizient von p.

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(3, −1, 2, 0, 0, 0, …) · (1, 2, 2, 0, 0, 0, …)  = 

(2X2 − X + 3) · (2X2 + 2X + 1)  = 

4X4 + (−2 + 4)X3 + (6 − 2 + 2)X2 + (6 − 1)X + 3  =

4X4 + 2X3 + 6X2 + 5X + 3  =

(3, 5, 6, 2, 4, 0, 0, 0, …)

Einführung einer Unbestimmten

Wir setzen

X  =  (0, 1, 0, 0, 0, …)

und schreiben oft R[ X ] anstelle von R().

Grad eines Polynoms

Wir definieren die Gradfunktion deg : R()   ∪ { −∞ } durch

deg(p)=kfalls pk0undpn=0fürallenk,falls pn=0fürallen.

Wir nennen deg(p) den Grad von p. Hat p den Grad k ≥ 0, so heißt pk der Leitkoeffizient von p. Ist der Leitkoeffizient gleich 1, so heißt p normiert.

 Im Polynomring R[ X ] = R() gilt 0 = (0, 0, 0, …) (Nullpolynom) und 1 = (1, 0, 0, 0, …). Die Unbestimmte X ist ein spezielles Polynom. Für alle n ≥ 0 und p, q  ∈  R[ X ] gilt

Xn  =  (0, …, 0, 1, 0, 0, 0, …),  mit n Nullen vor der 1,
p  =  n ≤ deg(p) pn Xn  =  p0  +  p1 X  +  …  +  pnXn, wobei  n  =  deg(p),
p · q  =  n ≤ deg(p) + deg(q) cn Xn, wobei  cn = m ≤ n pm qn − m.

Diese „termartigen“ Darstellungen beherrschen den Umgang mit Polynomen.

Beispiele

Sei R = . Wir schreiben kurz (p1, …, pn) statt (p1, …, pn, 0, 0, 0, …). Dann gilt

(1, 0, 1)  =  1  +  X2,

(1, 1) (1, 1)  =  (1 + X)(1 + X)  =  (1 + X)2  =  1 + 2X + X2  =  (1, 2, 1),

(1, 1) (1, −1)  =  (1 + X)(1 − X)  =  1 − X2  =  (1, 0, −1),

(3, −1, 2) · (1, 2, 2)  =  (3, 5, 6, 2, 4)  (vgl. obiges Diagramm).

 Der Grad eines Polynoms ist ein Maß für seine Komplexität. Dabei ist deg(0) = −∞ eine nützliche Konvention. Die Polynome der ersten Grade haben die Formen:

(0, 0, 0, …)  =  0 (Grad −∞)
(p0, 0, 0, 0, …)  =  p0   p0  ≠  0, (Grad 0)
(p0, p1, 0, 0, 0, …)  =  p0  +  p1 X    p1  ≠  0. (Grad 1)

Rechenregeln für den Grad

deg(p + q)  ≤  max(deg(p), deg(q)),  deg(p · q)  ≤  deg(p) + deg(q).

Ist der Ring R nullteilerfrei, so gilt Gleichheit für das Produkt.

 Durch Einsetzen von Ringelementen für X in k ≤ n pk Xk erhalten wir Funktionen:

Definition (Polynomfunktionen, Nullstelle)

Für p = k ≤ deg(p) pk Xk  ∈  R[ X ] ist die Polynomfunktion fp : R  R definiert durch

fp(x)  =  k ≤ deg(p) pkxk  für alle x  ∈  R.

Gilt fp(w) = 0 für ein w  ∈  R, so heißt w eine Nullstelle von p.

 In der Regel sind p und fp zu unterscheiden:

Beispiel

Für p = (X − [ 0 ])(X − [ 1 ])(X − [ 2 ])  ∈  3[ X ] gilt fp(x) = 0 für alle x  ∈  3. Damit gilt fP = f0 mit dem Nullpolynom 0, aber es gilt p ≠ 0. Gleiches gilt für pn, n ≥ 1.

 Für viele Ringe R und insbesondere für jeden unendlichen Körper kann man aber zeigen, dass fp ≠ fq für p ≠ q. Eine Identifizierung von p und fp ist dann möglich. Sie wird speziell in analytischen Überlegungen (für R =  oder R = ) oft durchgeführt.

Allgemeinere Einsetzungen

Ist A ein zweiter Ring und · : R × A  A erklärt, so ist k ≤ n pk xk  ∈  A für alle pk  ∈  R und x  ∈  A definiert. Wir erhalten so für alle p  ∈  R[ X ] eine Polynomfunktion der Form fp : A  A. Ein Beispiel werden wir in Kapitel 8 kennenlernen, wenn wir Matrizen in ein Polynom einsetzen.