4.8 Fasern und lineare Gleichungssysteme
Definition (Urbildmenge Lf(w) eines Vektors unter einer linearen Abbildung)
Seien V, W K-Vektorräume, und sei f : V → W linear. Weiter sei w ∈ W. Dann setzen wir
Lf(w) = f −1[ { w } ] = { v ∈ V | f (v) = w }. (Faser von f über w)
Lf(w) = v0 + Kern(f)
Der Kern
Kern(f) = { v ∈ V | f (v) = 0 }
einer linearen Abbildung besteht aus allen Vektoren von V, die auf den Nullvektor abgebildet werden. Nun lassen wir anstelle des Nullvektors einen beliebigen Vektor w aus W zu und sammeln in
Lf(w) = { v ∈ V | f (v) = w }
alle Vektoren von V, die auf w abgebildet werden. Es gilt Kern(f) = Lf(0). Die Menge Lf(w) ist nichts anderes als die in 1. 7 eingeführte Faser von f über w. Wir werden gleich sehen, dass Fasern eng mit der Lösung von linearen Gleichungssystemen verknüpft sind, was die Wahl des Buchstabens „L“ (für Lösungsmenge) motiviert.
Wir hatten gezeigt, dass der Kern einer linearen Abbildung ein Unterraum von V ist. Speziell ist 0 ∈ Lf(0). Allgemeine Fasern Lf(w) können dagegen leer sein. Es gilt:
Lf(w) ist ein affiner Unterraum von V.
Ist Lf(w) ≠ ∅ und v0 ein beliebiges Element von Lf(w), so gilt
Lf(w) = v0 + Lf(0) = v0 + Kern(f).
Ist also Kern(f) endlich-dimensional, so ist dim(Lf(w)) = dim(Kern(f)).
Die Aussagen ergeben sich aus dem Homomorphiesatz, lassen sich aber auch direkt einsehen: Für Lf(w) = ∅ ist nichts zu zeigen. Sei also v0 ∈ Lf(w). Ist nun v ∈ Kern(f), so gilt
f(v0 + v) = f (v0) + f (v) = w + 0 = w,
sodass v0 + v ∈ Lf(w). Damit ist v0 + Kern(f) ⊆ Lf(w). Ist umgekehrt v ∈ Lf(w), so gilt
f(v − v0) = f (v) − f (v0) = 0 − 0 = 0,
sodass v = v0 + (v − v0) ∈ v0 + Kern(f). Damit ist auch Lf(w) ⊆ v0 + Kern(f). Dies zeigt, dass Lf(w) der durch „beliebiges Element + Kern“ gegebene affine Unterraum von V ist.
Beispiele
(1) | Sei f : ℝ2 → ℝ die Projektion auf die erste Komponente. Dann gilt Lf(1) = (1, 0) + Kern(f) = (1, 4) + Kern(f) mit Kern(f) = { (0, y) | y ∈ ℝ }. |
(2) | Sei f : ℝ2 → ℝ2 die Drehung um π/2, f(x, y) = (−y, x). Dann gilt Lf(1, 1) = (1, −1) + Kern(f) = (1, −1) + { 0 } = { (1, −1) }. |
(3) | Sei f : ℝ3 → ℝ2 definiert durch f(x, y, z) = (x, x). Dann gilt Lf(0, 1) = ∅. |
Zusammenhang mit linearen Gleichungssystemen
Ein lineares Gleichungssystem wird oft in der Form
α1, 1 x1 + α1, 2 x2 + … + α1, n xn = b1
…
αm, 1 x1 + αm, 2 x2 + … + αm, n xn = bm
präsentiert, mit gegebenen Elementen αi, j, bi eines Körpers K. Die αi, j heißen dann die Koeffizienten und b = (b1, …, bm) ∈ Km die rechte Seite oder der Zielvektor des Systems. Ist b = 0, so heißt das System homogen, andernfalls heißt es inhomogen. Die Lösungsmenge L des Systems besteht aus allen Vektoren x = (x1, …, xn) ∈ Kn, für die alle Gleichungen erfüllt sind. Definieren wir nun f : Kn → Km durch die linke Seite des Systems (sodass die αi, j die darstellenden Koeffizienten von f sind, vgl. 4. 7), so gilt
L = Lf(b), wobei b = (b1, …, bm).
Damit kann man ein Gleichungssystem auch kompakt in der Form
f (x) = b (Abbildungsnotation für Gleichungssysteme)
notieren. Unsere Ergebnisse zeigen: L ist ein affiner Unterraum des Kn. Ist L ≠ ∅ und x0 irgendeine Lösung des Systems (eine „spezielle Lösung“), so gilt
L = x0 + L0, (Lösungsmenge = spezielle Lösung + homogene Lösungsmenge)
wobei L0 = Lf(0) die Lösungsmenge des zugeordneten homogenen Systems ist, bei dem die αi, j gleich bleiben, aber alle bi = 0 sind.
Beispiele
(1) | Beispiel (1) oben entspricht dem System 1 x + 0 y = 1. |
(2) | Beispiel (2) oben entspricht dem System: 0 x − 1 y = 1 1 x + 0 y = 1 |
(3) | Beispiel (3) oben entspricht dem unlösbaren System: 1 x + 0 y + 0 z = 0 1 x + 0 y + 0 z = 1 |
In den Spalten der Systeme stehen die Bilder der Basisvektoren e1, …, en unter f.