6.4 Normierte Vektorräume
Definition (Norm auf V, induzierte Norm eines Skalarprodukts)
Sei V ein K-Vektorraum mit K = ℝ oder K = ℂ. Eine Abbildung ∥ · ∥ : V → [ 0, ∞ [ heißt eine Norm auf V, falls für alle v, w ∈ V und λ ∈ K gilt:
(a) | ∥ λv ∥ = |λ| ∥ v ∥, (Homogenität) |
(b) | ∥ v + w ∥ ≤ ∥ v ∥ + ∥ w ∥, (Dreiecksungleichung) |
(c) | ∥ v ∥ > 0, falls v ≠ 0. (Definitheit) |
Ein v ∈ V heißt normiert, falls ∥ v ∥ = 1. Für alle v ∈ V − { 0 } heißt N(v) = v/∥ v ∥ die Normierung von v.
Ist V euklidisch oder unitär, so heißt die Abbildung ∥ · ∥ : V → [ 0, ∞ [ mit
(+) ∥ v ∥ = für alle v ∈ V
die durch das Skalarprodukt induzierte Norm oder die euklidische Norm auf V.
Der Begriff der Norm ist durch die essentiellen Eigenschaften der euklidischen Länge eines Vektors im ℝn oder ℂn motiviert. Wie für das allgemeine Skalarprodukt ist V ein beliebiger K-Vektorraum mit K = ℝ oder K = ℂ.
Dass die durch (+) definierte Abbildung tatsächlich eine Norm ist, folgt aus der Linearität und Definitheit des Skalarprodukts. Für K = ℂ gilt zum Beispiel
∥ λ v ∥2 = 〈 λ v, λ v 〉 = λ λ 〈 v, v 〉 = |λ|2 ∥ v ∥2 für alle λ ∈ ℂ, v ∈ V,
woraus sich die Homogenität ergibt. Die Dreiecksungleichung ist schwieriger zu zeigen. Man beweist hierzu genau wie für die kanonischen Skalarprodukte:
Cauchy-Schwarz-Ungleichung
Ist V euklidisch oder unitär, so gilt
|〈 v, w 〉| ≤ ∥ v ∥ ∥ w ∥ für alle v, w ∈ V. (Cauchy-Schwarz-Ungleichung)
Gleichheit gilt genau dann, wenn v und w linear abhängig sind.
Genau wie in 6. 2 ergibt sich nun die Dreiecksungleichung, und erneut gilt die allgemeinere Form ∥v∥ − ∥w∥ ≤ ∥ v ± w ∥ ≤ ∥v∥ + ∥w∥. Jedes Skalarprodukt induziert also eine Norm. Umgekehrt brauchen wir eine zusätzliche Eigenschaft, um aus einer Norm ein Skalarprodukt zu erzeugen:
Definition (Parallelogramm-Gleichung)
Eine Norm auf V erfüllt die Parallelogramm-Gleichung, falls für alle v, w ∈ V gilt:
∥ v + w ∥2 + ∥ v − w ∥2 = 2∥ v ∥2 + 2∥ w ∥2.
Damit können wir durchführen:
Polarisation von Pascual Jordan und John von Neumann
Ist V ein normierter K-Vektorraum mit Parallelogramm-Gleichung, so wird ein Skalarprodukt auf V definiert durch die Polarisations-Gleichungen
Weiter gilt: Die Norm eines Skalarprodukt erfüllt die Parallelogramm-Gleichung, und die Polarisation rekonstruiert das Skalarprodukt aus der Norm. Kurz:
Skalarprodukt = Norm + Parallelogramm-Gleichung.
Beispiele
(1) | Die Summennorm oder Manhattan-Norm auf dem Kn ist definiert durch ∥ x ∥ = |x1| + … + |xn| für alle x ∈ Kn. |
(2) | Die Maximumsnorm auf dem Kn ist definiert durch ∥ x ∥∞ = max1 ≤ i ≤ n |xi| für alle x ∈ Kn. |
(3) | Für alle p ∈ [ 1, ∞ [ ist die p-Norm auf dem Kn definiert durch ∥ x ∥p = (|x1|p + … + |xn|p)1/p für alle x ∈ Kn. Die Summen- und die euklidische Norm sind die p-Normen für p = 1 bzw. p = 2. Lediglich die 2-Norm erfüllt die Parallelogramm-Gleichung, sodass die p-Norm für p ≠ 2 von keinem Skalarprodukt abstammt. Illustration der Normen ∥ · ∥p auf dem ℝ2 für p = 1, 3, ∞. Gezeigt sind alle ∥ v ∥pv ∈ ℝ2, wobei v die Kreise der Radien r = 1, 2, 3 der 2-Norm durchläuft (übliche Kreise). Für andere p ergeben sich ähnliche Bilder. Die Werte p = 1 und p = ∞ bilden die Extremfälle. |
(4) | Sei V = 𝒞([ 0, 1 ], K) der K-Vektorraum aller stetigen f : [ 0, 1 ] → K. Dann sind die Maximumsnorm und für alle p ≥ 1 die p-Norm auf V definiert durch ∥ f ∥∞ = maxx ∈ [ 0, 1 ] |f (x)|, ∥ f ∥p = ( ∫10|f (x)|p dx )1/p. Diese Normen sind die kontinuierlichen Analoga der Normen auf dem Kn. |