Die Parametrisierung nach der überstrichenen Fläche

 Unsere Überlegungen zu Bogenlängen lassen sich analog für Flächen durchführen:

Definition (Umparametrisierung nach der überstrichenen Fläche)

Eine stetig differenzierbare Kurve f : I  2 heißt nach der überstrichenen Fläche parametrisiert oder kurz eine Flächen-Kurve, falls gilt:

1/2 |det(f (t), f ′(t))|  =  1  für alle t  ∈  I

Eine solche Kurve überstreicht in jedem Intervall [ t0, t1 ] ⊆ I die Fläche

12 t1t0 |det(f (t), f ′(t))| dt  =  t1 − t0

Auch dieser Kurventyp hat eine Besonderheit:

Kollinearität der Kurve und der zweiten Ableitung

Sei f : I  2 eine zweimal differenzierbare Flächen-Kurve. Dann gilt:

0 =  ddt det(f (t), f ′(t))  =  ddt (f1(t) f2′(t) − f1′(t) f2(t))
=  f1′(t) f2′(t) + f1(t) f2″(t) − f1″(t) f2(t) − f1′(t) f2′(t)
=  f1(t) f2″(t) − f1″(t) f2(t)  =  det(f (t), f ″(t))

Damit sind f (t) und f ″(t) kollinear.

 Physikalisch entspricht die Kollinearität einer Zentralkraft F, die einen Massepunkt zum Zentrum hin beschleunigt (anziehend oder abstoßend). Wir betrachten diese Kraftfelder im Abschnitt über Kegelschnitte in der Physik.

 Erneut gilt:

Satz (Umparametrisierung nach der überstrichenen Fläche)

Sei f : I  2 eine stetig differenzierbare Kurve mit I = [ a, b ]. Für alle t seien f (t) und f ′(t) linear unabhängig. Wir definieren ψ : I   durch

ψ(t)  =  12 ta | det(f (s), f ′(s))|  für alle t  ∈  I

Dann ist ψ streng monoton steigend und J = ψ[ I ] = [ 0, ar(f) ]. Wir setzen φ = ψ−1 : J  I und g = f ∘ φ : J  2. Dann ist g die eindeutige stetig differenzierbare orientierungserhaltende Umparametrisierung von f nach der überstrichenen Fläche mit φ(0) = a.

Beweis

Da f (t) und f ′(t) für alle t linear unabhängig sind, ist der Integrand der Definition von ψ überall positiv, sodass ψ streng monoton steigend ist. Sei s  ∈  J. Dann gilt:

φ′(s)  =  1ψ′(φ(s))  =  1| det(f (φ(s)), f ′(φ(s)))|  >  0

Mit der Kettenregel und der Bilinearität der Determinante erhalten wir:

|det(g(s), g′(s))| =  |det(f (φ(s)), φ′(s) f ′(φ(s)))|
 =  φ′(s) |det(f (φ(s)), f ′(φ(s)))|  =  1

Die Eindeutigkeit ergibt sich wie für Bogenlängen.

Bemerkung

Die Voraussetzung der linearen Unabhängigkeit von f (t) und f ′(t) für alle t entspricht der Voraussetzung der Regularität f ′(t) ≠ 0 für die Bogenlänge. Sie stellt sicher, dass sich f auf keinem Intervall [ t0, t1 ] auf einer Geraden durch den Nullpunkt bewegt und folglich in jedem Intervall positiver Länge eine positive Fläche überstreicht. Der Beweis zeigt, dass die lineare Unabhängigkeit an einer Stellte t äquivalent zur Differenzierbarkeit der Umparametrisierung φ an der Stelle s = ψ(t) ist.

Beispiel: Standardparametrisierung einer Ellipse

Seien a, b > 0 und sei f : [ 0, 2π ]  2 die Standardparametrisierung der Ellipse Ea, b. Dann gilt für alle t  ∈  [ 0, 2π ]:

f (t)  =  (a cos t, b sin t),  f ′(t)  =  (− a sin t, b cos t)

det(f (t), f ′(t))  =  a b cos2 t  +  a b sin2 t  =  a b (cos2 t + sin2 t)  =  ab

Damit erhalten wir ψ : [ 0, 2π ]  , φ  :  [ 0, π a b]   mit

ψ(t)  =  abt/2  für alle t  ∈  [ 0, 2π ],  φ(t)  =  2t/(ab)  für alle t  ∈  [ 0, π a b ]

Mit ω = 2/(ab) gilt g = f ∘ φ : [ 0, π a b ]  2 mit

g(t)  =  (a cos(ωt), b sin(ωt))  für alle t  ∈  [ 0, π a b ]

Die Kurve g ist eine Parametrisierung von E nach der überstrichenen Fläche mit Flächengeschwindigkeit 1. Die Standardparametrisierung f überstreicht wie g in gleichen Zeiten gleiche Flächen, jedoch mit der konstanten Flächengeschwindigkeit a b/2. Im Fall a b = 2 ist g = f. Dies ist zum Beispiel für die Ellipse E2, 1 der Fall.

 Wir werden den Satz über die Umparametrisierung nach der überstrichenen Fläche im Abschnitt über Ellipsen in der Physik zur Gewinnung von Gravitationsbahnen einsetzen.