Das Bild des Einheitskreises unter einer Matrix

 Ist A eine invertierbare Matrix und Q das den Einheitskreis K umgebende achsenparallele Quadrat, so ist A[ Q ] ein Parallelogramm und A[ K ] ein in dieses Parallelogramm einbeschriebener „linear verformter“ Kreis. Damit ist zu vermuten, dass A[ K ] eine Ellipse ist. Diese Vermutung ist richtig, aber ihr Nachweis und die Beschreibung der Ellipse ist keineswegs trivial.

ellipsen1-AbbIDmatrixel_para_1

Das Bild E = A [ K ] für A = ((−3, 1); (2, 2)), parametrisiert durch g : [ 0, 2π ]  2 mit

g(t)  =  A (cos t, sin t)  für alle t  ∈  [ 0, 2π ]

Das K umgebende Quadrat wird durch A in ein Parallelogramm P verformt, das E in den vier Punkten g(0), g(π/2), g(π) und g(3π/2) berührt.

 Wir versammeln einige Beobachtungen.

Einige Bilder sind nach Definition Ellipsen

Nach unseren Definitionen ist A[ K ] eine Ellipse, falls A von der Form A = diag(a, b) oder A = rotφ diag(a, b) ist. Dass das Bild A[ K ] des Kreises K unter einer beliebigen invertierbaren Matrix A = ((a, b), (c, d)) eine Ellipse ist, ist zwar glaubhaft, muss aber bewiesen werden.

Schnitte mit Halbstrahlen

Sei A invertierbar. Dann gibt es für jeden offenen Halbstrahl

S  =  { λ u | λ > 0 },  u  ∈  K1

genau ein v  ∈  K1 mit A v  ∈  S. Da nämlich A : 2  2 surjektiv ist, gibt es ein w  ∈  2 mit A w = u. Dann gilt w ≠ 0 und A ŵ = u/∥ w ∥  ∈  S. Also ist v = ŵ wie gewünscht. Die lineare Verformung A[ K ] von K trifft also jeden offenen Halbstrahl in genau einem Punkt. Damit hat A[ K ] keine Schleifen und keine Vorwärts- und Rückbewegungen. Diese Beobachtung ist natürlich kein Beweis dafür, dass A[ K ] eine Ellipse ist.

Genaue Form des Bildes

Auch wenn wir annehmen oder wissen, dass E = A[ K ] eine Ellipse ist, bleiben zahlreiche Fragen. Das obige Diagramm zeigt, dass der Start- und Endpunkt g(0) = A e1 der Parametrisierung kein Halbachsenvektor von E mehr sein muss. Ebenso sind die Halbachsen von E im Allgemeinen nicht durch die beiden Diagonalen des E umschließenden Parallelogramms P gegeben. Die Lage der Halbachsen von E ist nicht klar.

ellipsen1-AbbIDmatrixel_paradiag_1

Das Bild E = A [ K ] wie oben. Die Halbachsen von E sind nicht durch die Diagonalen von P gegeben. Die eingezeichneten Halbachsenvektoren wurden mit den Formeln berechnet, die wir in diesem Kapitel finden werden.

Bestimmtheit durch Werte auf dem Einheitskreis

Eine Matrix A ist durch durch ihre Werte auf K vollständig bestimmt: Ist v  ∈  2, so gilt v = λ v̂ mit λ = ∥v∥. Aufgrund der Linearität von A gilt A(v) = A(λv̂) = λ A(v̂) mit v̂  ∈  K. Dies motiviert das Interesse an der Fragestellung: Verstehen wir A auf K, so verstehen wir A auf 2.

Durchlaufrichtung

E kann gegen oder im Uhrzeigersinn durchlaufen werden. Dies ist genau dann der Fall, wenn A eine positive bzw. negative Determinante besitzt, sodass die Bilder A e1, A e2 der Basisvektoren e1, e2 entsprechend orientiert sind. Die Umlaufrichtung kann durch Vorschalten einer Spiegelung (wie mir0 = ((1, 0), (0, −1)) geändert werden.

Wir können die Aufgabenstellung kurz so formulieren:

Finde, gegeben a, b, c, d, Werte σ1, σ2, φ derart, dass A[ K ] = Eσ1, σ2,  φ.

Gelingt dies, so haben wir nicht nur gezeigt, dass A[ K ] eine Ellipse ist, sondern wir haben diese Ellipse auch identifiziert. Unsere Diskussion suggeriert:

Erkundungswege

A)

Wir finden einen (der vier) Winkel φ, sodass rot−φ A eine achsenparallele Ellipse Eσ1, σ2 definiert, d. h. es gilt

rot−φ A [ K ]  =  Eσ1, σ2

Die Matrix rot−φ A ist im Allgemeinen keine Diagonalmatrix, die Ellipse wird dann unter der Standardparametrisierung anders durchlaufen.

B)

Durch Kurvendiskussion bestimmen wir die lokalen Maxima und Minima der Längen ∥ g(t) ∥ der Vektoren g(t)  ∈  E. Aus den zugehörigen Zeiten finden wir die Halbachsen σ1, σ2 und den Drehwinkel φ, sodass wir E = Eσ1, σ2, φ zeigen können.

C)

Wir schalten A eine Rotation um einen Winkel ψ vor, sodass A rotψ im Wesentlichen (bis auf eine Spiegelung) die Form rotφ diag1, σ2) der zur Definition zentrischer Ellipsen verwendeten Matrizen besitzt. Die Parametrisierung von A rotψ [ K ] beginnt dann wie bisher in einem Halbachsenvektor. Wegen A rotψ[ K ] = A[ rotψ [ K ] ] = A[ K ] ändern wir dabei das Bild E nicht. Die Ellipse E wird im Allgemeinen nur anders durchlaufen.

 Wir verfolgen in diesem Kapitel den ersten und in die folgenden Kapiteln die anderen (und weitere) Ansätze. Den Winkel ψ des dritten Ansatzes leiten wir im Kapitel über die Singulärwertzerlegung aus den gewonnenen Ergebnissen ab. Unabhängig davon gewinnen wir die Singulärwertzerlegung (und den Satz über Matrix-Ellipsen) auch über einen elementaren Beweis des Spektralsatzes.