Das Zwei-Körper-Problem
Wir betrachten nun zwei Massepunkte q1, q2 (mit q1 ≠ q2) mit den positiven Massen m1 bzw. m2. Der Massepunkt q1 bewegt sich unter dem Einfluss einer Kraft F1, die q2 auf ihn ausübt, und analog bewegt sich q2 gemäß einer von q1 ausgehenden Kraft F2. Wir nehmen an, dass die beiden Kräfte nur von der Differenz
q = q1 − q2(Differenzvektor von q2 nach q1)
der Orte abhängen (und nicht von den Positionen q1 und q2 bzgl. eines Koordinatensystems; wir bevorzugen q1 − q2, könnten aber äquivalent mit q2 − q1 arbeiten). Die Kräfte haben also die Form F1(q) bzw. F2(q). Die Kräfte müssen keine Gravitationskräfte sein. Wir verwenden nur die Newtonschen Gesetze:
Zwei-Körper-Problem
(I) | m1 q1″ = F1(q)(zweites Newtonsches Gesetz für q1) |
(II) | m2 q2″ = F2(q)(zweites Newtonsches Gesetz für q2) |
(III) | F2(q) = − F1(q)(drittes Newtonsches Gesetz) |
Beispiele
Beispiele für (q1, q2) sind die Schwerpunkte von (Erde, Sonne) oder (Mond, Erde) unter den Gravitationskräften F1 und F2, die die Körper aufeinander ausüben. Sind die Körper unterschiedlich schwer, so bezeichnen wir die Massen so, dass m1 < m2. Im Paradebeispiel (Erde, Sonne) ist also q1 der Erdmittelpunkt und q2 der Mittelpunkt der Sonne (unter der Annahme, dass die Mittelpunkte die Schwerpunkte sind). Der Vektor q = q1 − q2 zeigt von der Sonne zur Erde. Die Kraft F1, die die Sonne auf die Erde ausübt, dominiert die Erdbewegung. Der Einfluss F2 der Erde auf die Sonne ist gering, aber nicht Null. Gilt m1 = m2 oder ist m1 ungefähr gleich m2 (wie in Doppelsternsystemen), so wirken beide Massen unter der wechselseitigen Gravitationskraft stark aufeinander ein.
Dieses Zwei-Körper-Problem lässt sich überraschend einfach und allgemein in zwei entkoppelte Probleme auflösen, von denen das eine sehr einfach zu lösen ist. Wir definieren hierzu:
mG = m1 + m2(Gesamtmasse)
s = m1 q1 + m2 q2mG(Schwerpunkt)
Für den Schwerpunkt gilt (wie leicht nachzurechnen ist):
(+) s = q2 + λ q = q1 − (1 − λ) q mit λ = m1/mG ∈ ] 0, 1 [
Damit liegt s auf der Strecke q2q1. Im Fall m1 = m2 ist λ = 1/2 und der Schwerpunkt befindet sich genau in der Mitte von q1 und q2. Im Fall m1 < m2 liegt der Schwerpunkt näher bei q2 (mit λ < 1/2).
Mit Hilfe vom mG und s können wir das Problem stark vereinfachen:
Addition
Die Addition der Bewegungsgleichungen (I) und (II) ergibt:
m1 q1″ + m2 q″2 = F1(q) + F2(q) = F1(q) − F1(q) = 0
Nach Definition des Schwerpunkt gilt
m1 q1″ + m2 q2″ = mG s″
Damit ist s″ = 0. Auf den Schwerpunkt wirkt also keine Kraft, sodass er sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Es gilt:
s(t) = s(0) + s′(0) t für alle t ∈ ℝ
Subtraktion
Wir subtrahieren nun die durch die Massen dividierten Gleichungen (I) und (II) und erhalten
q1″ − q″2 = F1(q)m1 − F2(q)m2 = F1(q)m1 + F1(q)m2 = mGm1 m2 F1(q)
Wir setzen:
μ = m1 m2mG(reduzierte Masse)
Für den Differenzvektor q gilt q″ = q1″ − q2″, sodass
(#) μ q″ = F1(q)
Im Vergleich zu (I) haben wir eine Bewegungsgleichung in q anstelle von q1 vorliegen, in der die Masse m1 durch μ ersetzt ist. Es gilt
μ = m1 m2mG = m2m1 + m2 m1 < m1,
was die Bezeichnung als „reduzierte Masse“ erklärt. Ist m1 sehr klein im Vergleich zu m2, so ist μ fast gleich m1.
Das Zwei-Körper-Problem ist nun auf die Lösung der Differentialgleichung (#) reduziert. Ist nämlich q eine Lösung von (+), so lösen
q1 = s + m2mG q, q2 = s − m1mG q,
die Gleichungen (I) und (II). Dies ergibt sich unmittelbar aus (+).
Wir betrachten noch einmal das dritte Keplersche Gesetz für das Zwei-Körper-Problem. Mit der reduzierten Masse erhalten wir für elliptische Bahnen um den gemeinsamen Schwerpunkt das Verhältnis
T2a3 = 4 μ π2 k = 4 μ π2 G m1 m2 = 4 π2 G mG = 4 π2 G (m1 + m2)
Ist die Masse m2 im Verhältnis zu m1 sehr groß (wie bei der Sonnenmasse m2 und einer Planetenmasse m1), so können wir erneut den Nenner zu G m2 vereinfachen.
Beispiel: Schwerpunkte für Sonne, Erde und Mond
Mit den Massen
mSonne = 2,00731 · 1030 kg(Sonnenmasse)
mErde = 5,9722 · 1024 kg(Erdmasse)
mMond = 7,3483 · 1022 kg(Mondmasse)
erhalten wir für das Paar (Erde, Sonne) die gerundeten Werte
μErde = 5,97218 · 1024 (reduzierte Erdmasse bzgl. der Sonne)
λErde = mErde/(mErde + mSonne) = 2,97522 · 10−6
Mit dem Abstand 150 000 000 km zwischen Erde und Sonne liegt der Schwerpunkt vom Sonnenmittelpunkt aus gemessen bei
λErde · 150 000 000 km ∼ 446 km
Der Schwerpunkt liegt nicht nur weit im Sonneninneren, sondern weit im Sonnenkern mit seinem Durchmesser von etwa 175 000 km. Für das Paar (Mond, Erde) sind die Effekte deutlich größer. Hier gilt:
μMond = 7,25898 · 1022 (reduzierte Mondmasse bzgl. der Erde)
λMond = mMond/(mMond + mErde) = 0,0121546
Mit dem durchschnittlichen Abstand von 384 000 km zwischen Erde und Sonne liegt der Schwerpunkt vom Erdmittelpunkt aus gemessen bei
λMond · 384 000 km ∼ 4672 km
Das sind etwa 73% des Erdradius von 6371 km.