Vektoren der Ebene
Wir stellen in diesem und im folgenden Einleitungskapitel häufig verwendete Grundbegriffe und Notationen über Vektoren und Matrizen der reellen Ebene in kompakter Form zusammen. Ausführlicher findet der Leser diese Grundlagen im Anhang oder in den einführenden Lehrbüchern zur Linearen Algebra.
Vektoren der reellen Ebene
Vektoren der reellen Ebene ℝ2 = ℝ × ℝ = e (x, y) | x, y ∈ ℝ } notieren wir in der Form v = (x, y) oder als Spaltenvektoren
v =
Gleichwertig sprechen wir auch von Punkten der Ebene. Wir setzen
0 = (0, 0)(Nullvektor)
e1 = (1, 0), e2 = (0, 1)(kanonische Basisvektoren)
Norm und Skalarprodukt
Die (euklidische) Norm oder Länge eines Vektors v = (x, y) ist definiert durch
∥v∥ =
Gilt ∥v∥ = 1, so heißt v normiert. Die Menge K1 = { v | ∥ v ∥ = 1 } heißt der Einheitskreis. Ist v ≠ 0, so setzen wir
v̂ = ∥v∥−1 v(Normierung, v-Dach, v-Hut)
Dann ist v̂ normiert. Für v = 0 sei v̂ = 0.
Für Vektoren v = (x1, y2), w = (x2, y2) setzen wir
〈 v, w 〉 = x1 x2 + y1 y2(euklidisches Skalarprodukt)
Es gilt ∥v∥2 = 〈 v, v 〉 = x2 + y2 für alle v = (x, y).
Orthogonalität
Zwei Vektoren v, w sind orthogonal, wenn 〈 v, w 〉 = 0. Wir sagen auch, dass sie aufeinander senkrecht stehen. Für v = (x, y) definieren wir die Rotation oder Drehung von v gegen bzw. im Uhrzeigersinn um π/2 durch
rotπ/2(v) = (−y, x)
rot−π/2(v) = (y, −x)
Beide Vektoren stehen senkrecht auf v. Es gilt rot−π/2(v) = − rotπ/2(v).
Die Rotationen von v = (1, 3) gegen und im Uhrzeigersinn um π/2
Zwei Vektoren v, w sind kollinear, wenn es ein λ gibt mit λ v = w oder w = λ v. Dies ist genau dann der Fall, wenn v und w auf einer gemeinsamen Geraden
G(u) = { λ u | λ ∈ ℝ }, u ≠ 0
durch den Nullpunkt liegen. Weiter sind v, w genau dann kollinear, wenn v und rot−π/2(w) orthogonal sind. Ist v = (a, b) und w = (c, d), so gilt dies genau dann, wenn
〈 (a, b), (d, − c) 〉 = a d − b c = 0(Charakterisierung der Kollinearität)
Wir definieren die Determinante von (v, w) durch
det(v, w) = a d − b c
Die Determinante ist genau dann gleich 0, wenn (v, w) kollinear sind. Es gilt
det(v, w) = 〈 rotπ/2(v), w 〉 = 〈 v, rot−π/2(w) 〉
Dieser Zusammenhang zwischen Skalarprodukt und Determinante ist an zahlreichen Stellen nützlich. Eine geometrische Interpretation erhalten wir durch die Betrachtung von Winkeln:
Eingeschlossene Winkel
Mit Hilfe des Skalarprodukts können wir nicht nur die Orthogonalität überprüfen, sondern allgemeiner Winkel berechnen. Es gilt
cos φ = 〈 v̂, ŵ 〉 = 〈 v, w 〉∥v∥ ∥w∥(Winkelformel)
für den von zwei Vektoren v, w ≠ 0 eingeschlossenen Winkel
φ = ∡(v, w) ∈ [ 0, π ]
Dieser Winkelbegriff ist symmetrisch, d. h es gilt ∡(v, w) = ∡(w, v).
Wir nennen (v, w) positiv orientiert, wenn ∡(rotπ/2(v), w) ∈ [ 0, π/2 [. Analog heißt (v, w) negativ orientiert, wenn ∡(rot−π/2(v), w) ∈ [ 0, π72 [. Anschaulich bedeutet dies, dass w in der linken bzw. rechten durch v definierten Halbebene liegt. Ist (v, w) positiv orientiert, so gilt
∥ v ∥ ∥ w ∥ sin(φ) = ∥ v ∥ ∥ w ∥ cos (π/2 − φ) = 〈 rotπ/2(v), w 〉 = det(v, w) > 0
Die linke Seite ist gemäß „Grundseite mal Höhe“ der Flächeninhalt des von v und w aufgespannten Parallelogramms. Ist (v, w) negativ orientiert, so ist (w, v) positiv orientiert, sodass nach dem bereits Gezeigten gilt:
∥ w ∥ ∥ v ∥ sin(φ) = det(w, v) = − det(v, w) > 0
Damit ist |det(v, w)| der Flächeninhalt des von v und w aufgespannten Parallelogramms (das degeneriert ist, falls v, w kollinear sind). Das Vorzeichen der Determinante entspricht der Orientierung der beiden Vektoren.
Das Paar (v, w) ist positiv orientiert. Es gilt
h = ∥ w ∥ sin(φ) = ∥ v ∥ cos(π − φ)
Die Determinante det(v, w) ist der Flächeninhalt ∥v∥ h des von v und w aufgespannten Parallelogramms P.
Orthogonale Projektion und Lot
Für u, v ∈ ℝ2 definieren wir die orthogonale Projektion pru(v) und das Lot lotu(v) von v auf u durch
pru(v) = 〈 û, v 〉 û (mit v̂ = 0 für v = 0)
lotu(v) = v − pru(v)
Es gilt:
pru(v) = prû(v), lotu(v) = lotû(v)
pru(v) = pr−u(v), lotu(v) = lot−u(v)
Im Fall u ≠ 0 können wir also u immer als normiert ansehen. Für von 0 verschiedene Vektoren u, v und φ = ∡(u, v) gilt nach der Winkelformel
pru(v) = ∥ v ∥ cos(φ) û, ∥ pru(v) ∥ = |〈 û, v 〉| = ∥ v ∥ |cos φ |
Das Dreieck mit den Ecken 0, pru(v), v hat einen rechten Winkel bei pru(v). Geometrisch entsteht dieses Dreieck durch das Fällen des Lots von v auf die von u erzeugte Gerade.
Die orthogonale Projektion und das Lot von v auf u. Das Lot ist die orthogonale Projektion von v auf rotπ/2(u).
Das Lot auf u können wir als Projektion auf den rotierten Vektor
u⊥ = rotπ/2(u) = (−u2, u1)
ansehen. Dies wird durch die obige Abbildung anschaulich, lässt sich aber auch leicht nachrechnen (wobei ∥ u ∥ = 1 die Rechnung vereinfacht). Für alle u, v gilt:
lotu(v) = prrotπ/2(u)(v) = 〈 û⊥, v 〉 û⊥ = det(û, v) û⊥
|lotu(v)| = |det(û, v)|
Wir diskutieren die Projektion und das Lot ausführlicher im Kapitel über Leitlinien.
Argument
Der Einheitskreis der Ebene ℝ2 ist definiert durch
K = K1 = { v ∈ ℝ2 | ∥v∥ = 1 } = { (cos φ, sin φ) | φ ∈ [ 0, 2π [ }
Ist v ≠ 0, so gilt v̂ ∈ K. Jedes φ ∈ ℝ mit v̂ = (cos φ, sin φ) heißt ein Argument von v. Ein Argument ist modulo 2π eindeutig bestimmt und jedes halboffene Intervall der Länge 2π ist zur Angabe geeignet. Neben [ 0, 2π [ bietet sich das um 0 symmetrische Intervall ] −π, π ] an. Wir verwenden, wenn nichts anderes gesagt wird, dieses Intervall:
Definition (Argument und zweistellige Arkustangensfunktion)
Für v ∈ ℝ2 − { 0 } sei
arg(v) = arg] −π, π ](v) = „das eindeutige φ ∈ ] −π, π ] mit v̂ = (cos φ, sin φ)“
Ist v = (x, y), so schreiben wir auch arg(x, y) oder arctan2(x, y) anstelle von arg(v).
Die Argumente dreier Vektoren, gemessen im Intervall ] −π, π ]
Beispiele
(a) | arg(1, 0) = 0, arg(0, 1) = π/2, arg(−1, 0) = π, arg(0, −1) = − π/2 |
(b) | arg(1, 1) = π/4, arg(1, −1) = − π/4 |
(c) | arg(λ v) = arg(v) für λ > 0 |
(d) | arg(λ v) ≡ arg(v) ± π mod(2π) für λ < 0 |
(e) | arg(−y, x) ≡ arg(x, y) + π/2 mod(2π). |
Das Argument arg(v) eines Vektors v ≠ 0 ist der im Intervall ] −π, π ] gemessene orientierte Winkel, den v mit der positiven x-Achse einschließt. Im Gegensatz zum Winkel ∡(v, e1) ∈ [ 0, π ] sind negative Winkel möglich. Das Argument von v lässt sich mit Hilfe des Arkustangens berechnen, wobei quadrantenabhängige Korrekturwinkel nötig sind, da der Arkustangens nur Werte im offenen Intervall ] −π/2, π/2 [ annimmt. Die Korrekturwinkel können wir aus x und y gewinnen, was die Motivation einer zweistelligen Version des Arkustangens liefert. Wir diskutieren einige Möglichkeiten der Berechnung. Dabei liegen wie vereinbart alle Argumente im Winkelintervall ] −π, π ]. Der Nullvektor hat kein Argument.
Berechnung des Arguments (Version 1)
Für v = (x, y) ≠ 0 gilt:
arg(v) = arctan(y/x) | falls x > 0(1. und 4. Quadrant) |
arg(v) = sgn(y) π/2 | falls x = 0(y-Achse) |
arg(v) = arctan(y/x) + sgn+(y) π | falls x < 0(2. und 3. Quadrant) |
Dabei ist sgn+ ∈ { −1, 1 } die zweiwertige Vorzeichenfunktion mit sgn+(0) = 1 (im Gegensatz zu sgn(0) = 0 für die dreiwertige Version).
Nützlich (etwa bei Ableitungen im Zweidimensionalen) ist auch folgende Variante mit sich überlappenden Fällen:
Berechnung des Arguments (Version 2 mit Überlappungen)
Für v = (x, y) ∈ (ℝ2)− gilt:
arg(x, y) = arctan(y/x) | für x > 0(1. und 4. Quadrant) |
arg(x, y) = arctan(y/x) + sgn+(y) π | für x < 0(2. und 3. Quadrant) |
arg(x, y) = π/2 − arctan(x/y) | für y > 0(1. und 2. Quadrant) |
arg(x, y) = − π/2 − arctan(x/y) | für y < 0(3. und 4. Quadrant) |
Im Abschnitt „Verdopplungsformeln und Winkelhalbierung“ wird sich weiter folgende Version ergeben, die eine Fallunterscheidung innerhalb der gesammten geschlitzten Ebene
(ℝ2)− = ℝ2 − { (x, 0) | x ≤ 0 }
vermeidet:
Berechnung des Arguments (Version 3)
Für v = (x, y) ∈ (ℝ2)− gilt:
arg(x, y) = 2 arctan() ∈ ] −π/2, π/2 [
Argument und eingeschlossener Winkel
Das Argument eines Vektors wird in einem Winkelintervall der Länge 2π angegeben, während zwei Vektoren stets einen Winkel in [ 0, π ] einschließen. Die Kosinus-Funktion ist geeignet, die Unterschiede zu glätten. Seien hierzu
v = (r, φ)polar, w = (s, ψ)polar
Dann gilt unter Verwendung des Additionstheorems für den Kosinus:
cos(φ − ψ) | = cos(φ) cos(− ψ) − sin(φ) sin(− ψ) |
= cos(φ) cos(ψ) + sin(φ) sin(ψ) | |
= 〈 (cos φ, sin φ), (cos ψ, sin ψ) 〉 = 〈 v̂, ŵ 〉 = cos(∡(v, w)) |
Speziell gilt
cos(∡(v, w)) = cos(arg(v) − arg(w)) für alle v, w ∈ ℝ2 mit v, w ≠ 0,
unabhängig davon, in welchem Winkelintervall das Argument gewählt wird.
Translationen
Sei w ∈ ℝ2. Dann definieren wir die Translation trw : ℝ2 → ℝ2 um den Vektor w durch trw(v) = v + w für alle v ∈ ℝ2. Für alle A ⊆ ℝ2 ist dann
trw[ A ] = { trw(v) | v ∈ A }
die Translation der Menge A um den Vektor v. Anstelle von einer Translation sprechen wir auch von einer Parallelverschiebung.