15. Vorlesung Grenzwerte und Stetigkeit von Funktionen
1. Grenzwerte von Funktionen
Vereinbarung
Wir nehmen im Folgenden an, dass für alle ε > 0 das Intervall ] p − ε, p + ε [ mindestens ein Element des Definitionsbereichs P von f enthält.
Definition (Verlauf in einem Rechteck)
Seien f : P → ℝ und (p, a) ∈ ℝ2. Weiter seien ε, δ > 0. Wir sagen, dass die Funktion f im ε-δ-Rechteck bei (p, a) verläuft, falls gilt:
Für alle x ∈ P mit |x − p| < δ gilt |f (x) − a| < ε.
Definition (Grenzwert einer Funktion)
Wir schreiben limx → p f (x) = a, falls gilt:
Für alle ε > 0 gibt es ein δ > 0, sodass f im ε-δ-Rechteck bei (p, a) verläuft.
Wir nennen dann a den Grenzwert von f an der Stelle p und sagen, dass f gegen a strebt, wenn x gegen p strebt.
2. Stetigkeit einer Funktion
Definition (Stetigkeit einer Funktion)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Dann heißt f stetig an der Stelle p, falls gilt:
limx → p f (x) = f (p).
Andernfalls heißt f unstetig an der Stelle p. Weiter heißt f stetig, falls f stetig an allen Stellen p ∈ P ist.
Die Bedingung limx → p f (x) = f (p) können wir in der Form
limx → p f (x) = f(limx → p x)
schreiben, die eine suggestive Interpretation der Stetigkeit nahelegt:
Limesbildung und Funktionsanwendung sind vertauschbar.
Ausformuliert und mit Quantoren notiert lautet unsere Definition:
Epsilon-Delta-Formulierung der Stetigkeit von f an der Stelle p
∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀x ∈ P (|x − p| < δ → |f (x) − f (p)| < ε).
3. Einseitige Grenzwerte von Funktionen
Definition (Grenzwert einer Funktion mit Nebenbedingung)
Der Grenzwert
limx ↑ p f (x) = limx → p, x < p f (x) = a
ist wie oben definiert, wobei nun nur x-Werte betrachtet werden, die kleiner als p sind. Wir nennen dann a den linksseitigen Grenzwert von f an der Stelle p und sagen, dass f gegen a strebt, wenn x von links oder von untengegen p strebt. Analog ist der rechtsseitige Grenzwert
limx ↓ p f (x) = limx → p, x > p f (x) = a
definiert, bei dem nur x-Werte größer als p betrachtet werden.
Satz (Stetigkeit über einseitige Grenzwerte)
Sei f : P → ℝ und p ∈ P. Dann sind äquivalent:
(a) | f ist stetig bei p. |
(b) | limx ↑ p f (x) = f (p) = limx ↓ p f (x). |
4. Uneigentliche Grenzwerte
Auch bei Grenzwerten für Funktionen können wir für p und a die symbolischen Werte ∞ und −∞ zulassen. Hierzu setzen wir:
limx → ∞ f (x) = a, falls ∀ε > 0 ∃n ∀x ∈ P (x ≥ n → |f (x) − a| < ε),
limx → p f (x) = ∞, falls ∀m ∃δ > 0 ∀x ∈ P (|x − p| < δ → f (x) > m),
limx → ∞ f (x) = ∞, falls ∀m ∃n ∀x ∈ P (x ≥ n → f (x) > m).
In „x → ∞“ nehmen wir immer an, dass P nach oben unbeschränkt ist. Grenzwerte, die den symbolischen Wert −∞ enthalten, werden analog definiert. Einen Grenzwert, der einen symbolischen Wert ∞ oder −∞ involviert, nennen wir auch einen uneigentlichen Grenzwert.
5. Die Folgenstetigkeit
Satz (Funktionsgrenzwerte über Folgengrenzwerte)
Seien f : P → ℝ und p, a ∈ ℝ. Dann sind äquivalent:
(a) | limx → p f (x) = a. |
(b) | Für jede Folge (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = p gilt limn f (xn) = a. |
Beweis
(a) impliziert (b): Es gelte limx → p f (x) = a. Sei (xn)n ∈ ℕ eine Folge in P mit limn xn = p. Wir zeigen:
(+) limn f (xn) = a.
Sei hierzu ε > 0. Dann gibt es ein δ > 0 mit:
(++) |x − p| < δ → |f (x) − a| < ε für alle x ∈ P.
Wegen limn xn = p gibt es ein n0 mit |xn − p| < δ für alle n ≥ n0. Nach (+) gilt also |f (xn) − a| < ε für alle n ≥ n0. Dies zeigt, dass limn f (xn) = a.
non(a) impliziert non(b): Es gelte also non(limx → p f (x) = a). Dann gibt es ein ε > 0 derart, dass für alle δ > 0 ein x ∈ P existiert mit
|x − p| < δ und |f (x) − a| ≥ ε.
Speziell gibt es für alle n ∈ ℕ ein xn ∈ P derart, dass
|xn − p| < 1/2n und |f (xn) − a| ≥ ε.
Dann ist (xn)n ∈ ℕ eine gegen p konvergente Folge in P mit der Eigenschaft non(limn f (xn) = a).
Definition (Folgenstetigkeit)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Dann heißt f folgenstetig an der Stelle p, falls gilt:
Für alle Folgen (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = p gilt limn f (xn) = f (p).
Die Funktion f heißt folgenstetig, falls f folgenstetig an allen Stellen p ∈ P ist.
Korollar (ε-δ-Stetigkeit und Folgenstetigkeit)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
(a) | f ist stetig an der Stelle p. |
(b) | f ist folgenstetig an der Stelle p. |
6. Stetigkeitsbeweise
Die Stetigkeitsdefinitionen weisen komplexe Quantorenkombinationen auf. Wollen wir zeigen, dass eine Funktion f : P → ℝ an einer Stelle p ∈ P stetig ist, so können wir eine der beiden folgenden äquivalenten Methoden verwenden:
Nachweis der Epsilon-Delta-Stetigkeit an einer Stelle p
Wir müssen zeigen:
∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀x ∈ P (|x − p| < δ → |f (x) − f (p)| < ε).
Hierzu betrachten wir ein beliebiges ε > 0. Nun ist es unsere Aufgabe, ein geeignetes δ > 0 (in Abhängigkeit von ε) zu definieren, sodass f im ε-δ-Rechteck bei (p, f (p)) verläuft.
Nachweis der Folgenstetigkeit an einer Stelle p
Wir müssen zeigen:
Für jede Folge (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = p gilt limn f (xn) = f (p).
Hierzu betrachten wir eine beliebige Folge (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = p. Für diese Folge müssen wir nun zeigen:
∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 |f (xn) − f (p)| < ε.
Zum Nachweis dieser Aussage betrachten wir ein beliebiges ε > 0. Nun müssen wir ein geeignetes n0 finden (in Abhängigkeit von ε), sodass alle Werte f (xn) für n ≥ n0 im Intervall ] f (p) − ε, f (p) + ε [ liegen.
Entsprechend verlaufen Nachweise der Unstetigkeit:
Nachweis der Epsilon-Delta-Unstetigkeit an einer Stelle p
Wir müssen zeigen:
∃ε > 0 ∀δ > 0 ∃x ∈ P (|x − p| < δ ∧ |f (x) − f (p)| ≥ ε).
Wir müssen also ein geeignetes ε > 0 definieren, so dass f für ein beliebig kleines δ > 0 nicht im ε-δ-Rechteck bei (p, f (p)) verläuft. Dass also f jedes derartige Rechteck an mindestens einer Stelle x ∈ ] p - δ, p + δ [ an seinem Rand berührt oder verlässt.
Nachweis der Folgenunstetigkeit an einer Stelle p
Wir müssen zeigen:
Es gibt eine Folge (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = p und limn f (xn) ≠ f (p).
Zum Beweis dieser Aussage müssen wir eine gegen p konvergente Folge (xn)n ∈ ℕ in P konstruieren derart, dass die Folge (f (xn))n ∈ ℕ entweder divergiert oder aber gegen ein a konvergiert mit a ≠ f (p).