19. Vorlesung Reelle Vektoren

1. Vektoren im n

Definition (die Räume n, n-dimensionaler reeller Vektor)

Sei n ≥ 1. Dann setzen wir

n  =  { (v1, …, vn) | v1, …, vn  ∈   }.

Die Elemente des n heißen n-dimensionale reelle Vektoren oder reelle Vektoren der Länge oder Dimension n. Ist v = (v1, …, vn)  ∈  n, so heißen die reellen Zahlen v1, …, vn die Komponenten des Vektors v. Genauer heißt vi die i-te Komponente von v für alle 1 ≤ i ≤ n.

Notation

Wie notieren Vektoren ohne Pfeile oder Striche. Bevorzugt verwenden wir die Zeichen v, w, u für Vektoren. Ein Index i bezeichnet, wenn nichts anderes gesagt ist, die i-te Komponente eines Vektors. Damit gilt für eine gegebene Dimension n zum Beispiel

v  =  (v1, …, vn),  w  =  (w1, …, wn),  u  =  (u1, …, un).

Vektoren des 2 und 3 notieren wir oft auch in der Form

v  =  (x, y)  bzw.  v  =  (x, y, z).

Den Raum 1 identifizieren wir mit .

Definition (Nullvektor, kanonische Einheitsvektoren)

Sei n ≥ 1. Der Vektor 0 = (0, …, 0)  ∈  n heißt der Nullvektor oder Nullpunkt des n. Wir bezeichnen ihn mit 0. Weiter setzen wir

e1 = (1, 0, …, 0),  e2 = (0, 1, 0, …, 0),  … en = (0, …, 0, 1).

Die Vektoren e1, …, en  ∈  n heißen die kanonischen Einheits- oder Basisvektoren des n.

2. Die Vektoraddition

Definition (Vektoraddition)

Sei n ≥ 1. Dann setzen wir für alle v, w  ∈  n:

v + w  =  (v1 + w1, …, vn + wn)(Addition von v und w)

Definition (inverser Vektor, Vektorsubtraktion)

Sei n ≥ 1. Dann setzen wir für alle v, w  ∈  n:

−v  =  (− v1, …, − vn),

v − w  =  v  +  (−w)  =  (v1 − w1, …, vn − wn).

Der Vektor − v  ∈  n heißt der zu v additiv inverse Vektor. Der Vektor v − w heißt der Differenzvektor der Vektoren v und w.

Satz (Eigenschaften der Vektoraddition)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle v, w, u  ∈  n:

v  +  (w  +  u)  =  (v  +  w)  +  u,(Assoziativität)

v  +  0  =  0  +  v  =  v,(Neutralität des Nullvektors)

v  +  (− v)  =  (− v)  +  v  =  0,(Inversenbildung)

v  +  w  =  w  +  v.(Kommutativität)

3. Die Skalarmultiplikation

Definition (Skalarmultiplikation)

Sei n ≥ 1. Dann setzen wir für alle λ  ∈   und alle v  ∈  n:

λ v  =  (λ v1, …, λ vn).(Multiplikation des Vektors v mit dem Skalar λ)

Satz (Eigenschaften der Skalarmultiplikation)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle λ, μ  ∈   und alle v, w  ∈  n:

(i)

1 v  =  v,

(ii)

λ (μ v)  =  (λ μ) v,

(iii)

λ (v + w)  =  λ v  +  λ w,

(iv)

(λ + μ) v  =  λ v  +  μ v.

4. Die Euklidische Norm

Definition (Euklidische Norm bzw. Länge)

Sei n ≥ 1. Dann setzen wir für alle v  ∈  n:

∥ v ∥  =  v12++vn2.

Die reelle Zahl ∥v∥ heißt die Euklidische Norm oder Länge des Vektors v.

Definition (normiert, Normierung)

Sei n ≥ 1. Ein Vektor v  ∈  n heißt normiert, falls ∥v∥ = 1. Für alle v  ∈  n mit v ≠ 0 definieren wir die Normierung von v durch v̂  =  v/∥v∥. Weiter setzen wir v̂ = v = 0  ∈  n, falls v = 0.

Satz (Eigenschaften der Euklidischen Norm)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle λ  ∈   und alle v, w  ∈  n:

(i)

∥v∥  =  0  genau dann, wenn  v  =  0,

(ii)

∥ λ v ∥  =  |λ| ∥v∥,

(iii)

∥ v + w ∥  ≤  ∥v∥  +  ∥w∥.(Dreiecksungleichung)

Beweis

Die Eigenschaften (i) und (ii) ergeben sich unschwer aus den Definitionen. Zum Beweis der Dreiecksungleichung verwenden wir:

(+)  2 x y  ≤  x2 + y2  für alle x, y  ∈  .

Diese Ungleichung folgt aus 0 ≤ (x − y)2 = x2 − 2xy + y2 für alle x, y  ∈  .

Seien nun v, w  ∈  n beliebig. Dann ergibt eine n-fache Anwendung von (+):

2 (1 ŵ1  +  …  +  v̂n ŵn) ≤  v̂12 + ŵ12  +  …  +  v̂n2 + ŵn2
=  ∥ v̂ ∥2 + ∥ ŵ ∥2  =  1 + 1  =  2.

Division durch 2 und Multiplikation mit den Normen von v und w liefert:

(◇)  v1 w1  +  …  +  vn wn  ≤  ∥v∥ ∥w∥.

Damit können wir nun rechnen:

∥ v + w ∥2 =  (v1 + w1)2  +  …  +  (vn + wn)2
=  ∥v∥2  +  ∥w∥2  +  2(v1 w1  +  …  +  vn wn)
≤  ∥v∥2  +  ∥w∥2  +  2 ∥v∥ ∥w∥  ≤  (∥v∥ + ∥w∥)2.

Wurzelziehen erhält die Ungleichung (da die Wurzelfunktion monoton steigt) und liefert die Behauptung.

5. Das Euklidische Skalarprodukt

Definition (Euklidisches Skalarprodukt)

Sei n ≥ 1. Dann setzen wir für alle v, w  ∈  n:

〈 v, w 〉  =  v • w  =  v1 w1  +  …  +  vn wn.

Die reelle Zahl 〈 v, w 〉 heißt das Euklidische Skalarprodukt der Vektoren v und w.

Satz (Skalarprodukt und Norm)

Für alle v  ∈  n gilt:

∥v∥2  =  〈 v, v 〉.

Satz (Eigenschaften des Euklidischen Skalarprodukts)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle λ  ∈   und alle v, w, v′, w′  ∈  n:

(i)

〈 v + λv′, w 〉  =  〈 v, w 〉  +  λ 〈 v′, w 〉,

〈 v, w + λw′ 〉  =  〈 v, w 〉  +  λ 〈 v, w′ 〉, (Bilinearität)

(ii)

〈 v, w 〉  =  〈 w, v 〉, (Symmetrie)

(iii)

〈 v, v 〉  >  0  für alle v ≠ 0. (positive Definitheit)

Satz (binomische Formeln und Polarisation)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle v, w  ∈  n:

(a)

∥ v ± w ∥2  =  ∥v∥2  +  ∥w∥2  ±  2 〈 v, w 〉,(binomische Formeln)

(b)

4 〈 v, w 〉  =  ∥ v + w ∥2 − ∥ v − w ∥2.(Polarisation)

Beweis

Seien v, w  ∈  n. Dann gilt:

∥ v + w ∥2 =  〈 v + w, v + w 〉
=  〈 v, v + w 〉  +  〈 w, v + w 〉
=  〈 v, v 〉  +  〈 v, w 〉  +  〈 w, v 〉  +  〈 w, w 〉
=  〈 v, v 〉  +  2 〈 v, w 〉  +  〈 w, w 〉
=  ∥v∥2  +  ∥w∥2  +  2 〈 v, w 〉.

Die zweite binomische Formel wird analog bewiesen. Die Polarisationsformel ergibt sich durch ausrechnen.

6. Die Ungleichung von Cauchy-Schwarz

Satz (Ungleichung von Cauchy-Schwarz)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle v, w  ∈  n:

|〈 v, w 〉|  ≤  ∥v∥ ∥w∥.

Erster Beweis

Seien v, w  ∈  n. Wir wissen schon (nach (◇) oben), dass 〈 v, w 〉  ≤  ∥v∥ ∥w∥. Ist 〈 v, w 〉 < 0, so ist 〈 −v, w 〉 > 0 und

|〈 v, w 〉|  =  〈 −v, w 〉  ≤  ∥ −v ∥ ∥w∥  =  ∥v∥ ∥w∥.

Zweiter Beweis

Es genügt, normierte Vektoren zu betrachten. Denn für v = 0 oder w = 0 ist die Ungleichung klar und für Längen ungleich 1 folgt sie durch Skalierung aus der Version für normierte Vektoren. Seien also v, w  ∈  n normiert. Dann gilt für alle λ  ∈   nach den binomischen Formeln:

0  ≤  ∥ v − λ w ∥2  =  ∥v∥2  +  λ2 ∥w∥2  −  2λ 〈 v, w 〉  =  1  +  λ2  −  2λ 〈 v, w 〉.

Für den Spezialfall λ = 〈 v, w 〉 erhalten wir 0 ≤ 1 − 〈 v, w 〉2, sodass

|〈 v, w 〉|  ≤  1  =  1 · 1  =  ∥v∥ ∥w∥.