4. Vorlesung Die Exponentialfunktion
1. Die Exponentialfunktion
Satz (Existenz- und Eindeutigkeitssatz, Charakterisierungssatz)
Es gibt genau eine Funktion f : ℝ → ℝ mit:
(1) | f ′ = f, |
(2) | f (0) = 1. |
Definition (Exponentialfunktion, Eulersche Zahl)
Die eindeutige Funktion des Satzes heißt die (reelle) Exponentialfunktion. Wir bezeichnen sie mit exp : ℝ → ℝ. Weiter setzen wir
e = exp(1).
Die reelle Zahl e heißt die Eulersche Zahl oder Eulersche Konstante.
2. Das Additionstheorem
Satz (Nullstellenfreiheit der Exponentialfunktion)
Für alle x ∈ ℝ gilt exp(x) exp(−x) = 1, sodass exp(x) = 1/exp(−x). Insbesondere hat die Exponentialfunktion keine Nullstellen.
Beweis
Wir definieren g : ℝ → ℝ durch g(x) = exp(x) exp(−x). Dann gilt
g′(x) = exp(x) exp(−x) − exp(x) exp(−x) = 0 für alle x.
Damit ist g konstant gleich g(0) = exp(0) exp(−0) = 1 · 1 = 1.
Satz (Additionstheorem, Funktionalgleichung)
Für alle x, y ∈ ℝ gilt
exp(x + y) = exp(x) exp(y).
Beweis
Sei y ∈ ℝ. Wegen exp(y) ≠ 0 können wir f : ℝ → ℝ definieren durch
f (x) = exp(x + y)exp(y) für alle x ∈ ℝ.
Für die Funktion f gilt f (0) = 1 und f ′(x) = f (x) für alle x ∈ ℝ. Nach dem Existenz- und Eindeutigkeitsatz ist also f = exp. Durch Multiplikation mit der Konstanten reellen Zahl exp(y) erhalten wir
exp(x) exp(y) = f (x) exp(y) = exp(x + y) für alle x ∈ ℝ.
Das Additionstheorem motiviert:
Notation: Exponentialschreibweise
Wir schreiben auch ex anstelle von exp(x).
Das Additionstheorem lautet in der neuen Schreibweise:
ex + y = ex · ey für alle x, y ∈ ℝ.
Weiter ist e1 = exp(1) = e.
3. Darstellungen der Exponentialfunktion
Satz (Reihendarstellung der Exponentialfunktion)
Für alle x ∈ ℝ gilt
exp(x) = 1 + x + x22! + x33! + … = ∑n xnn!. (Exponentialreihe)
Die Exponentialreihe ermöglicht eine schnelle numerische Berechnung von exp(x). Für die Eulersche Zahl e gilt
e = exp(1) | = 10! + 11! + 12! + 13! + 14! + … |
= 1 + 1 + 12 + 16 + 124 + … | |
= 2,71828182845904523536028747135266249775… |
Eine weitere Darstellung ist:
Satz (Limesdarstellung der Exponentialfunktion)
Für alle x ∈ ℝ gilt
exp(x) = limn ≥ 1 (1 + xn)n.
Speziell ist
e = limn ≥ 1 (1 + 1n)n.
4. Der natürliche Logarithmus
Definition (natürlicher Logarithmus)
Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion exp : ℝ → ℝ heißt der natürliche Logarithmus oder der Logarithmus zur Basis e. In Zeichen schreiben wir
log : ] 0, ∞ [ → ℝ oder ln : ] 0, ∞ [ → ℝ.
Satz (Multiplikationstheorem)
Für alle x, y > 0 gilt log(x y) = log(x) + log(y).
Beweis
Seien x, y > 0, und seien a, b ∈ ℝ mit exp(a) = x, exp(b) = y. Dann gilt
log(x · y) = log(exp(a) exp(b)) = log(exp(a + b)) = a + b = log(x) + log(y).
Beispiele
Für alle x > 0 gilt:
(a) | log(x2) = log(xx) = log(x) + log(x) = 2log(x). |
(b) | log(x) = log( ) = 2 log(), sodass log(x1/2) = log() = 1/2 log(x). |
5. Die allgemeine Exponentialfunktion
Definition (Exponentialfunktion zu einer positiven Basis)
Sei a > 0. Dann definieren wir expa : ℝ → ℝ durch
expa(x) = exp(x log(a)) für alle x ∈ ℝ.
Die Funktion expa heißt die Exponentialfunktion zur Basis a.
Für alle a > 0 und alle x, y ∈ ℝ gilt:
expa(x + y) | = exp((x + y) log(a)) = exp(x log(a) + y log(a)) |
= exp(x log(a)) exp(y log(a)) = expa(x) expa(y). |
Dies motiviert wieder:
Notation: allgemeine Exponentialschreibweise
Wir schreiben auch ax anstelle von expa(x). Dabei ist a > 0 und x ∈ ℝ.
Satz (Rechenregeln für die allgemeine Exponentialfunktion)
Seien a, b > 0. Dann gilt alle x, y ∈ ℝ:
(a) | ax · ay = ax + y, |
(b) | (ay)x = ax y, |
(c) | ax bx = (a b)x. |
Beweis
zu (a): ax · ay = ex log(a) · ey log(a) = e(x + y) log(a) = ax + y.
zu (b): (ax)y = (ex log(a))y = ey log(exp(x log(a))) = ey x log(a) = ax y.
zu (c): ax bx = ex log(a) · ex log(b) = ex (log(a) + log(b)) = ex log(a b) = (a b)x.
6. Die Potenzfunktionen
Definition (allgemeine Potenzfunktionen)
Sei b ∈ ℝ. Dann definieren wir potb : ] 0, ∞ [ → ℝ durch
potb(x) = xb = expx(b) = eb log(x) für alle x > 0.
Die Funktion potb heißt die Potenzfunktion zum Exponenten b.
Beispiele für Potenzfunktionen sind die auf ℝ+ erklärten Funktionen
1, x, x2, x3, …
x− 1 = 1/x, x− 2 = 1/x2, x− 3 = 1/x3, …
x1/2 = , x1/3 = 3, x1/4 = 4, …
xn/m = m für n ∈ ℤ und m ∈ ℕ*.
7. Die allgemeinen Logarithmen
Definition (Logarithmus zu einer positiven Basis a ≠ 1)
Sei a > 0, a ≠ 1. Dann heißt die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion zur Basis a der Logarithmus zur Basis a. In Zeichen schreiben wir
loga : ] 0, +∞ [ → ℝ.
Ausgenommen in der Definition ist der Fall a = 1. Die Exponentialfunktion exp1 ist konstant gleich 1 und besitzt daher keine Umkehrfunktion:
Ein Logarithmus zur Basis 1 ist nicht definiert.
Wie für den Logarithmus zur Basis e zeigt man:
Satz (Multiplikationstheorem)
Sei a > 0, a ≠ 1. Dann gilt für alle x, y > 0:
loga(x y) = loga(x) + loga(y) für alle x, y > 0.
8. Rechenregeln für Logarithmen
Satz (Rechenregeln für Logarithmen, Basisumrechnung)
Seien a, b > 0 mit a, b ≠ 1. Weiter sei x > 0. Dann gilt:
(1) | loga(x) = log(x)log(a), |
(2) | loga(x) = logb(x)logb(a), |
(3) | loga(x) = − log1/a(x), |
(4) | loga(b) = 1logb(a). |
Beweis
zu (1): Es gilt
x = elog(x) = e log(x)/log(a) · log(a) = alog(x)/log(a).
Anwendung von loga auf beiden Seiten liefert die Behauptung.
zu (2): Nach (1) ist log(y) = logb(y) log(b) für alle y > 0, sodass
loga(x) = log(x)log(a) = logb(x) log(b)logb(a) log(b) = logb(x)logb(a) .
zu (3):
loga(x) = log1/a(x)log1/a(a) = log1/a(x)− 1 = − log1/a(x).
zu (4):
loga(b) = logb(b)logb(a) = 1logb(a) .