Trigonometrische Größen in rechtwinkligen Dreiecken
Kosinus und Sinus spielen bei der Untersuchung rechtwinkliger Dreiecke eine Schlüsselrolle. Ist ein rechtwinkliges Dreieck ABC mit Seitenlängen a, b, c und Winkeln α, β, γ mit γ = π/2 gegeben, so können wir durch Verschieben, Drehen und Spiegeln annehmen, dass A der Nullpunkt ist, C auf der positiven x-Achse und B im ersten Quadranten liegt. Dann ist B = (b, a) ein Punkt auf dem Kreis Kc, dessen Radius der Hypotenuse c des Dreiecks ABC entspricht. Folglich gilt
(b, a) = B = c (cos α, sin α), b = c cos α, a = c sin α.
Auch die anderen trigonometrischen Funktionen Tangens, Kotangens, Sekans und Kosenkans lassen sich mit Hilfe rechtwinkliger Dreiecke veranschaulichen. Zuvor wollen wir aber noch die Additionstheoreme
cos(α + β) = cos α cos β − sin α sin β,
sin(α + β) = cos α sin β + sin α cos β für alle α, β ∈ ℝ
mit Hilfe rechtwinkliger Dreiecke beweisen.
Zweiter Beweis der Additionstheoreme
Seien α, β ∈ ℝ. Wir nehmen zunächst an, dass α, β > 0 und α + β < π/2. Alles weitere wird sich hieraus ergeben. Unter diesen Voraussetzungen ist α + β der Winkel eines rechtwinkligen Dreiecks. Ein solches Dreieck konstruieren wir wie folgt, wobei wir mit ∠ ABC den zur Ecke B gehörigen Winkel eines Dreiecks mit den Ecken A, B, C bezeichnen:
Sei P = (cos α, sin α). Weiter sei Q = (x0, 0) der Punkt auf der x-Achse mit ∠0QP = β. Dann gilt ∠Q0P = α. Schließlich sei A der Punkt auf der Geraden QP mit ∠0AP = π/2. Dann ist ∠0PA = α + β. Das Dreieck 0PA ist also wie gewünscht.
Zum trigonometrischen Beweis des Additionstheorems des Sinus
Damit können wir nun rechnen:
sin(α + β) | = 0A = x0 sin β |
= (cos α + cot β sin β) sin β | |
= sin α cos β + cos α sin β. |
Das Kosinus-Theorem wird analog bewiesen (oder mit Hilfe des Satzes von Pythagoras aus dem Sinus-Theorem gefolgert).
Wir betrachten nun allgemeinere Winkel. Die Additionstheoreme sind wegen sin 0 = cos(π/2) = 0 und sin (π/2) = cos 0 = 1 klar, wenn einer der beiden Winkel 0 oder π/2 ist. Sind α, β ∈ [ 0, π/2 ] mit α + β ≥ π/2, so seien α* = π/2 − α, β* = π/2 − β. Dann gilt nach dem bereits Bewiesenen, dass
sin(α + β) | = sin(π − (α + β)) |
= sin(α* + β*) | |
= sin α* cos β* + cos α* sin β* | |
= cos α sin β + sin α cos β | |
= sin α cos β + cos α sin β. |
Analog argumentieren wir für den Kosinus. Damit haben wir die Additionstheoreme für alle α, β ∈ [ 0, π/2 ] gezeigt (dies entspricht Punkten P und Q auf dem Einheitskreis im ersten Quadranten). Hieraus können wir die Theoreme für beliebige Winkel α, β ∈ ℝ folgern, indem wir
α = α1 + k1 π/2, β = β1 + k2 π/2 mit k1, k2 ∈ ℤ und α1, β1 ∈ [ 0, π/2 ]
schreiben und die Verschiebungsformeln anwenden.
Identifikation der trigonometrischen Größen
Die sechs trigonometrischen Größen
cos α, sin α, tan α, cot α, sec α, csc α
tauchen in zahlreichen geometrischen Figuren auf. Wir betrachten zwei typische Beispiele. Die Identifikation der Größen ergibt sich aus ihrer Definition durch Anwendung des Strahlensatzes.
Im Folgenden bezeichnen wir die Länge der Strecke zwischen zwei Punkten A und B der Ebene mit AB. Ist A = (x1, y1) und B = (x2, y2), so gilt also
AB = .
In unserer ersten Figur betrachten wir einen Punkt P auf dem Einheitskreis mit Winkel α ∈ ] 0, π/2 [ und den durch den Nullpunkt 0 und P definierten Halbstrahl der Ebene. Dieser Halbstrahl schneidet das kartesische Koordinatengitter in zwei Punkten R und S. In der entstehenden Figur sind alle sechs Größen enthalten.
cos α = OQ, sin α = QP, tan α = TR, cot α = US, sec α = OR, csc α = OS
Mit Hilfe der Figur können wir viele Eigenschaften der Funktionen veranschaulichen. So strebt zum Beispiel tan α = TR gegen unendlich, wenn der Winkel α gegen π/2 strebt. Weiter gilt R = S = (1, 1) und damit tan α = cot α, falls α = π/4.
In der zweiten Figur betrachten wir die Tangente des Einheitskreises K bei P. Sie definiert zwei Punkte auf den Achsen:
cos α = OQ, sin α = QP, tan α = PR, cot α = PS, sec α = OR, csc α = OS
Kombiniert erhalten wir folgende Figur, die die vier vielleicht weniger offensichtlichen Größen tan α, cot α, sec α und csc α in den Mittelpunkt rückt:
Die Figur lässt sich noch weiter analysieren. Der Schnittpunkt der beiden grün gezeichneten Tangensstrecken definiert beispielsweise die Winkelhalbierende von α.
Unsere Überlegungen motivieren auch die Namensgebung der trigonometrischen Funktionen tan, cot, sec und csc. Der Tangens und der Kotangens messen die Längen von gewissen Abschnitten von Tangenten des Einheitskreises. Ebenso messen der Sekans und der Kosekans die Längen von gewissen Abschnitten von Sekanten des Einheitskreises. Ein „co“ bezieht sich dabei immer auf den Komplementärwinkel π/2 − α. Dies erklärt auch, warum die durch 1/cos α definierte Funktion nicht als „co“ bezeichnet wird, obwohl der Kosinus verwendet wird. In unseren Dreiecken ist die Größe 1/cos α dem Winkel α zugeordnet, während 1/sin α zum Komplementärwinkel π/2 − α gehört.