Differenzierbarkeit an einer Stelle
Geraden eignen sich zur lokalen Approximation von „guten“ Funktionen: Ist f : ℝ → ℝ eine Funktion und p ∈ ℝ eine Stelle von Interesse, so können wir versuchen, eine Gerade durch (p, f (p)) ∈ ℝ2 zu legen, die sich lokal, d. h. in der Nähe des betrachteten Punktes, möglichst gut an den Graphen von f anschmiegt. Das ist nicht immer möglich, man denke an Sprünge oder Knicke.
Im Folgenden betrachten wir Funktionen der Form f : P → ℝ, deren Definitionsbereich P entweder ℝ, ein Intervall mit Grenzen a < b oder allgemeiner eine Vereinigung von Intervallen ist, die mehr als einen Punkten enthalten.
Definition (Differenzenquotient, Sekante)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Für alle x ∈ P mit x ≠ p heißt die reelle Zahl
a(p, x) = f (x) − f (p)x − p
der Differenzenquotient von f für p und x. Die eindeutige Gerade g : ℝ → ℝ durch (p, f (p)) und (x, f (x)) heißt die durch die Stellen p und x definierte Sekante von f.
Definition (Differentialquotient, Ableitung)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Im Fall der Existenz von
a = limx → p a(x, p) = limx → p f (x) − f (p)x − p
heißt die Funktion f an der Stelle p differenzierbar und a die Ableitung oder der Differentialquotient von f an der Stelle p.
Für die Ableitung sind verschiedene Schreibweisen in Gebrauch:
Notation
Ist a die Ableitung von f an der Stelle p, so schreiben wir
a = f ′(p) = Df (p) = = = df (x)dx(p).
Definition (Tangente)
Sei f : P → ℝ differenzierbar an der Stelle p ∈ P. Dann heißt die Gerade g: ℝ → ℝ mit
g(x) = f (p) + f ′(p) (x − p) für alle x ∈ ℝ
die durch die Stelle p definierte Tangente von f oder die Tangente von f durch den Punkt (p, f (p)).
Zwei Sekanten g1 und g2 und die Tangente g von f an der Stelle p
Der Differenzenquotient a(x, p) an der Stelle p als Funktion in x
Beispiele
(1) | Ist f : ℝ → ℝ mit f (x) = c für alle x, so gilt für alle p ∈ ℝ: f ′(p) = limx → p f (x) − f (p)x − p = limx → p c − cx − p = 0. |
(2) | Sei n ≥ 1 und f : ℝ → ℝ mit f (x) = xn für alle x. Weiter sei p ∈ ℝ. Dann gilt für alle x ∈ ℝ: xn − pn = (x − p)(xn − 1 p0 + … + x0 pn − 1). (vgl. unsere Ergebnisse zur geometrischen Summe). Damit ergibt sich f ′(p) = limx → p xn − pnx − p = limx → p (xn − 1 p0 + … + x0 pn − 1) = n pn − 1. |
(3) | Ist f : ℝ → ℝ mit f (x) = |x| für alle x, so ist x an der Stelle p = 0 nicht differenzierbar, da |x| − 0x − p = 1 für x > 0, |x| − 0x − p = −1 für x < 0. |
Sehr nützlich ist die folgende Umformulierung des Differentialquotienten, die sich durch die Setzung h = x − p ergibt:
h-Formulierung des Differentialquotienten
limx → p f (x) − f (p)x − p = limh → 0 f (p + h) − f (p)h
Implizit ist im h-Limes immer h ≠ 0 und p + h ∈ P enthalten.