Das Cavalierische Prinzip
Viele Volumenberechnungen werden einfacher, wenn wir die zu messende Menge nicht funktional darstellen, sondern die Flächeninhalte der (als Teilmengen der Ebene aufgefassten) Schnitte der Menge mit achsenparallelen Ebenen aufintegrieren. Für jede Menge A ⊆ ℝ3 und alle x, y, z ∈ ℝ setzen wir
S1(A, x) = { (y, z) ∈ ℝ2 | (x, y, z) ∈ A },(x-Schnitt)
S2(A, y) = { (x, z) ∈ ℝ2 | (x, y, z) ∈ A },(y-Schnitt)
S3(A, z) = { (x, y) ∈ ℝ2 | (x, y, z) ∈ A }.(z-Schnitt)
So ist zum Beispiel die oben betrachtete Kugel K ⊆ ℝ3 mit Radius r aus Kreisscheiben zusammengesetzt. Der x-Schnitt
S1(K, x) = { (y, z) ∈ ℝ2 | y2 + z2 ≤ r2 − x2 }
der Kugel K ist für jedes x ∈ [ −r, r ] ein Vollkreis mit Radius
rx =
und Flächeninhalt (r2 − x2)π. Integrieren wir diese Flächeninhalte von −r bis r, so erhalten wir
∫r−r (r2 − x2)π dx = ( 2 r3 − 2 r33) π = 43r3 π,
also das Volumen V(K) der Kugel K. Der Leser vergleiche die Methode mit obigem Beispiel. Eine funktionale Darstellung der Kugeloberfläche entfällt.
Man kann zeigen, dass dieses „Aufintegrieren von Flächeninhalten“ ein korrektes Verfahren zur Berechnung von Volumina darstellt. Eine wichtige Folgerung ist:
Cavalierisches Prinzip
Seien A, B Teilmengen des ℝ3 mit den Volumina V(A) bzw. V(B). Für alle x ∈ ℝ gelte, dass die x-Schnitte von A und B denselben Flächeninhalt besitzen. Dann gilt V(A) = V(B). Eine analoge Aussage gilt, wenn die Flächeninhalte aller y- bzw. z-Schnitte übereinstimmen.
Allgemeiner bleiben diese Überlegungen für jede Dimension n ≥ 2 gültig. So lässt sich zum Beispiel der Flächeninhalt F(A) einer Teilmenge A der Ebene ℝ2 dadurch berechnen, dass die Längen der x-Schnitte
S1(A, x) = { y ∈ ℝ | (x, y) ∈ A }
von A aufintegriert werden. Voraussetzung ist, dass A einen wohldefinierten Flächeninhalt und alle x-Schnitte von A eine wohldefinierte Länge besitzen.
Beispiel 1: Volumen eines Rotationskörpers
Sei f : [ a, b ] → ℝ eine stetige Funktion. Wir betrachten die Menge
A = { (x, y, z) ∈ ℝ3 | x ∈ [ a, b ], y2 + z2 ≤ f (x)2 }
die entsteht, wenn wir den Graphen von f im dreidimensionalen Raum um die x-Achse rotieren. Für alle x ∈ [ a, b ] ist der x-Schnitt S1(A, x) ein Kreis mit Radius |f (x)| und Fläche f (x)2π. Damit berechnet sich des Volumen von A zu
V(A) = π ∫baf (x)2 dx.
Ist konkret f : [ 0, h ] → ℝ mit
f (x) = a x für alle x ∈ [ 0, h ],
wobei a, h > 0, so ist der Rotationskörper A ein Kreiskegel mit Höhe h und Schnittflächen (ax)2 π für x ∈ [ 0, h ]. Damit gilt
V(A) = π ∫h0 (ax)2 dx = π a2 h33 = F h3 mit F = (ah)2 π,
in Übereinstimmung mit der Formel „1/3 mal Grundfläche mal Höhe“ der Elementargeometrie.
Der Rotationskörper A für f : [ −3, 3 ] → ℝ mit f (x) = arctan(x) für alle x ∈ [ −3, 3 ]. Eine numerische Berechnung des nichtelementaren Integrals ergibt das Volumen V(A) = 16,36…
Beispiel 2: Volumen eines Torus
Seien R ≥ r > 0, und sei
T = { (x, y, z) ∈ ℝ3 | + z2 ≤ r2 }
der Torus mit den Radien R ≥ r > 0. Der Torus T entsteht, wenn wir den in der x-z-Ebene liegenden Kreis mit Mittelpunkt (R, 0, 0) und Radius r um die z-Achse rotieren. Zur Berechnung des Volumens verwenden wir die z-Schnitte S3(T, z) von T. Für alle z ∈ [ −r, r ] ist S3(T, z) ein Kreisring mit dem Flächeninhalt
(+) π − π = 4 R π .
Damit berechnet sich das Volumen des Torus zu
V(T) = ∫r−r4 R π dz = 4Rπr2π/2 = 2π2Rr2,
wobei wir verwenden, dass das Integral von −r bis r über in der Variablen z den halben Flächeninhalt eines Kreises mit Radius r ergibt.
Der Torus T für R = 2 und r = 1. Der Schnitt mit der x-y-Ebene ergibt einen Kreisring mit innerem Radius R − r = 1 und äußerem Radius R + r = 3. Verschieben wir die Schnittebene entlang der z-Achse, erhalten wir einen Kreisring mit den in der Formel (+) verwendeten Radien (vgl. die folgende Abbildung).
Zur Formel (+): Der innere Radius des Schnitts ist R − rz, der äußere R + rz, wobei
rz = .