Zur Klassifikation endlicher Gruppen

 Eine natürliche Frage der Gruppentheorie ist:

Welche und wie viele Gruppen einer endlichen Ordnung n gibt es (bis auf Isomorphie)?

Wir verfolgen zunächst einen naiven Ansatz und bestimmen die Gruppen mit einem kleinen Träger { 1, …, n } und neutralem Element 1 durch „Lateinische Quadrate-Argumentation“. Durchgehend verwenden wir, dass die 1-Zeile und 1-Spalte einer Gruppentafel die Identität sein muss, und dass jede Zeile und Spalte eine Permutation der Gruppenelemente darstellt. Durch diese Vorgaben sind die Gruppen der Ordnungen 1, 2 und 3 bereits eindeutig bestimmt:

ema22-AbbID3-8-1

Zur dritten Tafel: Durch die e-Zeile und e-Spalte sind nur vier Stellen frei. Da in der a-Zeile noch e und b zu verteilen sind und die b-Spalte mit b beginnt, muss a ∘ b ≠ b und damit a ∘ b = e und a ∘ a = b sein. Hieraus ergeben sich die beiden letzten Einträge. Das Assoziativgesetz lässt sich direkt nachweisen, sodass Gruppen vorliegen. Diese Mühe können wir uns sparen, indem wir die Tafeln als Varianten der Tafeln der additiven Gruppen 1, 2, 3 erkennen, bei denen einer Restklasse [ a ] die Zahl a + 1 entspricht. Damit gibt es bis auf Isomorphie für die Ordnungen n = 1, 2, 3 nur die Gruppen (n, +, 0).

 Gruppen der Ordnung 4 sind etwas schwieriger zu bestimmen. Es gilt a2 ≠ a für a ≠ e, denn aus a2 = a würde a = e folgen. Für e = 1 ist also 2 ∘ 2  ∈  { 1, 3, 4 }, sodass es drei Möglichkeiten gibt, eine Tafel mit neutralem Element 1 aufzubauen:

ema22-AbbID3-8-2

Eine kombinatorische Analyse zeigt, dass die drei Tafeln zu genau vier Lateinischen Quadraten fortgesetzt werden können:

ema22-AbbID3-8-3
ema22-AbbID3-8-4

 Die ersten drei Strukturen sind isomorph zur 4, die vierte Struktur ist dagegen isomorph zur Kleinschen Vierergruppe 2 × 2 (Übung). Damit gibt es, wenn die 1 neutral sein soll, genau vier Gruppen mit den Elementen 1, 2, 3, 4 und bis auf Isomorphie sogar nur zwei Gruppen der Ordnung 4, nämlich die Restklassengruppe 4 und die Kleinsche Vierergruppe 2 × 2.

 Analoge Überlegungen lassen sich mit etwas mehr Aufwand auch für die Ordnung 5 durchführen. Bis auf Isomorphie gibt es hier nur die Gruppe:

ema22-AbbID3-8-5

Diese Gruppe ist wieder isomorph zur Restklassengruppe 5.

 Während bei den Ordnungen kleinergleich 4 ein Lateinisches Quadrat immer eine Gruppentafel bildet, gibt es für die Ordnung 5 ein erstes Gegenbeispiel:

ema22-AbbID3-8-6

Es gilt 2 ∘ (3 ∘ 2) = 2 ∘ 1 = 2, während (2 ∘ 3) ∘ 2 = 4 ∘ 2 = 3. Das Lateinische Quadrat bildet keine Gruppe. In der Sprache der Magmas liegt eine Quasigruppe mit neutralem Element, also ein Loop vor.

 Bei der Ordnung 6 taucht mit der Permutationsgruppe S3 die erste nichtkommutative Gruppe auf. Man kann zeigen, dass es für die Ordnung 6 bis auf Isomorphie nur die 6 und S3 gibt:

ema22-AbbID3-8-7

 Für die Primzahlordnung 7 gibt es bis auf Isomorphie wieder nur die 7. Für die Ordnung 8 gibt es bis auf Isomorphie genau die fünf Gruppen

8,  4 × 2,  23 = 2 × 2 × 2,  D4,  Q8,

mit der nichtkommutativen Dieder-Gruppe D4 und der nichtkommutativen Quaternionen-Gruppe Q8, die wir im Kapitel über Gruppen bereits kennengelernt hatten. Danach geht es weiter mit zwei Gruppen der Ordnung 9, nämlich 9 und 3 × 3, zwei Gruppen der Ordnung 10 (10 ≅ 2 × 5 und eine nichtkommutative Gruppe), einer Gruppe der Ordnung 11 (11) usw.

 Wir geben die Anzahl der Gruppen bis auf Isomorphie der Ordnungen von 1 bis 30 tabellarisch an:

n

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

Gruppen

1

1

1

2

1

2

1

5

2

2

1

5

1

2

1

n

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Gruppen

14

1

5

1

5

2

2

1

15

2

2

5

4

1

4

 Für Abelsche Gruppen gilt (bis auf Isomorphie):

n

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

Gruppen

1

1

1

2

1

1

1

3

2

1

1

2

1

1

1

n

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Gruppen

5

1

2

1

2

1

1

1

3

2

1

3

2

1

1

 Wie können wir diese Ergebnisse ohne „kombinatorisches Probieren“ erhalten? Wir verfolgen diese Frage hier nur für die Abelschen Gruppen.

 Betrachten wir die Tabelle für die Anzahl der Abelschen Gruppen, so sehen wir, dass alle Primzahlen einen 1-Eintrag aufweisen. Unsere Paradebeispiele für Abelsche Gruppen mit Primzahlordnung sind die additiven Restklassengruppen p mit p prim. Die Tabelle suggeriert, dass diese Beispiele bis auf Isomorphie die einzigen Beispiele sind. Für die von 1 verschiedenen Einträge in der Abelschen Tabelle können wir obige Produkt-Gruppen heranziehen, etwa:

für n = 4:  4,  2 × 2

für n = 8:  8,  4 × 2,  2 × 2 × 2

für n = 9:  9,  3 × 3

Die Tabelle enthält aber auch Einsen für einige zusammengesetzte Ordnungen. Für n = 6 gibt es die Abelschen Gruppen 6 und 2 × 3, aber es stellt sich heraus, dass diese beiden Gruppen isomorph sind! Analoges gilt für n = 10.

 Wir brauchen mehr Theorie, um ein allgemeines Konstruktionsschema und eine Anzahl-Formel ans Licht zu bringen. Entscheidend ist der allgemeine Begriff einer zyklischen Gruppe, dem wir bei Betrachtung von Untergruppen der Form 〈  a  〉 = { an | n  ∈   } implizit schon begegnet sind.