Multinomial-Koeffizienten

 Die Fakultäts-Brüche, die wir bei der Untersuchung des vierten Urnenmodells entdeckt haben, tauchen in kombinatorischen Überlegungen an verschiedenen Stellen auf. Wir definieren hierzu:

Definition (Multinomialkoeffizienten)

Für n ≥ 0, r ≥ 1 und k1, …, kr  ∈  { 0, …, n } mit k1 + … + kr = n setzen wir

nk1,…,krmult  =  n!k1! … kr!(Multinomialkoeffizient k1, …, kr aus n)

 Für r > 1 lassen wir den Zusatz „mult“ weg, da dann durch die Kommata keine Verwechslung mit den Binomialkoeffizienten möglich ist. Wir erlauben den Fall r = 1 aus technischen Gründen, um Induktionen zu vereinfachen.

 Die Multinomialkoeffizienten sind uns oben mit n = k und r = n begegnet. Wir ändern die Namen der Variablen, um eine Analogie zur üblichen Form „k aus n“ der Binomialkoeffizienten zu erreichen. In der Tat verallgemeinern die Multinomialkoeffizienten die Binomialkoeffizienten, denn für r = 2 und k1 + k2 = n gilt

nk1,k2  =  nk1  =  nk2.

 Um die kombinatorische Bedeutung der Multinomialkoeffizienten weiter zu klären, ist folgender Zerlegungsbegriff nützlich:

Definition (geordnete Zerlegung einer Menge)

Seien M endlich und r ≥ 1. Ein Tupel (M1, …, Mr) von Teilmengen von M heißt eine (geordnete) Zerlegung von M (in r nummerierte Teile), falls gilt:

(i)

Mi ∩ Mj  =  ∅  für alle 1 ≤ i < j ≤ r,

(ii)

M1 ∪ … ∪ Mr  =  M.

Ist ki = |Mi| für alle i, so heißt die Zerlegung eine (k1, …, kr)-Zerlegung von M.

 Für jede (k1, …, kr)-Zerlegung von M gilt k1 + … + kr = |M|. Dabei ist ki = 0 möglich, da einzelne Teile Mi der Zerlegung leer sein können.

Beispiele

Sei M = { 1, …, 8 }. Dann ist

({ 1, 2, 4 },  { 3, 5, 6, 7, 8 }) eine (3, 5)-Zerlegung von M,
({ 1, 2, 3 },  { },  { 4, 5, 6, 7, 8 },  { }) eine (3, 0, 5, 0)-Zerlegung von M,
( { },  …,  { },  M) eine (0, …, 0, 8)-Zerlegung von M.

 Wir sammeln nun Zerlegungen eines bestimmten Typs auf:

Definition (Zerlegungen mit vorgegebener Größe)

Sei M eine endliche Menge, und sei n = |M|. Weiter seien r ≥ 1 und k1, …, kr  ∈  { 0, …, n } mit k1 + … + kr = n. Dann setzen wir

[ M ]k1, …, kr  = { (M1, …, Mr) | (M1, …, Mr) ist (k1, …, kr)-Zerlegung von M }.

 Die Multinomialkoeffizienten geben die Mächtigkeiten dieser Zerlegungsmengen an:

Satz (Multinomialkoeffizienten und Zerlegungen)

Mit den Objekten wie in der letzten Definition gilt:

|[ M ]k1, …, kr|  =  nk1,…,kr.

 Der folgende Beweis des Satzes ist eine formalere Version der oben im lockeren kombinatorischen Jargon durchgeführten Zählung für T3. Wer kein Bedürfnis danach verspürt, kann den Beweis überschlagen.

Beweis

Wir zeigen die Aussage durch Induktion nach r ≥ 1.

Induktionsanfang r = 1:

Für r = 1 ist k1 = |M| = n und (M) die eindeutige (k1)-Zerlegung von M. Der (degenerierte) Multinomialkoeffizient berechnet sich zu

nk1mult  =  nnmult  =  n!n!  =  1  =  |[ M ]k1|.

Induktionsschritt von r nach r + 1:

Eine (k1, …, kr + 1)-Zerlegung von M ist bestimmt durch:

(a)

ein Mr + 1 ⊆ M mit |Mr + 1| = kr + 1,

(b)

eine (k1, …, kr)-Zerlegung von M − Mr + 1.

Da es genau „kr + 1 aus n“ kr + 1-elementige Teilmengen von M gibt, ergibt sich

|[ M ]k1, …, kr + 1| =  nkr+1 |[ M ]k1, …, kr|
=I. V.nkr+1 nkr+1k1,…,kr
=  n!kr + 1! (n − kr + 1)! (n − kr + 1)!k1! · … · kr!
=  nk1,…,kr+1.

 Wir diskutieren nun noch verschiedene Interpretationen dieses Ergebnisses. Hierzu sei

z  =  nk1,…,kr  mit fest gewählten n ≥ 0, r ≥ 1, k1 + … + kr = n.

Der Satz liefert:

Interpretation I der Multinomialkoeffizienten

Die Zahl z ist die Anzahl der Möglichkeiten, die Zahlen 1, …, n so in nummerierte oder benannte Teile M1, … Mr aufzuteilen, dass die Teile der Reihe nach die vorgegebenen Größen k1, …, kr besitzen.

 Den Binomialkoeffizienten entspricht eine Aufteilung in zwei benannte Teile. Bei den Urnenmodellen betrachten wir die Aufteilung „gezogen/nicht gezogen“ bzw. „ausgewählt/nicht ausgewählt“.

Beispiel

Bei drei Spielern A, B, C und einem Skat mit zwei Karten ist

3210,10,10,2  =  32!10! 10! 10! 2!  =  2753294408504640

die Anzahl der Skatspiele.

 Sehr nützlich ist folgende uns schon bekannte Interpretation:

Interpretation II der Multinomialkoeffizienten

Die Zahl z ist die Anzahl der n-Tupel mit Einträgen in { 1, …, r }, die genau k1 oft den Eintrag 1, genau k2 oft den Eintrag 2, …, genau kr oft den Eintrag r besitzen.

 Zur Übersetzung der beiden Interpretationen ordnen wir einer (k1, …, kr)-Zerlegung (M1, …, Mr) von { 1, …, n } das Lokalisierungs-Tupel (a1, …, an) mit Einträgen in { 1, … r } zu vermöge

am  =  „das eindeutige i mit m  ∈  Mi“  für alle 1 ≤ m ≤ n.

Diese Zuordnung definiert eine Bijektion zwischen [ { 1, …, n } ]k1, …, kr und den in der Interpretation genannten n-Tupeln mit Einträgen in { 1, …, r }. Lesen wir das Tupel (a1, …, an) als Funktion auf { 1, …, n }, so liefert diese Funktion für alle m die Antwort auf die Frage: „In welchem Teil der Zerlegung befindet sich m?“

 Eine anschauliche Variante der zweiten Interpretation ist:

Interpretation III der Multinomialkoeffizienten

Die Zahl z ist die Anzahl der möglichen Färbungen der Zahlen 1, …, n mit Farben 1, …, r derart, dass für jede Farbe i genau ki Zahlen mit der Farbe i gefärbt werden.

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Die Zerlegung (M1, M2, M3) von M = { 1, …, 8 } mit

M1  =  { 3, 5, 6 },  M2  =  { 1, 4 },  M3  =  { 2, 7, 8 }

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Darstellung der Zerlegung als Tupel (2, 3, 1, 2, 1, 1, 3, 3)  ∈  T1(8, 3) (Interpretation II) und als Färbung von { 1, …, 8 } mit drei Farben blau, gelb, grün (Interpretation 3)