Anhang

Dieser Anhang enthält die im Haupttext angesprochenen Ergänzungen:

Ergänzungen

(1)

Beweis der Determiniertheit offener und abgeschlossener Teilmengen von

(2)

Beispiel für ein großes Kardinalzahlaxiom: Unerreichbare Kardinalzahlen

(3)

Beweis des Satzes von Ulam: „Es gibt kein nichttriviales σ-additives Maß auf ω1.“

(4)

Beispiel für ein kombinatorisches Prinzip: „Es existiert ein ω1-dichtes Ideal auf ω1.“

1. Determiniertheit der offenen Mengen

 Wir beweisen (halbformal) den Satz von Gale und Stewart aus dem Jahr 1953:

Satz (Offene Determiniertheit, Satz von Gale-Stewart)

Jede offene Menge A ⊆  ist determiniert.

Beweis

Annahme, I hat keine Gewinnstrategie. Wir definieren rekursiv eine Strategie τ für Spieler II wie folgt:

Ist z, α0α1…α2n gespielt worden, so ist der nächste Zug α2n + 1 von Spieler II gemäß τ wie folgt definiert:

„ein α  ∈  { 0, 1, …, 9 } mit der Eigenschaft: Spieler I hat immer noch keine Gewinnstrategie nach dem Zug α, d.h. I hat keine Gewinnstrategie im Spiel GA, wenn die ersten Züge z, α0…α2nα vorgegeben sind“

Durch eine Induktion nach n ist leicht einzusehen, dass ein solches α existiert. Wir dürfen zur Definition von τ an der Stelle n verwenden:

„I hat keine Gewinnstrategie in GA bei vorgegebenen ersten Zügen z, α0…α2n.“

Wir zeigen nun − und hier erst geht die Offenheit von A ein:

(+)  τ ist eine Gewinnstrategie für Spieler II

Sei x = z,α0α1… eine Partie, in der Spieler II nach der Strategie τ spielt (und Spieler I beliebig). Annahme x  ∈  A. Da A offen ist, existiert ein n mit z,α0…α2nβ0β1 …  ∈  A für beliebige β0, β1,…  ∈  { 0, …, 9 }. Dann ist aber das Spiel GA mit vorgegebenen ersten Zügen z,α0…α2n gewonnen für I (bei beliebigem Spiel), im Widerspruch zur Definition von τ. Also ist x  ∉  A, und damit τ eine Gewinnstrategie für II.

 Kurz formuliert lautet die Strategie für II: „Spiele stets so, dass Spieler I immer noch nicht gewinnt.“ Die Strategie, keine „groben Schnitzer“ zu machen, führt bei offenen Mengen für Spieler II zum Sieg, − vorausgesetzt, das Spiel ist nicht von Anfang an gewonnen für Spieler I.

 Mit vertauschten Rollen von I und II können wir in gleicher Weise zeigen:

Satz (abgeschlossene Determiniertheit)

Jede abgeschlossene Menge A ⊆  ist determiniert.

2. Ein großes Kardinalzahlaxiom: Unerreichbarkeit

 Eine Ordinalzahl α heißt eine Kardinalzahl, falls für alle β < α gilt: |β| < |α|. Alle natürlichen Zahlen sind Kardinalzahlen. Die ersten unendlichen Kardinalzahlen sind ω und ω1. Die unendlichen Kardinalzahlen zerfallen nun in die singulären und die regulären Kardinalzahlen:

Definition (singulär, regulär)

Eine unendliche Kardinalzahl κ heißt singulär, falls eine Folge 〈 αβ | β < λ 〉 von Ordinalzahlen existiert mit:

(i)

λ < κ

(ii)

αβ < κ für alle β < λ

(iii)

sup { αβ | β < λ } = κ

Eine unendliche Kardinalzahl κ heißt regulär, falls sie nicht singulär ist.

Intuition

Reguläre Kardinalzahlen κ können von unten nur durch κ-viele Schritte erreicht werden, singuläre Kardinalzahlen κ durch weniger als κ-viele Schritte. Singuläre Kardinalzahlen können sehr groß sein, aber wir können sie vergleichsweise schnell durchlaufen.

Beispiele

Die Kardinalzahlen

ω,  ω1,  ω2  =  min { α > ω1 | α Kardinalzahl },  ω3,  …,  …

sind jeweils regulär. Das Paradebeispiel für eine singuläre Kardinalzahl ist

ωω  =  sup { ω, ω1, ω2, … }

Die Kardinalzahl ωo überragt alle ihre Vorgänger ωn an Mächtigkeit, aber diese Vorgänger bilden eine Leiter der Länge ω, die zu ωo hinauf führt.

 Mit Hilfe der Regularität können wir ein großen Kardinalzahlaxiom formulieren:

Definition (unerreichbare Kardinalzahl)

 Eine unendliche Kardinalzahl κ heißt (stark) unerreichbar, falls gilt:

(i)

κ ist regulär.

(ii)

Für alle α < κ ist |(α)| < κ.

 Offenbar ist ω eine unerreichbare Kardinalzahl. Aufgrund der zweiten Bedingung ist eine unerreichbare Kardinalzahl stets eine Limeskardinalzahl. Folgende Überlegung vermittelt einen Eindruck von der Größe solcher Zahlen: Ist κ = ωα mit α > 0 unerreichbar, so gilt α = κ, d.h. κ ist die κ-te Kardinalzahl. Denn κ ist das Supremum aller ωβ, β < α. Da κ regulär ist, gilt α = κ.

 Das einfachste große Kardinalzahlaxiom lautet nun:

Existenz unerreichbarer Kardinalzahlen (U)

Es existiert eine überabzählbare unerreichbare Kardinalzahl.

 In ZFC können wir (U), d.h. die Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl κ größer als ω, nicht beweisen.

Beweisskizze

Annahme, ZFC beweist (U). Sei dann κ die kleinste überabzählbare unerreichbare Kardinalzahl. Dann ist die κ-te von Neumann Stufe Vκ ein Mengen-Modell von ZFC + ¬ (U). Damit gibt es also ein Modell von ZFC, in dem keine überabzählbare unerreichbare Kardinalzahl existiert. Dies steht im Widerspruch zu „ZFC beweist (U)“. In jedem Modell von ZFC gelten alle in ZFC beweisbaren Sätze.

 Mit Hilfe des zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatzes folgt stärker: In ZFC kann man nicht zeigen, dass ZFC + (U) relativ konsistent zu ZFC ist. Die Hinzunahme von ZFC erhöht, wenn man so will, die Gefahr, einen Widerspruch mit aufzunehmen. Dies ist zum Beispiel für das Auswahlaxiom anders: Gödel hat gezeigt, dass die Widerspruchsfreiheit von ZF die Widerspruchsfreiheit von ZFC impliziert. So umstritten das Auswahlaxiom auch sein mag, für Widersprüche ist es nicht verantwortlich. Kann „0 = 1“ in ZFC bewiesen werden, so gibt es einen Beweis von „0 = 1“, der das Auswahlaxiom nicht verwendet. Für Axiome wie (U) (und alle anderen großen Kardinalzahlaxiome) ist dies anders. Jedes solche Axiom kann einen neuen Widerspruch mit sich bringen. Mit anderen Worten: Diese Axiome sind prinzipiell möglicherweise inkonsistent.

3. Der Satz von Ulam über Maße auf ω1

Definition (Maß)

Sei M eine Menge. Ein nichttriviales σ-additives Maß auf M ist eine Funktion μ : (M)  [0, 1] mit den Eigenschaften:

(i)

μ(M)  =  1(Normiertheit)

(ii)

μ({ x })  =  0  für alle x  ∈  M (Nichttrivialität)

(iii)

Für alle paarweise disjunkten Mengen A0, A1, … ⊆ M gilt:

μ(⋃n  ∈  ω An)  =  n  ∈  ω μ(An) (σ-Additivität)

 Für ein Maß μ gilt μ(A) ≤ μ(B) für A ⊆ B und μ(M − A) = 1 − μ(A). Nach (ii) und (iii) ist weiter μ(A) = 0 für alle abzählbaren A ⊆ M.

 Wir zeigen nun:

Satz (Satz von Ulam (1930))

Es gibt kein nichttriviales σ-additives Maß auf ω1.

Beweis

Sei 〈 An, α | n  ∈  ω, α  ∈  ω1 〉 eine Ulam-Matrix, d.h. es gilt:

(a)

An, α ⊆ ω1  für alle n  ∈  ω, α  ∈  ω1

(b)

n  ∈  ω An, α = ω1 − α  für alle α < ω1

(c)

〈 An, α | α < ω1 〉 ist paarweise disjunkt für alle n  ∈  ω

zur Existenz einer Ulam-Matrix:

Für alle β < ω1 sei fβ : ω  (β + 1) surjektiv. Mit Hilfe dieser Surjektionen definieren wir für alle für n  ∈  ω und α < ω1:

An, α  =  { β < ω1 | fβ(n)  =  α }

Dann ist 〈 An, α | n  ∈  ω, α  ∈  ω1 〉 eine Ulam-Matrix.

Annahme, es gibt ein nichttriviales σ-additives Maß μ auf ω1. Dann existiert wegen (b) für alle α < ω1 ein nα  ∈  ω mit μ(An, α) > 0. Also existiert ein n*  ∈  ω mit:

μ(An*,α)  ≠  0  für überabzählbar viele α < ω1

(Denn eine abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen ist abzählbar.)

Dies ist ein Widerspruch zu (c), denn es kann nicht überabzählbar viele paarweise disjunkte Mengen mit positivem Maß geben (andernfalls existiert ein m  ∈  ω und unendlich viele Mengen A mit μ(A) ≥ 1/m, im Widerspruch zur Additivität von μ und μ(ω1) = 1).

 Dieses Ergebnis verstärkt:

Korollar (Satz von Banach-Kuratowski (1929))

Es gelte (CH). Dann existiert kein nichttriviales σ-vollständiges Maß auf .

Beweis

Aufgrund von (CH) gibt es eine Bijekktion g :   ω1. Annahme, es gibt ein nichttriviales σ-additives Maß μ auf . Dann ist g(μ) ein nichttriviales σ-vollständiges Maß auf ω1, wobei g(μ) definiert ist durch

g(μ)(A)  =  μ({ x  ∈   | g(x)  ∈  A })  für alle A ⊆ ω1.

Dies ist ein Widerspruch zum Satz von Ulam.

4. Kombinatorik auf ω1: Existenz eines ω1-dichten Ideals

Definition (Ideal auf ω1)

Ein Mengensystem I ⊆ 1) heißt ein Ideal auf ω1, falls gilt:

(i)

Für alle α  ∈  ω1 ist { α }  ∈  I.

(ii)

Für alle A, B ⊆ ω1 gilt: A  ∈  I und B ⊆ A impliziert  B  ∈  I.

(iii)

Für alle { An | n  ∈  ω } ⊆ I ist ⋃n  ∈  ω An  ∈  I.

Dualer Filter und Maße

Ist I ein Ideal auf ω1, so heißt

F(I)  =  { A ⊆ ω1 | ω1 − A  ∈  I }

der duale Filter. Das System 𝒜 = I ∪ F(I) ist eine σ-Algebra und die Funktion μ : 𝒜  [0, 1] mit

μ(A)  =  1,  falls A  ∈  F(I),  μ(A)  =  0,  falls  A  ∈  I

ist ein nichttriviales σ-addivives Maß auf 𝒜.

Ist I ein Ideal auf ω1 so setzen wir für A, B ⊆ ω1:

A ⊆ I B,  falls  B − A  ∈  I.

Anschauung ist, dass A „im Wesentlichen“ eine Teilmenge von B ist (bis auf eine kleine Differenzmenge bzgl. I).

Definition 1-dichtes Ideal)

Ein Ideal I ω1 heißt ω1-dicht, falls ein 𝒟 ⊆ 1) − I existiert mit:

(i)

|𝒟| = ω1

(ii)

Für alle X ⊆ 1) − I existiert ein Y  ∈  𝒟 mit Y ⊆ I X.

Die zweite Eigenschaft bedeutet: Das Ideal 𝒟 ist „dicht nach unten" in der partiellen Ordnung ⊆I.

 Das System 1) − I ist dicht nach unten, erfüllt aber (i) nicht: 𝒟 darf lediglich die Mächtigkeit ω1 haben. Man kann zeigen, dass ein abzählbares 𝒟 für (ii) nicht genügt. Die Mächtigkeit |𝒟| = ω1 ist kleinstmöglich.

 Wir betrachten nun die folgende kombinatorische Aussage:

Existenz eines ω1-dichten Ideals (DI)

Es existiert ein ω1 dichtes Ideal auf ω1.

Im Sinne obiger Bemerkung ist dieses Prinzip eine Version von:

„Es existiert ein σ-additives Maß μ auf einer großen σ-Algebra auf ω1.“

Denn 𝒜 = I ∪ F(I) ist „groß“: Die nicht μ-messbaren Mengen sind genau die Elemente von 1) − 𝒜; und innerhalb dieser nicht μ-messbaren Mengen ist 𝒟 dicht nach unten und von der Größe ω1.

 Das Resultat „der Zusammenschau verschiedener Dinge“ von Hugh Woodin lautet nun:

Satz (Satz von Woodin)

Die folgenden Theorien sind äquikonsistent:

(i)

ZFC  +  „Es existieren ω-viele Woodin-Kardinalzahlen.“

(ii)

ZFC  +  (DI)

(iii)

ZF  +  (AD)

Dabei ist

(AD)  =  Axiom of Determinacy  =  „Jedes A ⊆  ist determiniert.“

Dieses Axiom ist nicht mit dem Auswahlaxiom verträglich, sodass in (iii) die Theorie ZF um (AD) erweitert wird.

 Zwei Theorien T1 und T2 sind äquikonsistent, wenn aus der Widerspruchsfreiheit der Theorie T1 die Widerspruchsfreiheit von T2 folgt und umgekehrt. Die Konsistenzargumente sind dabei konstruktiv: Würde es jemandem gelingen, in ZF (ohne Auswahlaxiom) zu zeigen, dass es eine nicht determinierte Teilmenge von  gibt, so ließe sich dieser Beweis in einen Widerspruch innerhalb der Theorien (i) bzw. (ii) des Satzes übersetzen.