Der Satz von Cantor

Satz (Satz von Cantor über die Potenzmengenoperation)

Sei M eine Menge, (M) = { X | X ⊆ M } die Potenzmenge von M.

Dann gilt |M| < |(M)|.

Beweis

Zunächst gilt |M| ≤ |(M)|, denn die Funktion F : M  (M) mit F(x) = { x } für alle x  ∈  M ist injektiv.

Sei nun f : M  (M) beliebig. Es genügt zu zeigen: f ist nicht surjektiv.

Wir setzen:

D  =  { x  ∈  M | x  ∉  f (x) }.

Dann ist D  ∈  (M). Annahme, D  ∈  rng(f). Sei also y  ∈  M mit f (y) = D. Dann gilt:

y  ∈  D  gdw  y  ∉  f (y)  gdw  y  ∉  D,

ersteres nach Definition von D, letzteres wegen f (y) = D. Widerspruch!

 Wegen || = |()| und |𝔉| = |()| liefert der Satz von Cantor auch einen neuen Beweis für die Überabzählbarkeit von  und für || < |𝔉|.

 Im zweiten Teil des Beweises wird rng(f) ⊆ (M) nicht gebraucht. Der Beweis zeigt allgemein, dass wir für jede Menge M und jede Funktion f auf M eine Menge D ⊆ M definieren können, die nicht im Wertebereich von f liegt:

Korollar (Lücken im Wertebereich)

Sei M eine Menge, und sei f eine Funktion mit dom(f) = M.

Dann gilt { x  ∈  M | x  ∉  f (x) }  ∉  rng(f).

 Wie kommt man auf die Menge D = { x  ∈  M | x  ∉  f (x) }? Bei genauerem Hinsehen erweist sich die Konstruktion von D als eine Diagonalisierung, wie sie uns in den Beweisen der Überabzählbarkeit von  und von || < |𝔉| bereits begegnet ist: Wir identifizieren eine Teilmenge A von M mit ihrer Indikatorfunktion indA, M : M  { 0, 1 } , wobei wieder indA, M(x) = 1 gdw x  ∈  A. Die Potenzmenge von M wird dann zu M{ 0, 1 } , der Menge aller Indikatorfunktionen auf M.

Sei nun f : M  M{ 0, 1 }. Wir suchen ein d  ∈  M{ 0, 1 } mit f (x) ≠ d für alle x  ∈  M. Wir können aber d verschieden von allen f (x) konstruieren durch:

d(x)=1,falls f(x)(x)=0,0,falls f(x)(x)=1,

für alle x  ∈  M. Dann gilt d(x) ≠ f (x)(x) für alle x  ∈  M, also ist d  ∉  rng(f).

mengenlehre1-AbbID36

 Die Senkrechte des Diagramms repräsentiert M. Die Waagrechten seitlich der Senkrechten stehen für Funktionen f (x)  ∈  M{0, 1} , die man sich als 0-1-Folgen vorstellen kann. Die oberste Waagrechte ist der Definitionsbereich dieser Funktionen.

 Die Diagonale steht für die konstruierte Funktion d  ∈  M{ 0, 1 } − ebenfalls eine 0-1-Folge. d ist in jedem x  ∈  M verschieden von f (x), d. h. es gilt f (x)(x) ≠ d(x). f (x)(x) ist der Wert der 0-1-Folge f (x) an der Stelle x, d. h. der Wert der Waagrechten f (x) an ihrem Schnittpunkt mit d. d ist dort gerade verschieden von diesem Wert, also ist d sicher nicht gleich f (x). Und dies gilt für alle x  ∈  M.

Übung

Sei M = { 0, 1, 2, 3 }. Bestimmen Sie D ⊆ M wie im obigem Beweis für die Funktion f : M  (M) mit f (0) = { 1, 3 } , f (1) = { 0, 2 } , f (2) = { 1, 2 } , f (3) = { 0, 1, 2 }. Zeichnen Sie zudem obiges Diagramm für diese Situation mit 0-1-Folgen für f (x) und bestimmen Sie d.

 Durch iterierte Anwendung der Potenzmengenoperation können wir nun, ausgehend von einer beliebigen Menge, Mengen mit immer größerer Mächtigkeit erzeugen:

 Sei M eine Menge. Wir definieren n(M) für n  ∈   rekursiv durch

0(M) = M,

n + 1(M) = (n(M))  für n  ∈  .

Dann gilt |n(M)| < |n + 1(M)| für alle n  ∈  . Sei weiter

M*  =  ⋃n  ∈   n(M).

Dann gilt |n(M)| < |n + 1(M)| ≤ |M*| für alle n  ∈  . Durch die Vereinigung der Mengen

M,  (M),  2(M),  …

finden wir also eine Menge M* von noch größerer Mächtigkeit. Wir können nun wieder (M*) bilden und haben |M*| < |(M*)|, usw. usf. Was hier genau „usw. usf.“ bedeutet, wird erst später klar werden, wenn wir die transfiniten Zahlen zur Verfügung haben.