Der Funktionsbegriff

 Ähnlich wie Cantor „Menge“ definiert hat, könnten wir „Funktion“ definieren als eine Vorschrift, die jedem Element einer bestimmten Menge, dem sogenannten Definitionsbereich der Funktion, eindeutig ein bestimmtes Objekt zuordnet. Der Funktionsbegriff kann aber leicht rein extensional mit Hilfe von geordneten Paaren definiert werden. Funktionen sind danach einfach besondere Relationen, und wir sind nicht mehr auf eine intuitive Beschreibung angewiesen. Unsere Vorstellung und Idee von einer Funktion bleibt aber trotzdem durch die Intuition der „eindeutigen Zuordnung“ bestimmt. Je mehr Konzepte der Leser mit derartigen den Kern der Sache treffenden Vorstellungen versehen und seinem menschlichen Verständnis der Mathematik hinzufügen kann, desto besser. Ohne dieses innere Licht kann man keine Beweise führen und verstehen.

Definition (Funktion)

Sei f eine Menge von geordneten Paaren. Die Menge f heißt Funktion, falls für alle a, b1, b2 gilt:

(a, b1)  ∈  f und (a, b2)  ∈  f  folgt  b1 = b2.     (Rechtseindeutigkeit)

 Funktionen sind also rechtseindeutige Relationen. Etwas anders formuliert: Eine Relation f ist eine Funktion genau dann, wenn für jedes a  ∈  dom(f) genau ein b existiert mit (a, b)  ∈  f.

 Ist f eine Funktion, so schreiben wir wie üblich auch

f (a)  =  b  für  (a, b)  ∈  f.

Definition (Bild unter einer Funktion)

Ist f eine Funktion und f (a) = b, so heißt b das Bild von a unter f.

 Die bevorzugten Zeichen für Funktionen sind f, g, h, F, G, H.

Definition (Funktion von A nach B)

Seien f eine Funktion und A, B Mengen. Die Funktion f heißt Funktion von A nach B, in Zeichen f : A  B, falls gilt:

dom(f) = A und rng(f) ⊆ B.

 Diese asymmetrische Behandlung von Definitions- und Wertebereich für „Funktion von … nach … “ hat sich als nützlich herausgestellt. Für die Funktion f, die jeder natürlichen Zahl die Null zuordnet, d. h. f (n) = 0 für alle n  ∈  , gilt also f :   , obwohl nur ein Wert angenommen wird.

 Es hat sehr lange gedauert, bis die einfache abstrakte Definition einer Funktion als Menge von geordneten Paaren formuliert werden konnte. Die bloße Entwicklung des Begriffs einer „Funktion“ im 17. Jahrhundert war bereits ein Kraftakt − aus der Antike konnte hier ausnahmsweise einmal nichts übernommen werden. Der Term „Funktion“ selbst geht auf Leibniz zurück. Im 18. Jahrhundert sah man eine Funktion zumeist als eine konkrete Berechnungsvorschrift; für eine Variable wird in eine Funktion eine Zahl eingesetzt, und diese wird in eine andere Zahl umgerechnet. Von Leonhard Euler (1707 − 1783) stammt die Notation „f (x)“; für ihn sind Funktionen zunächst Kombinationen aus den Grundrechenarten, der Exponentiation und des Logarithmierens, und später allgemeine analytische Ausdrücke, die z. B. auch durch Integration oder implizit durch Gleichungssysteme gegeben sein können; darüber hinaus können Funktionen auch durch unendliche Reihen, Kettenbrüche usw. erzeugt werden. Erst im 19. Jahrhundert setzte sich allmählich der Gedanke einer abstrakten Korrespondenz oder Zuordnung zwischen Zahlen (Nikolai Lobatschewski 1792 − 1856, Jean Fourier 1768 − 1830, Johann Lejeune Dirichlet 1805 − 1859, Bernhard Riemann 1826 − 1866) und später zwischen beliebigen mathematischen Objekten durch. Ein entscheidender Schritt ist hier Dedekinds Definition, bei der er sich auf Dirichlet beruft, der selber wiederum viel von Fourier übernommen hat:

Dedekind (1887):

„Unter einer Abbildung φ eines Systems [Menge] S wird ein Gesetz verstanden, nach welchem zu jedem bestimmten Element s von S ein bestimmtes Ding gehört, welches das Bild von s heißt und mit φ(s) bezeichnet wird … “

 Cantor arbeitet von Beginn an ebenfalls mit einem sehr abstrakten Funktionsbegriff. Die gedankliche, „intern bestimmte“ Möglichkeit, die Elemente zweier Mengen auf bestimmte Art und Weise einander zuzuordnen, wird zur tragenden Säule seiner neuen Konzepte. Für ihn waren Funktionen − wie auch z. B. Ordnungen − keine Mengen, und er hat hier keine Präzisierungsarbeiten übernommen. Von analytischen Ausdrücken und auch „Gesetzen“ ist er aber weit entfernt, und in seinen Schriften lotet er die lichtlosen Tiefen des heutigen abstrakten Funktionskonzepts bereits voll aus, ohne dabei auf eine mengentheoretische Definition von „Funktion“ zurückgreifen zu müssen.

 Schließlich werden Funktionen als spezielle Relationen behandelt (insbesondere von Russell, der andererseits ungern Relationen auf geordnete Paare zurückführte). Hausdorff gab dann zum ersten Mal die moderne Definition, bei der Funktionen und geordnete Paare nur Mengen sind und sonst nichts.

Hausdorff (1914):

„Zuvor betrachten wir eine Menge P solcher Paare, und zwar von der Beschaffenheit, dass jedes Element a von A in einem und nur einem Paare p von P als erstes Element auftritt. Jedes Element a bestimmt auf diese Weise ein und nur ein Element b, nämlich dasjenige, mit dem es zu einem Paare p = (a, b) verbunden auftritt; dieses durch a bestimmte, von a abhängige, dem a zugeordnete Element bezeichnen wir mit

b = f (a)

und sagen, dass hiermit in A (d. h. für alle Elemente von A) eine eindeutige Funktion von a definiert sei. Zwei solche Funktionen f (a), f′(a) sehen wir dann und nur dann als gleich an, wenn die zugehörigen Paarmengen P, P′ gleich sind, wenn also, für jedes a, f (a) = f′(a) ist.

 Umgekehrt ist bei unseren Voraussetzungen ein Element b entweder mit keinem oder einem oder mehreren Elementen a zu einem Paare p = (a, b) verbunden … “

 Verbunden mit unserer Definition von Relation und Funktion sind einige Schreibweisen, die eine Erwähnung verdienen, um möglichen Irritationen vorzubeugen.

Beispiele

(1)

Seien f : A  B, und seien a  ∈  A, b  ∈  B mit f (a) = b. Wir setzen

g  =  f − { (a, b) }.

Dann gilt g : (A − { a })  B.

(2)

Sei x ein Objekt mit x  ∉  A, und sei y ein beliebiges Objekt. Sei

h  =  f ∪ { (x, y) }.

Dann gilt dom(h) = A ∪ { x } , rng(h) = rng(f) ∪ { y } ,

h : dom(h)  B ∪ { y } , h(x) = y.

(3)

Die leere Menge ∅ ist nach Definition eine Funktion mit dom(∅) = ∅.

Es gilt ∅ : ∅  B für jede Menge B.

 Solche Überlegungen gehören zu den Tonleiterübungen der Mengenlehre, und sollten auch als solche aufgefasst werden.