Die Cantor-Bendixson-Zerlegung
Satz (Mächtigkeit der isolierten Punkte einer Menge)
Sei P ⊆ ℝ. Dann ist die Menge R = P − P′ der isolierten Punkte von P abzählbar.
Beweis
Sei wieder I0, I1, I2, … eine Aufzählung aller offenen nichtleeren rationalen Intervalle in ℝ. Für alle x ∈ R sei
f (x) = „das kleinste n ∈ ℕ mit x ∈ In und In ∩ P = { x }“.
f (x) ist wohldefiniert, da x ein isolierter Punkt von P ist. Dann ist f : R → ℕ injektiv, denn für x, y ∈ R mit f (x) = f (y) ist
{ x } = If (x) ∩ P = If (y) ∩ P = { y } ,
also x = y. Also ist R abzählbar.
Damit erhalten wir nun den zusammenfassenden Satz:
Satz (Satz von Cantor-Bendixson)
Sei P ⊆ ℝ abgeschlossen. Dann existieren A, P* ⊆ P mit:
(i) | P* ∩ A = ∅, P* ∪ A = P, |
(ii) | P* = P(α) für ein abzählbares α, |
(iii) | P* ist perfekt, A ist abzählbar. |
Beweis
Wir setzen:
α* | = „das kleinste α mit P(α) = P(α + 1)“, |
P* | = P(α*). |
Nach dem Satz über die Länge ⊂-absteigender Folgen abgeschlossener Mengen existiert α* und ist abzählbar. Offenbar ist P* ⊆ P perfekt. Für α < α* sei Rα = P(α) − P(α + 1) die Menge der isolierten Punkte von P(α). Sei dann
A = ⋃α < α* Rα.
Dann ist A als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen abzählbar.
Offenbar gilt
P = P* ∪ A und P* ∩ A = ∅.
Definition (Cantor-Bendixson-Zerlegung)
Sei P ⊆ ℝ abgeschlossen. Dann heißt die im obigen Beweis konstruierte Zerlegung
P = P* ∪ A
die Cantor-Bendixson-Zerlegung von P. A heißt die Menge der verborgen isolierten Punkte von P.
Cantor (1884b):
„Theorem E′. Ist P eine abgeschlossene Punktmenge von höherer als der ersten Mächtigkeit [P überabzählbar], so zerfällt P und zwar nur auf eine Weise in eine [nichtleere] perfekte Menge S und eine Menge von der ersten Mächtigkeit [hier: höchstens abzählbar] R, so dass
P ≡ R + S
und es existiert eine kleinste der ersten oder zweiten Zahlenklasse zugehörige [abzählbare] Zahl α, so dass P(α) gleich S wird.“
Die Eindeutigkeit der Zerlegung einer abgeschlossenen Menge in einen perfekten und einen abzählbaren Teil zeigen wir unten. Hier halten wir noch ein einfaches Korollar fest:
Korollar
Sei P ⊆ ℝ, und sei P(α) abzählbar für ein α. Dann ist P abzählbar.
Beweis
Nichttrivial ist nur der Fall α ≥ 1. Sei P(1) = P* ∪ A die Cantor-Bendixson-Zerlegung der abgeschlossenen Menge P(1). Dann ist P* abzählbar, denn P* ist Teilmenge jeder Ableitung P(α) von P. Wegen A abzählbar ist also P(1) abzählbar. Aber R = P − P(1) ist abzählbar, also ist P = P(1) ∪ R abzählbar.
Cantor (1884b):
„Theorem B. Ist α irgendeine Zahl der ersten oder zweiten Zahlenklasse [α abzählbar] und P … eine Punktmenge von solcher Beschaffenheit, dass:
P(α) ≡ 0,
so ist P(1) sowohl wie auch P von der ersten Mächtigkeit [abzählbar unendlich], es sei denn, dass P resp. P(1) endliche Mengen sind.“
Aus dem Satz von Cantor-Bendixson folgt, dass jede überabzählbare abgeschlossene Menge immer einen überabzählbaren perfekten Kern enthält. Umgekehrt stellt sich die Frage:
Kann eine abzählbare abgeschlossene Menge einen nichtleeren Kern haben?
Dieser Frage wollen wir uns nun zuwenden.