Kohärenzen und relative Abgeschlossenheit

 Die Folge der Ableitungen P(α) mündet für beliebige P ⊆  nach dem ersten Schritt in die Folge der Ableitungen einer abgeschlossenen Menge, nämlich in die Ableitungsfolge von P′. Ein feinerer, ebenfalls schon von Cantor untersuchter Ableitungsprozess einer beliebigen Punktmenge ist der folgende:

Definition (Kohärenzen und Adhärenzen)

Sei P ⊆ . Dann ist die α-te Kohärenz Pα von P für Ordinalzahlen α rekursiv definiert durch:

P0 =  P,
Pα + 1 =  (Pα)′  ∩  Pα für α Ordinalzahl,
Pλ =  ⋂α < λ Pα für λ Limesordinalzahl.

Pα − Pα + 1 heißt die α-te Adhärenz von P.

 Die Begriffe der Kohärenz und Adhärenz hat Cantor 1885 eingeführt.

 Die erste Adhärenz von P ist einfach die Menge der isolierten Punkte von P, und also abzählbar. Insgesamt werden bei der iterierten Kohärenzbildung also in jedem Schritt nur abzählbar viele Punkte abgespalten.

 Für abgeschlossene Mengen P gilt P(α) = Pα für alle α. Dagegen gilt (1) = , während 1 =  gilt.

 Im Allgemeinen gilt Pα = P(α) ∩ P nicht:

Übung

(i)

Es gibt ein P ⊆  mit P2 = ∅, P(2) ⊆ P, P(2) ≠ ∅.

(ii)

Es gilt Pα ⊆ P(α) ∩ P für alle Ordinalzahlen α und alle P ⊆ .

[zu (i):  Sei 〈 xα | α ≤ ω2 〉 strikt aufsteigend in . Wir betrachten nun P = { xα | α < ω2, α Nachfolger } ∪ { xω2 }.]

 Ist also P reduktibel, so ist Pα = ∅ für ein α. Die Umkehrung gilt nicht. Wir werden im nächsten Abschnitt ein P ⊆  konstruieren, dessen Kohärenz P1 = P′ ∩ P leer ist, dessen erste Ableitung P(1) = P′ aber nichtleer und perfekt ist.

 Kohärenzen haben eine gewisse Abschlusseigenschaft. Hierzu ein auch anderswo nützlicher Begriff:

Definition (abgeschlossen in P, P)

Sei P ⊆ . A ⊆ P heißt (relativ) abgeschlossen in P, falls A′ ∩ P ⊆ A.

Wir setzen P = { A ⊆ P | A ist abgeschlossen in P }.

 Insbesondere ist jedes P ⊆  abgeschlossen in sich selbst, und es gilt  = .

 Die Idee ist: P ist blind gegenüber  − P, insbesondere also gegenüber P′ − P. Ein derart blindes P denkt, dass A ⊆ P abgeschlossen ist, wenn jeder Häufungspunkt von A, den P sieht, bereits zu A gehört.

Übung

Für alle A, P ⊆  sind äquivalent:

(i)

A ist abgeschlossen in P.

(ii)

Es gibt ein abgeschlossenes B ⊆  mit A = P ∩ B.

Übung

(a)

Ist P ⊆  und 𝒜 ⊆ P nichtleer, so ist ⋂ 𝒜  ∈  P.

(b)

Seien A, B, C ⊆ , und sei A ⊆ B ⊆ C. Dann gilt: Ist A abgeschlossen in C, so ist A abgeschlossen in B.

Übung

Für alle P ⊆  und alle Ordinalzahlen α gilt:

Pα ist abgeschlossen in P.

 Auch für die relative Abgeschlossenheit gilt:

Satz (über die Länge absteigender Folgen von relativ abgeschlossenen Mengen)

Sei P ⊆  und sei 〈 Aα | α < β 〉 eine ⊂-absteigende Folge von in P abgeschlossenen Teilmengen von P. Dann ist β abzählbar.

Beweis

Sei P ⊆ , und seien A, B ⊆ P abgeschlossen in P. Dann gilt:

Ist A ⊂ B, so ist cl(A) ⊂ cl(B), d. h. A ∪ A′ ⊂ B ∪ B′.

⊆ ist klar. Sei also x  ∈  B − A. Dann ist x  ∉  A′, da A abgeschlossen in P ist. Also x  ∉  A ∪ A′.

Folglich ist 〈 cl(Aα) | α < β 〉 eine ⊂-absteigende Folge abgeschlossener Teilmengen von . Also ist β abzählbar.

 Auch der Prozess der iterierten Kohärenzbildung erreicht also nach abzählbar vielen Schritten einen stabilen Zustand:

Satz (abzählbare Terminierung der Kohärenzbildung)

Sei P ⊆ . Dann existiert ein abzählbares α mit Pα = Pα + 1.

Beweis

Andernfalls ist 〈 Pα | α < ω1 〉 eine ⊂-absteigende Folge von in P abgeschlossenen Teilmengen von P, Widerspruch.

Definition (letzte Kohärenz)

Sei P ⊆ , und sei α derart, dass Pα = Pα + 1 gilt. Dann heißt Pα die letzte Kohärenz von P.

 Die letzte Kohärenz einer Punktmenge lässt sich wieder wie folgt charakterisieren:

Übung

Sei P ⊆ , und sei K ⊆ P die letzte Kohärenz von P. Dann ist K die größte in sich dichte Teilmenge von P.