2. Lineare Punktmengen
In diesem Kapitel ist ℝ die zugrunde liegende Struktur, und wir betrachten beliebige Teilmengen P von ℝ, die wir wie Cantor auch als „lineare Punktmengen“ bezeichnen.
Wir halten vorab zwei wesentliche Eigenschaften der reellen Zahlen fest, die uns schon begegnet sind:
(1) | ℝ ist vollständig. |
(2) | ℝ hat eine abzählbare dichte Teilmenge: ℚ ist dicht in ℝ. |
In knapper Form erinnern wir an einige Begriffe im Umfeld dieser Eigenschaften:
Eine Menge P ⊆ ℝ heißt nach oben beschränkt, falls ein s ∈ ℝ existiert mit P ≤ s, d. h. es gilt x ≤ s für alle x ∈ P. Ein solches s heißt eine obere Schranke von P. Analog heißt P nach unten beschränkt, falls eine reelle Zahl s existiert mit s ≤ P, d. h. es gilt s ≤ x für alle x ∈ P. Ein solches s heißt eine untere Schranke von P. Die Menge P heißt beschränkt, falls P nach oben und unten beschränkt ist. Die Vollständigkeit von ℝ lautet nun:
Vollständigkeit der reellen Zahlen
Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge P von ℝ besitzt ein Supremum (kleinste obere Schranke), d. h. es gibt ein s* ∈ ℝ mit:
(1) | P ≤ s* |
(2) | Ist s ∈ ℝ und P ≤ s, so gilt s* ≤ s. |
Die reelle Zahl s* wird mit sup(P) bezeichnet und heißt das Supremum von P; es ist eindeutig bestimmt. Aus der Existenz von Suprema lässt sich ableiten, dass jede nichtleere nach unten beschränkte Teilmenge P von ℝ ein Infimum (größte untere Schranke) besitzt, d. h. es gibt ein s* ∈ ℝ mit:
(1) | s* ≤ P |
(2) | Ist s ∈ ℝ und s ≤ P, so gilt s ≤ s*. |
Zum Beweis der Existenz setze man
s* = sup({ s ∈ ℝ | s ≤ P }).
Die reelle Zahl s* wird mit inf (P) bezeichnet und heißt das Infimum von P; es ist eindeutig bestimmt. Suprema und Infima beschränkter Teilmengen P von ℝ können Elemente von P sein oder nicht. So ist z. B.
sup({ x ∈ ℝ | x ≤ 1 }) = sup({ x ∈ ℝ | x < 1 }) = 1.
Hinsichtlich der Existenz einer abzählbaren dichten Teilmenge definieren wir allgemein:
Definition (dichte Teilmenge)
Sei P ⊆ ℝ. P heißt dicht in ℝ, falls gilt:
Für alle a, b ∈ ℝ mit a < b existiert ein x ∈ P mit a < x < b.
Der Leser, der die Übung „ℚ ist dicht in ℝ“ in Abschnitt 1, Kapitel 7 ausgelassen hat, möge sie jetzt nachholen.
Aus „ℚ ist dicht in ℝ“ folgt, dass jede reelle Zahl als Supremum (oder Infimum) einer Menge von rationalen Zahlen darstellbar ist. Man kann umgekehrt diese Eigenschaft verwenden, um die reellen Zahlen aus den rationalen Zahlen zu konstruieren.