8.Typen linearer Ordnungen und ihre Arithmetik

Der Fundamentalsatz über Wohlordnungen hat gezeigt, dass die Wohlordnungen eine einfache und klare Struktur besitzen. Sie sind zwar reichhaltig vorhanden, aber jede Wohlordnung hat eine bestimmte Länge, die die Ordnung bis auf Isomorphie charakterisiert.

 Allgemeine lineare Ordnungen sind wesentlich komplizierter. Für einige bestimmte lineare Ordnungen kann man aber interessante Charakterisierungen angeben. Insbesondere gilt dies für die Ordnungen der rationalen und der reellen Zahlen, die wir in Kapitel 10 untersuchen werden. Zuvor beschäftigen wir uns allgemein mit den Typen linearer Ordnungen und führen natürliche arithmetische Operationen für diese Ordnungstypen ein.

 Zunächst erweitern wir den Begriff der Ähnlichkeit auf beliebige lineare Ordnungen.

Definition (ähnliche lineare Ordnungen)

Zwei lineare Ordnungen 〈 M, < 〉 und 〈 N, < 〉 heißen ähnlich oder ordnungsisomorph, falls eine Bijektion f : M  N existiert derart, dass für alle x, y  ∈  M gilt:

x < y  gdw  f (x) < f (y).

Ein solches f heißt ein Ordnungsisomorphismus zwischen 〈 M, < 〉 und 〈 N, < 〉. Wir schreiben 〈 M, < 〉 ≡  〈 N, < 〉, falls 〈 M, < 〉 und 〈 N, < 〉 ähnlich sind.

 Es genügt wieder die nun schon bekannte schwächere Form:

Übung

Sei f : M  N surjektiv, und für alle x, y  ∈  M gelte: x < y  folgt  f (x) < f (y). Dann ist f ein Ordnungsisomorphismus.

Cantor (1895):

„Zwei geordnete Mengen M und N nennen wir ‚ähnlich‘, wenn sie sich gegenseitig eindeutig einander so zuordnen lassen, dass wenn m1 und m2 irgend zwei Elemente von M, n1 und n2 die entsprechenden Elemente von N sind, alsdann immer die Rangbeziehung von m1 zu m2 innerhalb M dieselbe ist wie die von n1 und n2 innerhalb N … “

 In der Regel kann man keine Eindeutigkeit des Ordnungsisomorphismus zwischen ähnlichen linearen Ordnungen erwarten. Für 〈 , < 〉 ist zum Beispiel für jedes a  ∈   die Translation fa :    mit fa(z) = z + a für z  ∈   ein Ordnungsisomorphismus von  in sich selbst.

 Wir denken uns lineare Ordnungen wieder mit einem Ordnungstyp versehen derart, dass zwei lineare Ordnungen genau dann den gleichen Ordnungstyp haben, wenn sie ähnlich sind:

o. t.(〈 M, < 〉) = o. t.(〈 N, < 〉)gdw〈 M, < 〉 und 〈 N, < 〉 sind ordnungsisomorph.

 Formal kann o.t.(〈 M, < 〉) mit Hilfe einer Trunkierung aller zu 〈 M, < 〉 ordnungsisomorphen Ordnungen nach dem Rang definiert werden (vgl. Kapitel 7, Diskussion der Vα-Hierarchie).

 Wir verwenden vorwiegend kleine griechische Buchstaben für Ordnungstypen. Für wichtige Ordnungstypen gibt es feste Bezeichnungen. Eine kleine Tabelle von Ordnungstypen ist:

Definition (die Ordnungstypen n für n  ∈  , ω, ζ, η und θ)

Wir setzen:

n =  o. t.(〈 { 0, 1, … , n − 1 } , < 〉)  für n  ∈  ,
ω =  o. t.(〈 , < 〉),
ζ =  o. t.(〈 , < 〉),
η =  o. t.(〈 , < 〉),
θ =  o. t.(〈 , < 〉),

wobei < jeweils die übliche Ordnung bezeichnet.

 Ein Typus α heißt abzählbarer Ordnungstyp, falls α = o. t.(〈 M, < 〉) für eine lineare Ordnung 〈 M, < 〉 mit abzählbarem Träger M. Eine einfache Aussage über die Anzahl der abzählbaren Typen ist:

Übung

Es gibt höchstens -viele abzählbare Ordnungstypen, d. h. es gibt eine Menge 𝒪 von linearen Ordnungen mit:

(i)

|𝒪| ≤ ||.

(ii)

Für jede abzählbare lineare Ordnung 〈 M, < 〉 existiert ein 〈 N, < 〉  ∈  𝒪 mit 〈 M, < 〉 ≡  〈 N, < 〉.

[Ist 〈 M, < 〉 abzählbar, so ist < bis auf Isomorphie eine Teilmenge von 2.]

 Wir werden später sehen, dass es genau -viele abzählbare Ordnungstypen gibt, eine Beobachtung von Cantor (mindestens -viele) sowie Bernstein und Hausdorff (für höchstens -viele). Vgl. hierzu auch [Hausdorff 2002, Anm. 37].

 Zu einer gegebenen linearen Ordnung kann man eine neue Ordnung erhalten, indem man die Ordnung durch Vertauschen von „größer“ und „kleiner“ umkehrt:

Definition (inverse Ordnungen und α*)

Sei 〈 M, < 〉 eine lineare Ordnung. Dann heißt 〈 M, <* 〉 die zu 〈 M, < 〉 inverse Ordnung, wobei gilt:

a <* b  falls  b < a  für alle a, b  ∈  M.

Ist α ein Ordnungstyp, so ist α* definiert durch

α*  =  o. t.(〈 M, <* 〉),

wobei 〈 M, < 〉 eine lineare Ordnung ist mit α = o. t.(〈 M, < 〉).

Übung

(i)

α** = α für alle Ordnungstypen α,

(ii)

n* = n für alle n  ∈  ,

(iii)

ω* ≠ ω, ζ* = ζ, η* = η, θ* = θ.

Cantor (1895):

„Werden in einer geordneten Menge M alle Rangbeziehungen ihrer Elemente umgekehrt, so dass überall aus dem ‚niedriger‘ ein ‚höher‘ und aus dem ‚höher‘ ein ‚niedriger‘ wird, so erhält man wieder eine geordnete Menge, die wir mit

*M

bezeichnen und die ‚inverse‘ von M nennen wollen.

 Den Ordnungstypus von *M bezeichnen wir, wenn α = M [ = o. t.(〈 M, < 〉) ] ist, mit

*α.

Es kann vorkommen, dass *α = α, wie zum Beispiel bei den endlichen Typen oder beim Typus der Menge R aller rationalen Zahlen … “

 Ordnungstypen lassen sich in natürlicher Weise addieren und multiplizieren. Dabei treten im Vergleich zur endlichen Arithmetik einige Besonderheiten auf.