Mahlo-Kardinalzahlen

 Nach diesem kombinatorischen Interregnum können wir nun Mahlo-Kardinalzahlen definieren, ohne dass diese Definition einfach vom Himmel fallen würde. Wir fordern nun nicht nur wie etwa für „κ ist 2-unerreichbar“, dass unbeschränkt viele unerreichbare Kardinalzahlen unterhalb von κ ihr platonisches Dasein fristen, sondern dass unerreichbare Kardinalzahlen unterhalb von κ „beträchtlich“-oft vorkommen. Club-oft können wir sicher nicht fordern, weil jede club-Menge ein Element der Konfinalität ω enthält (!), während unerreichbare Kardinalzahlen regulär sind. Das Beste, was man haben kann, ist stationär-oft. Und das tuts:

Definition (Mahlo-Kardinalzahl)

Sei κ ≥ ω1 regulär. κ heißt eine Mahlo-Kardinalzahl, falls gilt:

{ μ < κ | μ ist unerreichbar } ist stationär in κ.

Paul Mahlo (1911):

„Wir könnten unser Untersuchungsgebiet [Hierarchien von unerreichbaren Kardinalzahlen] noch beliebig erweitern und kämen doch immer zum gleichen Resultate, so lange wir nur mit den sich sukzessive ergebenden Zahlen operieren. Aber zugleich kann man die Gesamtheit der so zu erzeugenden Zahlen in eine Klasse zusammenfassen und ihrer Reihe eine Zahl ρ1, 0 [die kleinste Mahlo-Kardinalzahl] mit folgender Eigenschaft … folgen lassen: wie auch eine Reihe von Zahlen α0, α1, … mit ρ1, 0 als Limes aufgestellt wird, stets sollen ρ1, 0 verschiedene Abschnitte davon mit π0-Zahlen [regulären Zahlen] als Limites existieren… ebenso können wir weitere Zahlen von entsprechender Eigenschaft wie ρ1, 0 definieren, die wir ρ0-Zahlen [Mahlo-Kardinalzahlen] nennen.“

 κ ist also nach Mahlos Definition eine ρ0-Zahl, falls gilt: für alle in κ unbeschränkten A ⊆ W(κ) ist |{ μ < κ | μ ist regulär und ein Limespunkt von A }| = κ. Diese Definition ist gleichwertig mit „{ μ < κ | μ ist schwach unerreichbar } ist stationär in κ“.

 Der Ausdruck „lassen wir folgen“ ist typisch für Mahlos Sichtweise und lässt sich als Reflexionsprinzip formulieren: Das, was ganz am Ende der Ordinalzahlreihe stattfinden würde, könnten wir sie noch verlängern, findet bereits irgendwo auf der Ordinalzahlreihe statt.

 Offenbar ist eine Mahlo-Kardinalzahl unerreichbar und ein Limes von unerreichbaren Kardinalzahlen, also 2-unerreichbar. „Stationär oft“ liegt insgesamt hinter allen durch Diagonalisierung von unten entstehenden Ausdünnungs-Hierarchien der Unerreichbarkeit. Zwei Beispiele gibt der folgende Satz:

Satz (Mahlo-Kardinalzahlen transzendieren Unerreichbarkeits-Hierarchien)

Sei κ eine Mahlo-Kardinalzahl. Dann ist κ eine κ-unerreichbare Kardinalzahl. Stärker gilt:

{ μ < κ | μ ist μ-unerreichbar } ist stationär in κ.

Beweis

Sei S = { α < κ | α ist unerreichbar }. Wir definieren für 1 ≤ α < κ club-Mengen Cα ⊆ W(κ) rekursiv durch:

C1 =  S ∪ Lim(S),
Cα + 1 =  Lim(Cα ∩ S) für α < κ,
Cλ =  ⋂α < λ Cα für Limesordinalzahlen λ < κ.

Für 1 ≤ α < κ ist dann Sα = Cα ∩ S stationär in κ. Eine Induktion über 1 ≤ α < κ zeigt:

Sα  =  { μ < κ | μ ist α-unerreichbar } für alle 1 ≤ α < κ.

Also ist κ eine κ-unerreichbare Kardinalzahl, denn κ = sup(Sα) für alle α < κ. Sei D = ∆α < κ Cα. Dann ist D club in κ, also ist S* = D ∩ S stationär in κ. Aber S* = { μ < κ | μ ist μ-unerreichbar }.

 Man kann nun analog zu α-unerreichbar α-Mahlo definieren, etwa:

„κ ist 2-Mahlo“  falls  „{ α < κ | α ist Mahlo } ist stationär in κ“,

„κ ist 3-Mahlo“  falls  „{ α < κ | α ist 2-Mahlo } ist stationär in κ“,

usw., bis hin zu

„κ ist κ-Mahlo“  falls  „{ α < κ | α ist β-Mahlo } ist stationär in κ für alle β < κ“.

Die nächste Stufe wäre dann

„{ α < κ | α ist α-Mahlo } ist stationär in κ“, usw.

 Über derartige Hierarchien hinausgehend interessiert sich der faustische Geist aber vor allem für Prinzipien, die andere Prinzipien transzendieren, so wie Mahlo-Kardinalzahlen die Hierarchien der Unerreichbarkeit transzendieren. Es gibt Dutzende solcher Prinzipien mit klingenden Namen wie schwach kompakt, unbeschreibbar, subtil, messbar, stark, superkompakt, usw. Gerade noch in den Zeitrahmen 1870 − 1930, der den Kern dieses Buches bildet, fallen die messbaren Kardinalzahlen. Der Leser mag ohnehin bereits fragen: Wo sind eigentlich die Ultrafilter geblieben? Eigenschaft (+++) von „großen Teilmengen“ sah nach einer vernünftigen Forderung aus …