Das Fundierungsaxiom

 Wir kommen nun zum Fundierungsaxiom, das kein Existenzaxiom ist, sondern dem Extensionalitätsaxiom verwandt ist: Es beschreibt die Elementrelation. Im Gegensatz zu den Existenzaxiomen sorgt es für eine Beschränkung des Mengenuniversums.

(FUN) Fundierungsaxiom

Jede nichtleere Menge x hat ein Element y, das mit x kein Element gemeinsam hat.

 Also: Für alle x ≠ ∅ existiert ein y  ∈  x mit der Eigenschaft y ∩ x = ∅.

 Das Axiom drückt aus, dass Mengen irgendwie aus „bereits vorhandenen“ anderen Mengen konstruiert werden. Das Axiom schließt Mengenzyklen aus, die die Ausgangsmenge bei einem  ∈ -Abstieg irgendwann reproduzieren:

Übung

(i)

Es gibt kein x mit x = { x }.

(ii)

Es gibt kein x mit x  ∈  x.

(iii)

Es gibt keine x, y mit x  ∈  y  ∈  x.

(iv)

Es gibt keine x0, x1, … , xn mit der Eigenschaft:

x0  ∈  xn  ∈  …  ∈  x2  ∈  x1  ∈  x0.

 Allgemeiner kann es keine unendlichen absteigenden  ∈ -Ketten geben, d. h. es gibt keine Funktion f mit dom(f) = Z0 (oder dom(f) = ω, wenn man mag) und f({ n })  ∈  f (n) für alle n, d. h.

f (∅)   ∋   f({ ∅ })   ∋   f({ { ∅ } })   ∋   ….

Eine solche Kette kann nicht existieren, denn x = { f (n) | n  ∈  Z0 } wäre dann eine Menge ohne  ∈ -minimales Element.

 Das Axiom sorgt für ein scharfes Bild des Mengenuniversums V : V ist aus der leeren Menge stufenweise aufgebaut. Wie in 2.7 zeigt man, dass jedes x von einer Vα-Stufe eingefangen wird. Wird das Fundierungsaxiom außerhalb der Mengenlehre auch selten gebraucht, so ist es innerhalb der abstrakten Mengenlehre um so bedeutender. Das Universum kann entlang der Ordinalzahlen durch iterierte Anwendung der Potenzmengen- und Vereinigungsmengenoperationen vollständig durchforstet werden.

 Es ist interessant, dass die beiden von Zermelo 1908 „vergessenen“ Axiome im wesentlichen nur in der Mengenlehre benötigt werden, während die Mathematik weitestgehend ohne sie auskommt. Der Grund ist, dass dort nur zwei oder dreimal überhaupt die Potenzmengenoperation verwendet wird, und nicht in unendlicher Iteration und darüber hinaus, was nur durch das Ersetzungsschema garantiert werden würde. Auch die ω-Rekursion ist im Rahmen von beschränkt vielen Potenzmengenoperationen problemlos beweisbar. Mit Fraenkels Notation: Ein Großteil der Mathematik verläuft in Z3 oder Z4, und „fast alles“ etwa in Z8. In jedem Zn gilt das Fundierungsaxiom, sodass nichtfundierte Mengen gar nicht erst auftreten. (Allgemeiner gilt es in der ganzen Vα-Hierarchie.) Zermelos System erlaubt einen Beweis des Wohlordnungssatzes und des Satzes von Zermelo-Zorn, der in der Mathematik verwendet wird. Hierzu wird das Auswahlaxiom gebraucht, das wir unten besprechen werden.

Fraenkel (1922):

„Hat sich [im Hinblick auf das Ersetzungsschema] der Zermelosche Mengenbegriff als zu eng für die Cantorsche Mengenlehre erwiesen, so ist er in anderer Beziehung weiter, als es die Bedürfnisse der Mathematik zu erfordern scheinen. Zunächst nämlich können unter den ‚Dingen‘ des ‚Bereiches 𝔅‘, aus denen auf Grund der Axiome die Mengen ihre Existenz herleiten, sich auch solche nichtmathematischer und überhaupt nichtbegrifflicher Herkunft befinden. Ferner lässt das Axiomensystem Raum z. B. für die von Herrn Mirimanoff als ‚ensembles extraordinaires‘ bezeichneten Mengen M von der Art, dass, wenn M1 ε M und wenn k eine beliebige natürliche Zahl bedeutet, Mk stets ein Element Mk + 1 enthält. Solche Mengen können zwar nicht auf Grund der Axiome aus den ‚unzerlegbaren‘ (d. h. keine Menge darstellenden) Dingen von 𝔅 aufgebaut werden, sie können aber in 𝔅 vorkommen … 

 … so kann hier den angegebenen Übelständen durch ein als neuntes und letztes Axiom aufzustellendes ‚Beschränktheitsaxiom‘ abgeholfen werden, das dem Mengenbegriff oder dem Bereich 𝔅 den geringsten mit den übrigen verträglichen Umfang auferlegt. Verfährt man in dieser Art, so wird die Nullmenge zu dem einzigen Ding, das keine Menge [mit Elementen] ist; das genügt für alle mathematischen Zwecke und vereinfacht die Betrachtung sachlich und z. T. auch formal.“

 Fraenkel plädiert also für einen Verzicht auf überflüssige Mengen. Zum einen sollen Urelemente verschwinden und das mengentheoretische Universum aus der Nullmenge aufgebaut sein. Zum anderen sollen die unendlich absteigenden  ∈ -Ketten ausgeschlossen werden. Das Ziel ist der Axiomatik einen „kategorischen Charakter“ zu geben: Die Axiome sollen den Bereich 𝔅, das Mengenuniversum also, wenn möglich eindeutig beschreiben. (Auf die prinzipielle Unmöglichkeit eines solchen eindeutigen Systems kommen wir im zweiten Band zu sprechen.)

 Auch wenn man auf Urelemente verzichtet, kann man in der aus der leeren Menge aufgebauten Mengenlehre eine Mengenlehre mit Urelementen simulieren, indem man geeignete Mengen als Urelemente ansieht, als ein V0*, und über diesen „Urelementen“ eine Vα*-Hierarchie in gewohnter Weise hochzieht. Geeignet heißt, dass während der Hierarchiebildung keine Mengen konstruiert werden, die Elemente der „Urelemente“ sind, dass also die in Wahrheit vorhandenen Elemente der „Urelemente“ dieser Hierarchie verborgen bleiben.

 Von Neumann hat in seiner auf dem Funktionsbegriff aufgebauten Axiomatik ebenfalls ein Beschränkungsaxiom betrachtet.

von Neumann (1925):

„4. Es gibt kein II. Ding a [keine Funktion a] mit der folgenden Eigenschaft:

Es ist für jede endliche Ordnungszahl (d. h. ganze Zahl) n

  [ a, n + 1 ] ε [ a, n ]  [in unserer Schreibweise: a({ n })  ∈  a(n)].“

 In der Arbeit „Grenzzahlen und Mengenbereiche“ von Zermelo aus dem Jahr 1930 findet sich dann der Name „Fundierungsaxiom“, und das Axiom erscheint in der heute üblichen Formulierung ohne unendliche  ∈ -Abstiege.

 Neben „Fundierungsaxiom“ ist auch die Bezeichnung „Regularitätsaxiom“ gebräuchlich.

Zermelo (1930):

 „F) Axiom der Fundierung:  Jede (rückschreitende) Kette von Elementen, in welcher jedes Glied Element des vorangehenden ist, bricht mit endlichem Index ab bei einem Urelement [oder bei ∅, ohne Urelemente immer bei ∅]. Oder, was gleichbedeutend ist: Jeder Teilbereich T [ ≠ ∅ ] enthält wenigstens ein Element t0, das kein Element t in T hat [ also t0 ∩ T = ∅ ].

 Dieses letzte Axiom, durch welches alle ‚zirkelhaften‘, namentlich auch alle ‚sich selbst enthaltenden‘, überhaupt alle ‚wurzellosen‘ Mengen ausgeschlossen werden, war bei allen praktischen Anwendungen der Mengenlehre bisher immer erfüllt, bringt also vorläufig keine wesentliche Einschränkung der Theorie.“