Drei einfache Existenzaxiome

 Die weiteren Axiome sind nun bis auf das Fundierungsaxiom Existenzaxiome. Sie behaupten die Existenz bestimmter Mengen, wobei in den meisten Fällen Mengen mit Hilfe anderer Mengen gebildet werden. Die drei einfachsten Existenzaxiome betreffen die Existenz der Elementarmengen { a1, … , an } und der Vereinigungsmenge.

(LM) Existenz der leeren Menge

Es existiert eine Menge, welche keine Elemente hat.

 Wir bezeichnen diese Menge wieder mit ∅ oder {  }. Nach dem Extensionalitätsaxiom ist die leere Menge eindeutig bestimmt: Es gibt genau eine Menge, die kein Element enthält.

(PA) Paarmengenaxiom

Zu je zwei Mengen x, y existiert eine Menge z, die genau x und y als Elemente hat.

 Wir schreiben { x, y } für die Paarmenge von x und y.

 Die Mengen x und y müssen nicht verschieden sein, und es folgt für eine Menge x die Existenz von { x, x } = { x } , also die Existenz der Einermenge von x. Das geordnete Paar (x, y) ist wieder definiert durch

(x, y)  =  { { x } , { x, y }}.

Es gilt (x1, x2) = (y1, y2)gdw  x1 = y1 und x2 = y2. Weiter ist z. B. (x, x) = { { x } }.

 Relationen und Funktionen sowie Begriffe und Schreibweisen in diesem Umfeld sind wie im ersten Abschnitt definiert.

Zermelo (1908b):

 „Axiom II.  Es gibt eine (uneigentliche) Menge, die ‚Nullmenge‘ 0, welche gar keine Elemente enthält. Ist a irgendein Ding des Bereiches, so existiert eine Menge { a } , welche a und nur a als Element enthält; sind a, b zwei Dinge des Bereiches, so existiert immer eine Menge { a, b } , welche sowohl a als [auch] b, aber kein von beiden verschiedenes Ding x als Element enthält.

(Axiom der Elementarmengen.)“

(VER) Vereinigungsmengenaxiom

Zu jeder Menge x existiert eine Menge y,

deren Elemente genau die Elemente der Elemente von x sind.

 Diese nach dem Extensionalitätsaxiom eindeutig bestimmte Vereinigungsmenge y von x bezeichnen wir mit ⋃ x. Es gilt dann für alle y:

y   ∈  ⋃ x  gdw  „es existiert ein z  ∈  x mit y  ∈  z“.

 Ziehen wir das Paarmengenaxiom mit heran, so folgt, dass auch die Vereinigung von zwei Mengen existiert. Wir definieren hierzu für x und y:

x ∪ y  =  ⋃ { x, y }.

Es gilt dann z  ∈  x ∪ y  gdw  z  ∈  x oder z  ∈  y.

 Das Paarmengenaxiom garantiert uns die Existenz von { x, y } für alle x, y. Für die Existenz der Dreiermenge { x, y, z } usw. braucht man das Vereinigungsmengenaxiom. Wir setzen

{ x, y, z }  =  ⋃ { { x, y } , { z } } ,

wobei wir hier dreimal das Paarmengenaxiom und einmal das Vereinigungsmengenaxiom bemühen. Allgemein definieren wir:

{ x1, x2, x3 }  =  ⋃ { { x1, x2 } , { x3 } } ,
{ x1, x2, x3, x4 }  =  ⋃ { { x1, x2, x3 } , { x4 } } ,
{ x1, … , xn + 1 }  =  ⋃ { { x1, x2, x3, … , xn } , { xn + 1 } }.

 Wiederholte Anwendung des Paarmengen- und des Vereinigungsmengenaxioms zeigt dann für ein beliebiges n:

(+)  für jede Liste x1, … , xn von Mengen existiert eine Menge { x1, …, xn }, die genau x1, … , xn als Elemente enthält.

Nach (EXT) ist sie eindeutig bestimmt.

 Die „metamathematischen“ natürlichen Zahlen 1, 2, … , n, n + 1 sind hier keine Objekte des Bereichs (Mengen), sondern lediglich Indikatoren für die Länge der Liste x1, … , xn. Zur Vermeidung von Verwechslungen mit Elementen des erst zu definierenden  = ω des Objektbereichs ist es zuweilen suggestiv, sich die metamathematische Zahlenreihe 1, 2, 3, … als |, ||, |||, usw. vorzustellen. Üblicherweise werden aber die Zeichen 1, 2, 3, … sowohl zur Bezeichnung von Mengen verwendet, als auch zur Bezeichnung von metamathematischen natürlichen Zahlen wie oben bei der Definition von { x1, …, xn }. Der Leser muss dann entscheiden, auf welcher Ebene man sich befindet, was normalerweise problemlos ist.

 Wir lassen auf der „Metaebene“ Induktion und Rekursion nach 1, 2, 3, … zu, und man kann etwa (+) durch Induktion beweisen. Aussagen wie (+) werden in der endlichen Welt, in der wir über Mathematik reden, nie wirklich für alle natürlichen Zahlen der Metaebene gebraucht. Wir haben irgendwann etwa mit Objekten zu tun, die wir mit x1, …, x10 bezeichnen, und zeigen dann durch mehrfache Anwendung von bestimmten Axiomen, dass { x1, …, x10 } existiert. Ein andermal mit 17 statt 10, oder mit 1220. Die Pünktchen „…“ wie in der Definition oben sind dann nur Hinweise, wie sich eine Definition für ein beliebiges, konkret gegebenes metamathematisches n, etwa 17, durchzuführen ist. Induktion ist aber eine bequeme Sprechweise in der Metaebene, und wir werden später etwa Aussagen über den Hilbert-Kalkül durch Induktion über die Länge von Beweisen zeigen. Wir brauchen aber nie wirklich einen Satz der Form „für alle n …“, sondern immer nur ein Schema für beliebige, konkrete n.

 Später noch einmal mehr zur Metaebene. Der Leser verwende Induktion und Rekursion über metamathematische natürliche Zahlen, wo immer es ihm angemessen erscheint. Oder er verwende Pünktchen „…“, und Sprechweisen wie „n-malige Anwendung“, usw.

 Analog sind Tripel, Quadrupel, … , n-Tupel für jede (metamathematische) natürliche Zahl n definiert durch:

(x1, x2, x3)  =  ((x1, x2), x3),
(x1, x2, x3, x4)  =  ((x1, x2, x3), x4),
(x1, … , xn + 1)  =  ((x1, … , xn), xn + 1).

 Je zwei n-Tupel sind genau dann gleich, wenn sie in allen Komponenten übereinstimmen.

 In ähnlicher Weise setzen wir

x1 ∪ x2 ∪ x3  =  (x1 ∪ x2) ∪ x3,
x1 ∪ x2 ∪ x3 ∪ x4  =  (x1 ∪ x2 ∪ x3) ∪ x4,
x1 ∪ … ∪ xn + 1  =  (x1 ∪ … ∪ xn) ∪ xn + 1.

 Damit gilt für alle x1, … , xn, dass

{ x1, … , xn }  =  { x1 } ∪ { x2 } ∪ … ∪ { xn }.

Zermelo (1908b):

 „Axiom V.  Jeder Menge T entspricht eine Menge 𝔖T (die ‚Vereinigungsmenge‘ von T), welche alle Elemente der Elemente von T und nur solche als Elemente enthält.

(Axiom der Vereinigung.)“