2. Das konstruierbare Universum
In diesem Kapitel konstruieren wir, in ZF arbeitend, ein kleinstes Klassenmodell von ZF. Dieses Modell, das wir mit L bezeichnen, wird über eine Hierarchie konstruiert, bei der der Nachfolgerschritt der Potenzmengenbildung durch einen sehr viel behutsameren Schritt ersetzt wird. Statt aller Teilmengen sammeln wir nur die einfachen Teilmengen auf, deren Existenz von den Axiomen von ZF gefordert wird. Dadurch erhalten wir eine Hierarchie, die wir sehr viel genauer analysieren können als die Vα-Hierarchie. Wir nehmen u. U. nicht alle Mengen von V in diese Hierarchie auf, aber wir nehmen in jedem Falle so viele Mengen auf, dass das resultierende Klassenmodell alle ZF-Axiome erfüllt, einschließlich des Potenzmengenaxioms.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die informale Idee des Aufsammelns von einfachen Teilmengen zu präzisieren, und die Feinheiten der Organisation der Hierarchie spielen bei der Detailanalyse des Modells L eine wichtige Rolle. Bereits Gödel hat zwei Präzisierungen von „einfache Teilmengen“ verwendet und untersucht. Die eine verwendet den Definierbarkeitsbegriff der Prädikatenlogik erster Stufe. Eine Teilmenge x einer Menge gilt hier als einfach, wenn es eine Formel φ gibt derart, dass x aus genau den Elementen von w besteht, für die φ in w gilt. Bei der zweiten Präzisierung gilt eine Teilmenge x von w als einfach, wenn sie sich aus w durch iterierte Anwendung einer Hand voll von Grundfunktionen ergibt. Beide Wege führen letztendlich zu den gleichen „einfachen Teilmengen“. Aber sie werfen jeweils ein eigenes Licht auf die Konstruktion, und sie unterstützen sich auch gegenseitig bei der Entwicklung der Theorie.
Wir stellen zunächst den Weg der Definierbarkeit vor, und verwenden eine wichtige Absolutheitseigenschaft der Konstruktion als Blackbox, um die Darstellung nicht durch syntaktische Schwierigkeiten aufzuhalten. Nachdem wir das Auswahlaxiom und die allgemeine Kontinuumshypothese in L nachgewiesen haben, stellen wir den Weg über die Grundfunktionen vor und reichen dadurch auch den Beweis der Absolutheit der Konstruktion von L nach.
Weiter zeigen wir, dass in L das Karo-Prinzip gilt. Folglich existiert in L ein Suslin-Baum, und damit ist die Negation der Suslin-Hypothese relativ konsistent zu ZFC. Schließlich konstruieren wir noch einen Kurepa-Baum in L, und zeigen, dass die schwache Dominierungseigenschaft der kanonischen Funktionen in L verletzt ist. Damit haben wir alle kombinatorischen Fragen, die uns im ersten Abschnitt begegnet sind, in L beantwortet.
Definierbare Teilmengen
Wir definieren, mit dem Modell- und Formelbegriff der Objektebene, was es heißt, definierbar über einem Modell zu sein:
Definition (definierbar, Def (w))
Sei w eine Menge. Ein x ⊆ w heißt definierbar über w, falls eine ∈ -Formel φ(u, v1, …, vn) und p1, …, pn ∈ w existieren mit
x = { a ∈ w | 〈 w, ∈ |w 〉 ⊨ φ[ a, p1, …, pn ] }.
x heißt dann definierbar durch die Formel φ und die Parameter p1, …, pn.
Wir setzen weiter:
Def (w) = { x ⊆ w | x ist definierbar über w }.
Für alle p ∈ w ist p ∩ w definierbar durch die Formel „x ∈ p“ mit Parameter p. Für transitive w gilt also w ⊆ Def (w). Die Menge w ist definierbar durch „x = x“.
Ist w transitiv und φ(x) eine ∑0-Formel, so ist die zugehörige Aussonderung { a ∈ w | φ(a) } = { a ∈ w | w ⊨ φ[ a ] } ein Element von Def (w). Damit sind z. B. { a, b } ∈ Def (w) und ⋃a ∈ Def (w) für alle a, b ∈ w, und weiter ist On ∩ w ein Element von Def (w). Allgemeiner enthält Def (w) alle Teilmengen von w, die sich durch iterierte Anwendung einfacher Operationen, wie z. B. F(x, y) = x ∩ y, G(x, y) = x − y, H(x, y) = x × y, usw. erzeugen lassen, wobei der Ausgangspunkt solcher wiederholter Anwendungen die Elemente von w zusammen mit der Menge w selbst sind. So ist z. B.
F(H(G(w, a), b), w) = ((w − a) × b) ∩ w ∈ Def (w) für alle a, b ∈ w.
Wir werden später sehen, dass wir eine endliche und sogar sehr kurze Liste einfacher Operationen F, G, H, … angeben können, die genau die definierbaren Teilmengen von w erzeugen. Damit erhalten wir eine gleichwertige Definition von Def (w), die auf den Modellbegriff der mathematischen Logik nicht zurückgreift. Eine solche Definition über eine Liste von einfachen Operationen hätte aber einen etwas willkürlichen Charakter, wenn nicht bereits ein kanonisches Objekt bekannt ist, das man mit Hilfe der Operationen einfangen möchte. Die Definition von Def (w) über die Gültigkeitsrelation ist sehr natürlich, und sie besitzt einen maximalen Charakter. Bei einer reinen Liste von Operationen bliebe immer die Frage, ob man nicht gewisse einfache Operationen „vergessen“ hat. Insgesamt ist die Situation sehr ähnlich zur Formulierung des Aussonderungsschemas mit Hilfe des Formelbegriffs der mathematischen Logik.
Für alle w ist |Def (w)| ≤ |ω × w < ω|, da jedes Element von Def (w) durch eine von abzählbar vielen Formeln und eine Parameterfolge in w gegeben ist. Ist w wohlordenbar und unendlich, so ist also |Def (w)| = |w| < |℘(w)|. Dennoch ist Def (w) ein reichhaltiges System von Teilmengen von w, und der Definierbarkeitsoperator eignet sich als ein Ersatz des Potenzmengenoperators in einer Hierarchiebildung.
Die L-Hierarchie
Definition (konstruktible Hierarchie, konstruktible Mengen, L)
Wir definieren durch Rekursion über α ∈ On:
L0 | = ∅, | |
Lα + 1 | = Def (Lα) | für alle α ∈ On, |
Lλ | = ⋃α < λ Lα | für alle Limesordinalzahlen λ. |
Weiter setzen wir:
L = ⋃α ∈ On Lα.
〈 Lα | α ∈ On 〉 heißt die konstruktible (Definierbarkeits-) Hierarchie. Die Klasse L selbst heißt das konstruktible (Gödel-) Universum. Eine Menge x heißt konstruktibel, falls x ∈ L gilt.
Die Formel „x ∈ L“ ist also identisch mit „∃α ∈ On x ∈ Lα“. Wie immer lassen sich die Formeln „x ∈ Lα“ und „x = Lα“ durch Auflösen der Rekursion als reine ∈ -Formeln schreiben.
Wir halten einige elementare Eigenschaften der Hierarchie fest.
Satz (elementare Eigenschaften der Lα-Hierarchie)
Für alle α, β gilt:
(i) | Lα ∈ Lβ, Lα ⊆ Lβ falls α < β |
(ii) | Lα ist transitiv |
(iii) | α = OnLα (= Lα ∩ On) |
(iv) | On ⊆ L |
(v) | Lα = Vα falls α ≤ ω |
Beweis
Die Aussagen (i) − (iii) zeigen wir simultan durch Induktion nach α. Die Aussage (iv) folgt aus (iii). Schließlich zeigen wir (v) durch Induktion nach α ≤ ω.
Nach (iv) haben also L und V dieselben erblich endlichen Mengen, und die Hierarchien stimmen bis einschließlich ω überein. Dagegen ist Lω + 1 abzählbar, während Vω + 1 die Mächtigkeit 2ω besitzt.
Mit unserem Kriterium für innere Modelle können wir sehr einfach zeigen:
Satz
L ist ein inneres Modell von ZF.
Beweis
L ist transitiv, da alle Lα transitiv sind. Weiter gilt On ⊆ L. Sei φ(u, v1, …, vn) eine ∑0-Formel, und seien x, p1, …, pn ∈ L. Sei y = { a ∈ x | φ(a, p1, …, pn) }. Wir zeigen, dass y ∈ L gilt. Sei hierzu α derart, dass x, p1, …, pn ∈ Lα. Wegen der Absolutheit von Σ0-Formeln für transitive Modelle gilt dann:
y | = { a | a ∈ x ∧ φ(a, p1, …, pn) } |
= { a ∈ Lα | Lα ⊨ a ∈ x ∧ φ[ a, p1, …, pn ] } ∈ Def (Lα) | |
= Lα + 1 ⊆ L. |
Wir zeigen schließlich, dass L fast universell ist. Sei hierzu also x ⊆ L.
Dann existiert ein α mit x ⊆ Lα. Aber Lα ∈ L.
Wegen On ∩ Vα = On ∩ Lα = α können wir uns das innere Modell L als eine schmale Version des üblichen geschichteten, als großes „V“ visualisierten Universums vorstellen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Konstruktion von Teilmengen in L gestreckt ist: Während wir zum Beispiel alle Teilmengen von ω bereits in Vω + 1 vorfinden, werden in der L-Hierarchie über viele Stufen hinweg immer wieder neue Teilmengen von ω konstruiert. Gilt zum Beispiel
Lα ⊨ „℘(ω) ist abzählbar“,
so enthält Lα + 1 eine neue Teilmenge von ω, d. h. es gilt (Lα + 1 − Lα) ∩ ℘(ω) ≠ ∅. Denn ist f : ω → ℘(ω) ∩ Lα surjektiv mit f ∈ Lα, so ist die Diagonalisierung
d = { n ∈ ω | n ∉ f (n) }
definierbar über Lα und es gilt d ∉ rng(f). Also ist d ∈ Lα + 1 eine neue Teilmenge von ω. Die „Schmalheit“ von L ist also dergestalt: L wächst hinsichtlich der Konstruktion von Ordinalzahlen genauso schnell wie V, aber hinsichtlich der Konstruktion von Teilmengen von Ordinalzahlen, Teilmengen von Teilmengen von Ordinalzahlen, usw. sehr viel langsamer als V. Ganz unabhängig von AC und GCH ist das Modell L also allein schon deswegen von Interesse, weil es die Komplexität von Ordinalzahlmengen ans Licht bringt: Für ein x ⊆ ω, x ∈ L, ist die kleinste Ordinalzahl α mit x ∈ Lα ein sehr genaues Maß für die Komplexität von x. Sollte es ein x ⊆ ω geben mit x ∉ L, so überschreitet die Komplexität von x die Analysefähigkeit von L. Die V-Hierarchie ist hier blind: Alle Teilmengen von ω werden ohne Ansehen ihres konstruktiblen Existenzgrundes in Vω + 1 versammelt.
Ob die Klassen V und L zusammenfallen, können wir nicht zeigen. Die Aussage V = L ist, wie wir sehen werden, unabhängig von ZFC. Ob „V = L“ als Axiom gefordert werden soll, ist ein Gegenstand der Diskussion. In jedem Falle ist L das klarste Universum, das die Mengenwelt kennt, die V-Hierarchie wirkt dagegen wie ein wildes und ungezügeltes erstes Abstecken des Möglichen. Den meisten, die der axiomatischen Mengenlehre begegnen, erscheint das Fundierungsaxiom in seiner Form V = V* = ⋃α ∈ On Vα als eine Erleuchtung. Hatte man bislang nur mit Mengen operiert, so erblickt man plötzlich ein geordnetes Universum der Mengen. Beim näheren Betrachten wirkt dann aber der Schritt von Vα nach ℘(Vα) als zu grob und undurchsichtig. Das Modell L setzt, egal, ob wir V = L akzeptieren oder nicht, einen neuen Qualitätsstandard in der hierarchischen Ausschöpfung eines mengentheoretischen Universums. Dies wird bei der Konstruktion einer globalen Auswahlfunktion und beim Beweis der allgemeinen Kontinuumshypothese in L besonders deutlich werden.
Eine Wohlordnung von L
Die Konstruktion von L erlaubt es, das Klassenmodell L wohlzuordnen. Ist eine Wohlordnung von Lα gegeben, so können wir diese Wohlordnung zu einer Wohlordnung auf Lα + 1 ausdehnen, da die Elemente von Lα + 1 durch Formeln und Parameter in der Wohlordnung Lα beschrieben werden. Für die Vα-Hierarchie ist dies nicht ohne zusätzliche Voraussetzungen möglich. Selbst mit Hilfe des Auswahlaxioms können wir nur Wohlordnungen einzelner Stufen Vα erzeugen, nicht aber eine Wohlordnung von ganz V. Es steht keine Möglichkeit zur Verfügung, aus einer Wohlordnung von Vα uniform eine Wohlordnung von Vα + 1 = ℘(Vα) zu gewinnen.
Der Aufbau von L wird durch Formeln und endliche Parameterfolgen kontrolliert. Es gibt abzählbar viele Formeln, und damit ist ein Element von Lα + 1 durch ein Tupel (n, s) mit n ∈ ω und s ∈ Lα< ω gegeben. Haben wir Lα schon wohlgeordnet, so können wir die Elemente von Lα mit Ordinalzahlen identifizieren. Dann ist s ein Element von On< ω. Diese Überlegung motiviert unser Interesse an einer Wohlordnung der Klasse ω × On< ω. Eine solche ist aus der im ersten Abschnitt konstruierten Wohlordnung ≺seq auf On< ω durch Produktbildung leicht zu gewinnen. Wir setzen für alle (n, s), (m, t) ∈ ω × On< ω:
(n, s) ≺ (m, t), falls s ≺seq t oder s = t und n < m.
Die Ordnung ≺ ist die übliche Produktordnung 〈 ω, ∈ 〉 · 〈 On< ω, <seq 〉. Wir ersetzen jedes s in der Wohlordnung <seq durch die unendlich vielen Elemente
〈 (0, s), (1, s), (2, s), …, (n, s), … 〉.
Mit Hilfe der Wohlordnung ≺ können wir nun leicht eine Wohlordnung von L konstruieren. Wir konstruieren hierzu eine Bijektion von ω × On< ω auf L.
Satz (Kodierungssatz für L)
Es existiert eine funktionale Klasse F mit:
(i) | F : ω × On< ω → L ist surjektiv, |
(ii) | Fα : ω × α< ω → Lα ist surjektiv für alle α > 0, wobei Fα = F|(ω × α< ω). |
Beweis
Sei 〈 φn | n ∈ ω 〉 eine Aufzählung aller ∈ -Formeln (auf der Objektebene). Weiter sei π : ω → ω × ω< ω bijektiv.
Wir definieren F rekursiv entlang der Wohlordnung ≺ von ω × On< ω, und stellen dabei sicher, dass stets F(n, s) ∈ Lmax(s) + 1 gilt. Dann ist rng(Fα) ⊆ Lα für alle α ∈ On bereits gezeigt.
Rekursionsschritt (n, s):
Ist s = ∅, so sei F(n, s) = ∅. Andernfalls seien:
(i) | α = max(s) |
(ii) | s = s1 ⁀ 〈 α 〉 ⁀ s2 ⁀ 〈 α 〉 ⁀ … ⁀ 〈 α 〉 ⁀ sk, mit k ∈ ω und si ∈ α< ω |
(iii) | π(n) = (m, (m1, …, mk′)) ∈ ω × ωk′ |
[ Hierbei ist wie üblich s⁀t = 〈 s(0), …, s(n), t(0), …, t(m) 〉 die Enderweiterung von s um t, mit n = |s|, m = |t|. ]
Ist k ≠ k′ oder hat φm mehr als k freie Variablen, so setzen wir F(n, s) = ∅. Andernfalls sei
F(n, s) = { a ∈ Lα | Lα ⊨ φm[ a, F(m1, s1), …, F(mk, sk) ] }.
Dann ist F(n, s) wohldefiniert, da F(mi, si) ∈ Lmax(si) + 1 ⊆ Lα für alle i gilt. Weiter ist F(n, s) ∈ Lα + 1 = Lmax(s) + 1.
Wir zeigen nun durch Induktion nach α, dass Fα die Eigenschaft (ii) erfüllt. Hieraus folgt dann auch (i) für F.
Induktionsanfang α = 0:
Ist trivial.
Limesschritt λ:
Folgt aus der I.V. wegen Lλ = ⋃α < λ Lα und Fλ = ⋃α < λ Fα.
Induktionsschritt von α nach α + 1:
Nach Konstruktion gilt rng(Fα + 1) ⊆ Lα + 1. Wir zeigen Lα + 1 ⊆ rng(Fα).
Sei also x ∈ Lα + 1, und seien m ∈ ω, p1, …, pk ∈ Lα mit
x = { a ∈ Lα | Lα ⊨ φm[ a, p1, …, pk ] }.
Nach I. V. sind alle πi im Wertebereich von F|α. Für 1 ≤ i ≤ k sei also (mi, si) das ≺-kleinste Element von ω × α< ω mit F(mi, si) = pi. Nun seien s ∈ (α + 1)< ω und n ∈ ω definiert durch
s = s1 ⁀ 〈 α 〉 ⁀ s2 ⁀ 〈 α 〉 ⁀ … ⁀ 〈 α 〉 ⁀ sk,
π(n) = (m, (m1, …, mk)).
Dann gilt F(n, s) = x nach Definition von F.
Eine unmittelbare Folgerung des Satzes, die sich auch leicht direkt beweisen lässt, ist:
Korollar (Mächtigkeit der konstruktiblen Stufen)
Für alle α ≥ ω gilt |Lα| = |α|.
Beweis
Wegen α ⊆ Lα ist |α| ≤ |Lα|. Weiter ist Fα : ω × α< ω → Lα surjektiv, und ω × α< ω ist wohlordenbar in ZF. Also ist |Lα| ≤ |ω × α< ω|. Zudem gilt |ω × α< ω| = |α< ω| = |α| für alle α ≥ ω.
Um eine Wohlordnung von L zu erhalten, definieren wir noch:
Definition (die monotone Aufzählung T von ≺)
Für α ∈ On sei
T(α) | = „das (n, t) ∈ ω × On< ω mit o. t.(〈 (ω × On< ω)β, ≺ 〉) = α“ |
= „das α-te Element der Wohlordnung ≺ auf ω × On< ω“. |
Dann ist T : On → ω × On< ω bijektiv, und der Kodierungssatz liefert:
Korollar
Es existiert ein surjektives G : On → L. Insbesondere ist L eine wohlordenbare Klasse.
Beweis
Sei G = F ∘ T, wobei F wie im obigen Satz ist. G induziert wie üblich eine Wohlordnung auf L durch x < y, falls das kleinste G-Urbild von x kleiner als das kleinste G-Urbild von y ist.
Die konstruierte Wohlordnung von L hängt ab von der Wohlordnung ≺ auf ω × On< ω, der Aufzählung aller ∈ -Formeln, der Bijektion π : ω → ω< ω, und schließlich der Konstruktion der Kodierung F : ω × On< ω → L. Naturgemäß arbeiten wir hier mit einer einfachen Aufzählung aller Formeln und einer einfachen Bijektion π, und damit liegt eine Wohlordnung vor, die durchaus das Prädikat „kanonisch“ verdient. Wir werden aber unten noch eine weitere Wohlordnung von L konstruieren, und diese dann als unsere „kanonische“ Wohlordnung von L auszeichnen.
Die Absolutheit der konstruktiblen Hierarchie
Wir zeigen, dass die L-Hierarchie in transitiven Modellen von ZF* absolut ist. Wird die Konstruktion von L in derartigen Modellen ausgeführt, so entstehen, solange Ordinalzahlen im Modell zur Verfügung stehen, genau die Lα-Stufen. Wir verwenden hierzu den folgenden Satz, dessen Beweis wir später nachreichen, wenn wir die Äquivalenz der beiden zu Beginn des Kapitels beschriebenen Wege der Konstruktion von L nachgewiesen haben.
Satz (Absolutheit des Definierbarkeitsoperators)
Die Funktion F : V → V mit
ist Δ*1.
Für einen Beweis an dieser Stelle wäre eine syntaktische Analyse der Erfüllbarkeitsrelation notwendig, was eine mühselige und nicht besonders spannende Angelegenheit ist. Man kann den Beweis des Satzes als eine Aufgabe der mathematischen Logik ansehen, die sich die syntaktische Komplexität ihrer tragenden Begriffe zu überlegen hat. Damit ist der Satz also durchaus „zitierfähig“. Andererseits sind die Grundfunktionen, die Def (w) erzeugen, für sich von Interesse, und es trifft sich gut, dass wir mit ihrer Hilfe eine Komplexitätsanalyse umschiffen können.
Durch die Hypothek der Absolutheit des Definierbarkeitsoperators erhalten wir sofort:
Korollar (Absolutheit der L-Hierarchie)
Die Funktion G : On → V mit G(α) = Lα für alle α ∈ On ist Δ*1.
Beweis
Die Rekursionsfunktion der Lα-Hierarchie ist Δ*1. Aus dem Satz über Δ*1-Rekursionen folgt also die Behauptung.
Korollar (Absolutheit von L)
Sei W ein transitives Klassenmodell von ZF*. Dann gilt:
LWα = Lα für alle α ∈ On ∩ W.
Ist On ⊆ W, so ist LW = L. Insbesondere ist L das kleinste innere Modell von ZF und es gilt LL = L.
Die Existenz eines kleinsten inneren Modells von ZF ist keineswegs klar. Sind W und W′ innere Modelle von ZF, so ist im Allgemeinen W ∩ W′ kein inneres Modell von ZF.
Das Auswahlaxiom in L
Um zu zeigen, dass in L das Auswahlaxiom gilt, müssen wir nur noch die bisherigen Ergebnisse zusammentragen:
Satz (Auswahlakte in L)
L ⊨ „Es gibt eine Wohlordnung von V“. Insbesondere also L ⊨ (AC).
Beweis
Sei G = F ∘ T die oben definierte Surjektion von On nach L. Dann gilt
L ⊨ „G : On → L ist surjektiv“,
da L ein Modell von ZF ist. (De facto gilt GL = G, was wir hier nicht brauchen.) Wegen LL = L gilt nun stärker
L ⊨ „G : On → V ist surjektiv“.
Wie früher induziert nun G in L eine Wohlordnung von V.
Im Modell L gibt es also eine definierbare Wohlordnung < des Universums, und insbesondere gibt es in L eine definierbare Wohlordnung <* der reellen Zahlen ℝ. (Von außen gesehen ist <* eine Wohlordnung von ℝ ∩ L.) Alle Definitionen der Form
f (x) = „ein y mit …“
lassen sich in L immer schreiben als
f (x) = „das <-kleinste y mit …“.
Eine Wohlordnung muss hier, wie bei der üblichen Verwendung von (AC), nicht immer von Fall zu Fall neu festgelegt werden. Wir können alle Auswahlakte mit einer universellen, kanonischen Wohlordnung durchführen, die die Mengen des Universums nach ihrer Konstruktions-Komplexität anordnet. Die Wohlordnung ist durch eine Formel gegeben, und damit nicht mehr beliebig. Dass es eine Formel gibt, die ein Klassenmodell von ZF wohlordnet, ist eine der erstaunlichsten Erkenntnisse der Analyse des Auswahlaxioms: Der „dunkle Charakter“ von (AC) löst sich in gewissen Verstärkungen von ZF von selbst auf.
Wir haben gezeigt:
Korollar (relative Konsistenz von (AC))
Die Aussage „Es gibt eine Wohlordnung von V“ ist relativ konsistent zu ZF.
Insbesondere ist das Auswahlaxiom relativ konsistent zu ZF.
Das Axiom (V = L)
Im obigen Beweis des Satzes über Auswahlakte in L haben wir verwendet, dass L in L betrachtet mit dem gesamten Universum zusammenfällt. In L sind die beiden Klassen L und V identisch. Diese Aussage erheben wir zum:
Axiom der Konstruierbarkeit (V = L)
∀x x ∈ L
Wir halten explizit fest:
Satz (L erfüllt V = L)
L ⊨ V = L. Ist α ∈ On derart, dass Lα ⊨ ZF*, so gilt Lα ⊨ (V = L).
Beweis
Die Aussage L ⊨ V = L ist gleichwertig mit VL = LL. Aber VL ist trivialerweise gleich L, und LL ist gleich L nach dem obigen Satz. Ebenso zeigt man die Aussage über die Stufenmodelle Lα von ZF*.
Korollar
Das Axiom (V = L) ist relativ konsistent zu ZF.
Man kann also in ZFC nicht beweisen, dass eine nicht konstruierbare Menge existiert. Anders: Man kann in ZFC nicht beweisen, dass ein von L verschiedenes inneres Modell existiert. Umgekehrt ist an dieser Stelle ZF ⊢ V = L noch nicht auszuschließen. Dies wird später mit der Erzwingungsmethode möglich sein.
Eine einfache, aber nützliche Beobachtung ist:
Satz (Beweise mit (V = L) und Gültigkeit in L)
Für alle Aussagen φ sind äquivalent:
(i) | ZF + (V = L) ⊢ φ |
(ii) | ZF ⊢ L ⊨ φ |
Beweis
zu (i) ↷ (ii):
Folgt aus dem Korrektheitssatz und der Tatsache, dass L ⊨ (V = L).
zu (ii) ↷ (i):
Für alle Aussagen φ gilt:
(+) ZF + (V = L) ⊢ φ ↔ φL.
Gilt ZF ⊢ φL, so gilt sicher auch ZF + (V = L) ⊢ φL, und nach (+) also ZF + (V = L) ⊢ φ.
Ergebnisse der ZF-Analyse des Klassenmodells L lassen sich also immer in der Form „In ZF + (V = L) gilt: …“ schreiben, und erscheinen so als Konsequenzen einer Erweiterung von ZF um ein neues Axiom, nicht mehr als Eigenschaften eines speziellen Modells. Obiges Ergebnis über Auswahlakte können wir zum Beispiel schreiben als:
Satz
In ZF + (V = L) gilt: „Es gibt eine definierbare Wohlordnung von V“.
In dieser Form wird die oben diskutierte Beleuchtung des Auswahlaxioms durch eine Theorieerweiterung besonders deutlich.
Mengenmodelle von V = L
Transitive Modelle von ZF* berechnen die konstruktiblen Stufen korrekt, solange Ordinalzahlen zur Indizierung zur Verfügung stehen. Gilt nun „V = L“ in einem solchen Modell, so ist das Modell bereits eine Stufe der konstruktiblen Hierarchie:
Satz
Sei M ein transitives Mengenmodell mit M ⊨ ZF* + (V = L). Dann ist M = Lα für α = On ∩ M.
Beweis
Nach obigem Absolutheitssatz gilt LM = Lα (unabhängig von M ⊨ V = L).
Wegen M ⊨ (V = L) ist zudem LM = VM = M, also M = Lα.
Umgekehrt sind viele Lα-Stufen Modelle von ZF* + (V = L). Zunächst gilt:
Satz (konstruktible Limesstufen)
Sei λ > ω eine Limesordinalzahl. Dann gilt Lλ ⊨ ZF* − (Kol).
Der Beweis sei dem Leser zur Übung überlassen. Wir zeigen:
Satz (konstruktible L-reguläre Stufen)
Sei κ > ω eine reguläre Kardinalzahl. Dann gilt Lκ ⊨ ZF*, und folglich auch Lκ ⊨ (V = L). Genauer gilt dies für alle κ > ω mit L ⊨ κ ist regulär.
Beweis
Nach dem letzten Satz genügt es, das Kollektionsschema in Lκ zu zeigen. Sei also φ(u, v, p1, …, pn) eine Formel, und seien p1, …, pn ∈ Lκ. Sei x ∈ Lκ. Für u ∈ x sei
f (u) = „das kleinste α < κ mit : ∃v ∈ Lα Lκ ⊨ φ(u, v, p1, …, pn)“,
falls ein solches α existiert, und es sei f (u) = 0 sonst. Wegen κ Limes gibt es ein γ < κ derart, dass x ⊆ Lγ. Aber |Lγ| = |γ| < κ, also |x| < κ. Wegen κ regulär ist dann aber
δ = sup(f) < κ.
Dann ist aber Lδ ∈ Lκ eine Menge, wie sie vom Kollektionsschema für φ und x gefordert wird.
Der Zusatz folgt, da LκL = L gilt, und also Lκ ⊨ φ gleichwertig zu L ⊨ „Lκ ⊨ φ“ für alle Aussagen φ ist. Damit können wir obiges Argument unter der Voraussetzung V = L durchführen.
Übung
Es gelte V = L. Sei C = { α ∈ On | Lα = Vα }. Dann ist C club in On.
An dieser Stelle können wir unter (V = L) noch nicht zeigen, dass Lκ = Vκ für alle unerreichbaren Kardinalzahlen gilt. Denn Vκ enthält sicher alle Teilmengen von ω, während prinzipiell neue Teilmengen von ω über Lκ definierbar sein könnten, die dann erst in Lκ + 1 auftauchen. Dass dies nicht so ist, werden wir nun zeigen.
Die allgemeine Kontinuumshypothese in L
Wir zeigen, dass in L die allgemeine Kontinuumshypothese gilt. Die Strategie des Beweises für den Spezialfall (CH) ist die folgende. Wir arbeiten in der Theorie ZF + (V = L) und zeigen, dass alle Teilmengen von ω in der L-Hierarchie vor der Stufe Lω1 konstruiert werden. Mit anderen Worten:
(#ω) Ist x ⊆ ω, so gilt x ∈ Lω1.
Nun gilt aber |Lα| = |α| für alle α ≥ ω, und damit gibt es höchstens ω1-viele konstruktible Teilmengen von ω. Die Theorie ZF garantiert andererseits die Existenz von mindestens ω1-vielen Teilmengen von ω, und damit haben wir bewiesen, dass 2ω = |℘(ω)| = ω1 gilt.
Die allgemeine Kontinuumshypothese folgt aus der allgemeineren für alle Kardinalzahlen κ ≥ ω gültigen Aussage:
(#κ) Ist x ⊆ κ, so gilt x ∈ Lκ+.
Ohne die Voraussetzung V = L ergibt sich damit folgendes Bild der Organisation der konstruktiblen Teilmengen von Ordinalzahlen. Sei α ∈ On beliebig, und sei μ der kardinale Nachfolger von α in L, d. h. es gelte L ⊨ μ = |α|+. Dann gilt:
(1) | ℘(α) ∩ L ⊆ Lμ |
(2) | { δ < μ | (Lδ + 1 − Lδ) ∩ ℘(α) ≠ ∅ } ist unbeschränkt in μ |
In L werden also bis hinauf zur μ-ten Stufe immer wieder neue Teilmengen von α konstruiert, danach ist die Konstruktion von Teilmengen von α dann für immer und ewig abgeschlossen. Der zusätzliche Gehalt der nach μ konstruierten Stufen erlaubt es nicht mehr, neue Teilmengen von α zu konstruieren.
Das entscheidende Hilfsmittel für den Beweis der allgemeinen Kontinuumshypothese und für das weitere Studium von L ist das sog. Kondensationslemma:
Satz (Kondensationslemma)
Sei γ eine Ordinalzahl mit Lγ ⊨ ZF*. Sei X ein elementares Submodell von Lγ, und sei π : X → M der Mostowski-Kollaps von X. Dann existiert ein α ≤ γ mit M = Lα. Genauer gilt:
α = o. t.(X ∩ On), α ≤ sup(X ∩ γ), α < |X|+
Wegen X ≼ Lγ gilt das Extensionalitätsaxiom in X. Weiter ist jedes ∈ -Modell fundiert. Also existiert der Mostowski-Isomorphismus.
Beweis
Es gilt Lγ ⊨ ZF* + (V = L), also X ⊨ ZF* + (V = L), und damit auch M ⊨ ZF* + (V = L). Wegen M transitiv ist also M = Lα für α = On ∩ M. Es gilt α = o.t.(X ∩ On), da π|α : X ∩ γ → α ordnungsisomorph ist. Hieraus folgt auch α ≤ sup(X) und α < |X|+.
Seien X, γ, α, π wie im Kondensationslemma. Dann ist X isomorph zu Lα. Wegen der Starrheit transitiver Klassen ist α die einzige Ordinalzahl mit dieser Eigenschaft. Weiter ist π : Lα → Lγ eine elementare Einbettung, d. h. für jede Formel φ(x1, …, xn) und a1, …, an ∈ Lα gilt:
Lα ⊨ φ[ a1, …, an ] gdw Lγ[ π(a1), …, π(an) ]
Insbesondere sind Lα und Lγ elementar äquivalent, d. h. sie erfüllen dieselben Aussagen. Ist X ≠ Lγ, so ist π nicht die Identität. Da Lω1 abzählbare elementare Submodelle besitzt, existiert also ein abzählbares α derart, dass sich Lα elementar in Lω1 einbetten lässt.
Mit dem Kondensationslemma können wir nun leicht zeigen:
Satz (Gültigkeit der allgemeinen Kontinuumshypothese in L)
Es gelte (V = L). Dann gilt (GCH).
Beweis
Sei κ ≥ ω eine Kardinalzahl, und sei x ⊆ κ. Wir zeigen, dass x ∈ Lκ+.
Dann ist also ℘(κ) ⊆ Lκ+ und aus |Lκ+| = κ+ folgt die Behauptung.
Sei β eine Ordinalzahl mit x ∈ Lβ, und sei μ = |β|+, sodass also Lμ ⊨ ZF*. Weiter sei X ein elementares Submodell von Lμ mit:
(i) | κ ⊆ X |
(ii) | x ∈ X |
(iii) | |X| = κ |
Sei π : X → Lγ der Mostowski-Kollaps nach dem Kondensationslemma.
Dann ist π|κ = idκ wegen κ ⊆ X und κ transitiv. Folglich ist
π(x) = π″x = x.
Also x ∈ Lγ. Aber |γ| = |On ∩ X| < |X|+ = κ+, und damit x ∈ Lκ+.
Korollar (relative Konsistenz von (GCH))
(GCH) ist relativ konsistent zu ZFC.
Wir hoffen, dass der Leser die Einschätzung teilt, dass wir weit mehr erreicht haben als dieses tiefsinnige, aber doch recht nackte relative Konsistenzresultat. War die Frage nach der relativen Konsistenz der Kontinuumshypothese auch der Antrieb zur Entwicklung des Modells L, so haben wir dadurch doch ein für sich interessantes und reich geschmücktes Mengenuniversum gefunden, das wir auch dann noch weiter untersuchen würden, wenn sich z. B. ω2 als die Mächtigkeit der reellen Zahlen in diesem Modell herausgestellt hätte.
In der Erweiterung von ZF um (V = L) sind also sowohl das Auswahlaxiom als auch die allgemeine Kontinuumshypothese beweisbare Sätze. Wir werden unten zeigen, dass das Axiom (V = L) auch das Suslinsche Problem der Charakterisierung der reellen Ordnung löst. Es scheint in der Tat, als hätten wir das ersehnte fehlende Axiom gefunden. Wird die Untersuchung von L auch desto schwieriger und verwickelter, je subtilere kombinatorische Fragen wir stellen, so erreichen wir doch in den meisten Fällen eine Lösung und oft auch eine tiefere Einsicht in das Problem. Die Theorie ZF + (V = L) ist ebenso „quasi-vollständig“ wie die endliche Mengenlehre oder gleichwertig die Peano-Arithmetik. Die Gödelschen Sätze zeigen die prinzipielle und unvermeidbare Unvollständigkeit dieser Theorien, aber die meisten Fragen mit einem „üblichen“ mathematischen Gehalt lassen sich in diesen Theorien beantworten. Es gibt wichtige Ausnahmen: Auch mit Hilfe von (V = L) können wir z. B. die Frage nicht beantworten, ob eine unerreichbare Kardinalzahl existiert oder nicht (es sei denn, diese Kardinalzahlen führen zu Widersprüchen), denn ist κ eine unerreichbare Kardinalzahl, so ist κ eine unerreichbare Kardinalzahl in L, und Lκ ist ein Modell von ZF + (V = L). Ist aber φ eine „übliche“ mathematische Aussage derart, dass sowohl φ als auch non φ die Konsistenzstärke von ZF nicht erhöhen, so lässt sich in der Regel φ in ZF + (V = L) beweisen oder widerlegen.
Die Gültigkeit von (GCH) in L wirft zumindest etwas Licht auf die unerreichbaren Kardinalzahlen:
Satz (schwach unerreichbare und unerreichbare Kardinalzahlen in L)
Sei κ eine schwach unerreichbare Kardinalzahl, d. h. κ ist eine reguläre überabzählbare Limeskardinalzahl. Dann ist κ unerreichbar in L. Insbesondere ist die Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl κ relativ konsistent zu ZFC + „Es gibt eine schwach unerreichbare Kardinalzahl“.
Beweis
κ ist offenbar schwach unerreichbar in L. Wegen der Gültigkeit von GCH ist κ weiter ein starker Limes, als eine unerreichbare Kardinalzahl.
Wir werden später zeigen, dass sich die Messbarkeit einer Kardinalzahl im Gegensatz zur Unerreichbarkeit nicht von V nach L überträgt. Stärker gilt in der Theorie ZF + (V = L): „Es gibt keine messbare Kardinalzahl“. Diese Limitation ist eines der oft vorgebrachten Argumente gegen die Erhebung des Axioms der Konstruierbarkeit in Rang eines Basisaxioms der Mengenlehre.
Aus dem Beweis von (GCH) in L erhalten wir:
Korollar (Lκ-Stufen und Hκ-Stufen)
Es gelte (V = L). Sei κ ≥ ω eine Kardinalzahl. Dann gilt
Lκ = H′κ = { a | |t.c.(a)| < κ }.
Speziell ist Lκ = H′κ = Vκ, falls κ eine unerreichbare Kardinalzahl ist.
Beweis
Es gilt Lω = Vω = Hω. Sei also κ überabzählbar.
zu Lκ ⊆ Hκ: Sei x ∈ Lκ. Dann existiert ein α < κ mit x ∈ Lα. Wegen Lα transitiv ist t.c.(x) ⊆ Lα. Also
|t. c.(x)| ≤ |Lα| = |α| < κ.
zu Hκ ⊆ Lκ: Sei x ∈ Hκ. Sei γ derart, dass t.c.(x) ⊆ Lγ und Lγ ⊨ ZF*.
Sei y = t. c.(x ∪ { x }). Sei X ≼ Lγ mit y ⊆ X und |X| = |y|. Dann ist der Mostowski-Kollaps konstant auf y, also ist wie im Beweis oben y ⊆ Lα für ein α mit |α| = |y| = |t. c.(x)| < κ.
Nach diesen Untersuchungen reichen wir nun die versprochene zweite Konstruktion von L mit Hilfe von Grundfunktionen nach. Mit ihrer Hilfe zeigen wir, dass die Konstruktion von L absolut ist: Die Funktion F : On → V mit F(α) = Lα ist eine Δ*1-Funktion.
Gödel-Funktionen
Die folgende Liste von einfachen Funktionen präsentieren wir ad hoc. Man findet eine derartige Liste, indem man analysiert, was man benötigt, um alle definierbaren Teilmengen einer transitiven Menge durch Operationen einzufangen.
Definition (Basisfunktion, Gödel-Funktion)
Wir definieren Funktionen F1, …, F10 : V2 → V durch:
F1(x, y) | = { x, y } |
F2(x, y) | = x × y |
F3(x, y) | = { (a, b) | a ∈ x, b ∈ y, a ∈ b } |
F4(x, y) | = x − y |
F5(x, y) | = x ∩ y |
F6(x, y) | = ⋃ x |
F7(x, y) | = dom(x) |
F8(x, y) | = { (a, b) | (b, a) ∈ x }, |
F9(x, y) | = { (a, b, c) | (a, c, b) ∈ x } |
F10(x, y) | = { (a, b, c) | (b, c, a) ∈ x } |
Die Funktionen F1, …, F10 heißen Basisfunktionen. Eine Funktion G : Vn → V heißt eine Gödel-Funktion, falls G eine Komposition von Basisfunktionen ist.
Wir schreiben Fi(x) für Fi(x, x), 1 ≤ i ≤ 10. Dies ist insbesondere für die Basisfunktionen nützlich, die de facto nur von der ersten Komponente abhängen.
Durch Induktion zeigt man: Für alle n ≥ 2 ist Gn : Vn → V mit
Gn(x1, …, xn) = x1 × … × xn für alle x1, …, xn
eine Gödel-Funktion (denn Gn + 1(x1, …, xn + 1) = F2(Gn(x1, …, xn), xn + 1)).
Übung
Die Funktion G : V2 → V mit G(x, y) = rng(x) ist eine Gödel-Funktion.
Wir zeigen, dass Gödel-Funktionen absolut für transitive Modelle sind. Mit obiger Aufstellung von ∑0-Formeln ist leicht zu sehen:
Satz
Die Basisfunktionen sind ∑0.
Stärker gilt, dass sich auch alle Kompositionen von Basisfunktionen, also alle Gödel-Funktionen als ∑0-Formeln schreiben lassen:
Satz (Absolutheit der Gödel-Funktionen)
Für jede Gödel-Funktion F(x1, …, xn) und alle ∑0-Formeln φ und ψ sind die folgenden Formeln ∑0:
(i) | y ∈ F(x1, …, xn) |
(ii) | ∀x ∈ F(x1, …, xn) φ, ∃x ∈ F(x1, …, xn) φ |
(iii) | y = F(x1, …, xn) |
(iv) | F(x1, …, xn) ∈ y |
(v) | ψ(F(x1, …, xn)) |
Beweis
Wir schreiben F(¯x) statt F(x1, …, xn) zur Vereinfachung der Notation.
zu (i) und (ii):
Wir zeigen die Behauptungen simultan durch Induktion über den Aufbau von F. Der Beweis ist mühsam, aber unproblematisch. Zum Beispiel gilt:
y ∈ ⋃ F(¯x) | gdw ∃z ∈ F(¯x) y ∈ z. |
y ∈ F1(¯x) × F2(¯x) | gdw ∃a ∈ F1(¯x) ∃b ∈ F1(¯x) y = (a, b). |
Die rechten Seiten sind Σ0-Formeln nach I.V.
zu (iii):
Folgt aus (ii), denn es gilt
y = F(¯x) gdw ∀a ∈ y a ∈ F(¯x) ∧ ∀a ∈ F(¯x) a ∈ y.
zu (iv):
Folgt aus (iii), denn es gilt: F(¯x) ∈ y gdw ∃a ∈ y a = F(¯x).
zu (v):
Wir beweisen die Aussage durch Induktion über den Aufbau von ψ. Der Primformelfall folgt aus (i), (iii) und (iv). Der ∧- und ¬-Fall ist klar, und der beschränkte Quantorschritt folgt aus (ii).
Abschluss unter Gödel-Funktionen
Definition (abgeschlossen)
Eine Klasse W heißt abgeschlossen unter Gödel-Funktionen, falls für 1 ≤ i ≤ 10 gilt, dass Fi″ W ⊆ W.
Wir definieren weiter:
Definition (die Abschlussoperation cl)
Wir definieren rekursiv für n < ω und Mengen x:
cl0(x) = x, cln + 1(x) = ⋃1 ≤ i ≤ 10 Fi″cln(x)2 für alle n ∈ ω.
Schließlich definieren wir cl : V → V durch
cl(x) = ⋃n < ω cln(x) für alle x ∈ V.
Satz
Die Funktion cl ist Δ*1.
Beweis
Die Definition ist Σ1. Eine in ZF* äquivalente Π1-Definition ist:
cl(x) = ⋂ { w ⊇ x | w ist abgeschlossen unter Gödel-Funktionen }.
Gödel-Funktionen und Definierbarkeit
Wir untersuchen nun den Zusammenhang zwischen den Operationen cl und Def. Als Erstes zeigen wir, dass wir mit den Gödel-Funktionen die Produktaussonderung für Σ0-Formeln nachbauen können.
Definition (die Produktaussonderungsfunktion Fφ)
Sei φ(u1, …, un) eine Σ0-Formel. Wir definieren Fφ : Vn → V durch
Fφ(x1, …, xn) = { (u1, …, un) ∈ x1 × … × xn | φ(u1, …, un) } für alle x1, …, xn.
Streng genommen müssen wir Fφ, u1, …, un schreiben, damit insbesondere die Stelligkeit von Fφ klar ist. Wir unterdrücken dies der besseren Lesbarkeit halber.
Satz (Normalformtheorem von Gödel)
Sei φ(u1, …, un) eine ∑0-Formel. Dann ist Fφ eine Gödel-Funktion.
Beweis
Wir zeigen die Behauptung durch Induktion über den Aufbau von φ. Dabei dürfen wir annehmen, dass φ kein Gleichheitssymbol enthält, denn wir können x = y durch ∀z ∈ x z ∈ y ∧ ∀z ∈ y z ∈ x ersetzen. Weiter können wir annehmen, dass φ keine Primformeln der Form „x ∈ x“ enthält; diese können wir durch ∃u ∈ x u = x gefolgt von einer Elimination der Gleichheit ersetzen.
Den Primformelfall zeigen wir durch Induktion nach n ≥ 2.
Induktionsanfang n = 2:
Fall φ = u1 ∈ u2: Dann ist Fφ = F3(x1, x2).
Fall φ = u2 ∈ u1: Dann ist Fφ = F8(Fu1 ∈ u2).
Induktionsschritt von n nach n + 1, n ≥ 2:
Fall φ = ui ∈ uj, i, j ≠ n + 1:
Dann ist Fφ = Fφ(u1, …, un) × xn eine Gödel-Funktion nach I. V. und der Funktion F3 (Paare).
Fall φ = ui ∈ uj, i, j ≠ n:
Dann ist Fφ = F9(Fφ(u1, …, un)) eine Gödel-Funktion nach I. V. und dem vorherigen Fall.
Fall φ = ui ∈ uj, i = n, j = n + 1:
Dann ist Fφ = F10(Fun ∈ un + 1 × (x1 × … × xn − 1)) eine Gödel-Funktion nach I. V.
Fall φ = ui ∈ uj, i = n + 1, j = n: wie eben.
Damit haben wir die Aussage für alle Primformeln bewiesen.
Fall φ = φ1 ∧ φ2:
Dies folgt aus der I.V. unter Verwendung der Gödel-Funktion F5 (Schnitt).
Fall φ = ¬ ψ:
Dies folgtt aus der I.V. unter Verwendung der Gödel-Funktionen F4 (Differenz) und wiederholter Produktbildung
F(x1, …, xn) = x1 × … × xn.
Fall φ = ∃un + 1 ∈ ui ψ(u1, …, un + 1):
Sei χ = un + 1 ∈ ui ∧ ψ(u1, …, un + 1). Dann gilt:
(+) Fφ(x1, …, xn) = dom(Fχ(x1, …, xn, ⋃ xi)).
Beweis
Für alle (u1, …, un) ∈ x1 × … × xn gilt:
φ(u1, …, un) | gdw ∃u. u ∈ ui ∧ ψ(u1, …, un, u) |
gdwui ∈ xi ∃u ∈ ⋃ xi. u ∈ ui ∧ ψ(u1, …, un, u) |
Damit gilt dann für alle (u1, …, un):
(u1, …, un) ∈ Fφ | gdw ∃u (u1, …, un, u) ∈ Fχ(x1, …, xn, ⋃ xi) |
gdw (u1, …, un) ∈ dom(Fχ(x1, …, xn, ⋃ xi)) |
Die rechte Seite von (+) ist nach I.V. und Verwendung von F5, F6, F7 eine Gödel-Funktion.
Damit erhalten wir leicht:
Korollar (∑0-Aussonderung als Gödel-Funktion)
Sei φ(u1, …, un + 1) eine ∑0-Formel. Dann ist F : Vn + 1 → V mit
F(w, p1, …, pn) = { a ∈ w | φ(a, p1, …, pn) } für alle w, p1, …, pn
eine Gödel-Funktion.
Beweis
Es gilt F(w, p1, …, pn) = dom(dom(… dom(Fφ(w, { p1 }, …, { pn }))…)).
Als Korollar erhalten wir folgende Version des Kriteriums für innere Modelle:
Korollar (Kriterium für innere Modelle mit Gödel-Funktionen)
Sei W eine transitive Klasse mit den Eigenschaften:
(a) | W ist abgeschlossen unter Gödel-Funktionen. |
(b) | W ist fast universell: Für alle x ⊆ W gibt es ein y ∈ W mit x ⊆ y. |
Dann ist W ein inneres Modell von ZF.
Um den Zusammenhang zwischen definierbaren Teilmengen und Gödel-Funktionen zu klären, brauchen wir noch einen Hilfssatz:
Satz (das Modell als Parameter)
Sei w transitiv, und seien p1, …, pn ∈ w. Sei φ(u1, u2, …, un + 1, u) eine Σ0-Formel und sei
x = { a ∈ w | φ( a, p1, …, pn, w ) }.
Dann ist x ∈ Def (w).
Beweis
Wir definieren durch Rekursion über den Aufbau von φ eine Formel φ′ wie folgt. Hierbei sind x, y beliebige Variablen ungleich der Variablen u (die dem Universum w entspricht). Ohne Einschränkung enthält φ kein Gleichheitszeichen, keine Primformel der Form „v ∈ v“, und keine Quantifizierungen über die Variablen u1, …, un + 1, u. Wir setzen dann:
(x ∈ y)′ | = x ∈ y | |
(x ∈ u)′ | = ∃u u = u | |
(u ∈ x)′ | = ∃u u ≠ u | |
(φ1 ∧ φ2)′ | = φ1′ ∧ φ2′ | |
(¬ φ)′ | = ¬ φ′ | |
(∃x ∈ y φ)′ | = ∃x ∈ y φ′ | |
(∃x ∈ u φ)′ | = ∃x φ′ |
Sei nun ψ die Entsprechung von φ′ auf der Objektebene. Dann gilt:
x = { a ∈ w | w ⊨ ψ[ a, p1, …, pn ] }.
Hiermit können wir zeigen:
Satz (Zusammenhang zwischen den Operationen Def und cl)
Für alle transitiven w gilt:
Def (w) = cl(w ∪ { w }) ∩ ℘(w).
Beweis
zu ⊆ : Durch Induktion über den Aufbau von ψ(u1, …, un + 1) zeigt man wie im Normalform-Theorem von Gödel, dass
F(w, p1, …, pn) = { a ∈ w | w ⊨ ψ[ a, p1, …, pn ] }.
eine Gödel-Funktion ist (mit F(w, p1, …, pn) = 0, falls pi ∉ w für ein i).
Damit ist dann Def (w) ⊆ cl(w ∪ { w }). Zudem gilt Def (w) ⊆ ℘(w).
zu ⊇: Sei x ∈ cl(w ∪ { w }) ∩ ℘(w). Dann existieren eine Gödel-Funktion H : Vn + 1 → V und p1, …, pn ∈ w mit x = H(w, p1, …, pn). Da Gödel-Funktionen Σ0 sind, gibt es eine Σ0-Formel φ(a, p1, …, pn, w) eine Σ0-Formel, sodass für alle a gilt:
a ∈ H(w, p1, …, pn) gdw φ(a, p1, …, pn, w).
Nach Voraussetzung ist aber x ⊆ w, und damit gilt
x = { a ∈ w | φ(a, p1, …, pn, w) }.
Nach dem Satz oben ist dann aber x ∈ Def (w).
Damit haben wir die erwünschte Absolutheit der Lα-Hierarchie gezeigt und unsere Hypothek aufgelöst:
Korollar (Absolutheit der Definierbarkeit)
Die Funktion F : V → V mit
ist Δ*1.
Beweis
Nach oben cl eine Δ*1-Funktion. Weiter ist dann auch die Funktion G mit G(w) = cl(w ∪ { w }) eine Δ*1-Funktion. Für transitive w gilt
Def (w) = cl(w ∪ { w }) ∩ ℘(w),
und hieraus erhalten wir die Äquivalenz:
z = F(w) gdw
„w ist nicht transitiv“ ∧ z = 0 ∨
„w ist transitiv“ ∧ ∀x ∈ z x ∈ cl(w ∪ { w }) ∧ ∀x ∈ cl(w ∪ { w }). x ⊆ w → x ∈ z.
Die kanonische Wohlordnung <L von L
Mit Hilfe der Gödel-Funktionen können wir leicht eine natürliche Wohlordnung von L definieren.
Definition (kanonische Enderweiterung einer Wohlordnung von w auf cl1(w))
Sei w eine Menge, und sei v = cl1(w). Weiter sei <0 eine Wohlordnung von w, und <lex die durch <0 gegebene lexikographische Wohlordnung von w × w.
Für a ∈ v − w seien
i(a) | = „das kleinste j mit a ∈ Fj″ w2“, |
p(a) | = „das <lex-kleinste (c, d) ∈ w2 mit a = Fi(a)(c, d)“. |
Wir definieren eine Wohlordnung < = <(w, <0) von v durch:
(a, b) ∈ <, falls
(i) | (a, b) ∈ <0 oder |
(ii) | a ∈ w, b ∈ v − w oder |
(iii) | a, b ∈ v − w und i(a) < i(b) oder |
(iv) | a, b ∈ v − w und i(a) = i(b) und p(a) < p(b) |
Durch Iteration erhalten wir Wohlordnungen <n(x, <0) auf allen cln(w). Wir setzen hierzu
<n + 1(x, <0) = <(x, <n) für alle n < ω.
Dann ist
W(x, <0) := ⋃n < ω <n ∩ ℘(w)
eine Wohlordnung von Def (w). Die Wohlordnung <(w, <0) ist Δ*1, und damit ist W(x, <0) eine Δ*1-Funktion.
Definition (die kanonischen Wohlordnungen <α und <L)
Wir definieren rekursiv :
<0 | = ∅, | |
<α + 1 | = W(Lα, <α) | für alle Ordinalzahlen α |
<λ | = ⋃α < λ <α | für alle Limesordinalzahlen λ |
Die Relation <L = ⋃α ∈ On <α heißt die kanonische Wohlordnung von L.
Nach Konstruktion ist klar:
Satz
(i) | Für alle α ist <α eine Wohlordnung von Lα und <L ist eine Wohlordnung von L. |
(ii) | Ist α < β, so ist <β eine Enderweiterung von <α. |
(iii) | Die Funktion F : On → V mit F(α) = <α für alle α ∈ On ist Δ*1. |
Die relativierten Hierarchien L( A ) und L[ A ]
Wir besprechen noch zwei Varianten der L-Hierarchie, die so genannten relativierten Hierarchien. Es bieten sich zwei Möglichkeiten an, L anders zu organisieren bzw. zu vergrößern: Zum einen können wir mit einer Menge A anstelle der leeren Menge starten, und dann die L-Hierarchie über A konstruieren. Zum anderen können wir eine Menge A als Prädikat in die Definierbarkeitsrelation mit aufnehmen. Gilt V = L, so sind die resultierenden Modelle wieder gleich L, aber die konstruierten Hierarchien sind i. A. verschieden. Gilt V ≠ L, so können die konstruierten Modelle größer als L sein.
Wir beginnen mit den L-artigen Modellen, die über einer gegebenen Menge konstruiert werden. Um transitive Modelle zu erhalten, starten wir mit t. c.({ A }) anstelle von A:
Definition (die Klassenmodelle L(A))
Sei A eine Menge. Wir definieren rekursiv:
L0(A) | = t. c.({ A }) | |
Lα + 1(A) | = Def (Lα(A)) | für alle α ∈ On |
Lλ(A) | = ⋃α < λ Lα(A) | für alle Limesordinalzahlen λ |
Weiter setzen wir L(A) = ⋃α ∈ On Lα(A). 〈 Lα(A) | α ∈ On 〉 heißt die konstruktible Hierarchie über A, und L(A) heißt das konstruktible Universum über A. Eine Menge x heißt konstruktibel über A, falls x ∈ L(A) gilt.
Aus unserem Kriterium für innere Modelle folgt leicht, dass für alle A die Klasse L(A) ein Modell von ZF ist. Dagegen können wir nicht mehr allgemein zeigen, dass in L(A) das Auswahlaxiom gilt. Ein Kandidat für einen solchen Fall ist das Modell L(ℝ), das alle reellen Zahlen des Universums enthält, dann aber nur noch die daraus konstruierbaren Mengen. Unter Annahme großer Kardinalzahlaxiome kann man zeigen, dass in L(ℝ) das Auswahlaxiom verletzt ist. Gilt umgekehrt V = L, so gilt natürlich L = L(ℝ).
Leicht zu sehen ist:
Satz (Charakterisierung von L(A))
Sei A eine Menge. Dann ist L(A) das kleinste innere Modell W von ZF mit A ∈ W.
Für die zweite Variante erweitern wir unseren Definierbarkeitsbegriff:
Definition (definierbar relativ zu A, DefA(w))
Sei A eine Klasse. Weiter sei w eine Menge. Ein x ⊆ w heißt definierbar relativ zu A über w, falls es eine Formel φ(u, v1, …, vn) in der um ein einstelliges Prädikat R erweiterten ∈ -Sprache gibt und p1, …, pn ∈ w existieren mit
x = { a ∈ w | 〈 w, ∈ |w, A ∩ w 〉 ⊨ φ[ a, p1, …, pn ] }.
Wir setzen wieder:
DefA(w) = { x ⊆ w | x ist definierbar über w relativ zu A }.
In den Formeln der erweiterten Sprache taucht das neue Prädikat R auf. Es wird im Modell 〈 w, A ∩ w 〉 durch die Menge A ∩ w interpretiert. Damit ist zum Beispiel
{ a ∈ w | 〈 w, A ∩ w 〉 ⊨ v ∈ R } = { a ∈ w | a ∈ A ∩ w } = A ∩ w ∈ DefA(w).
Die Definierbarkeit relativ zu A kann man wieder durch Gödel-Funktionen ausdrücken. Man erweitert die Liste F1, …, F10 hier einfach um eine neue Basisfunktion, nämlich um die Funktion F11 : V2 → V mit
F11(x, y) = x ∩ A.
Wie früher ist der Abschluss clA(x) einer Menge unter den Gödel-Funktionen definiert, wobei nun auch die Funktion F11 verwendet wird. Man zeigt wieder, dass für alle transitiven Mengen w gilt:
DefA(w) = clA(w ∪ { w }) ∩ ℘(w).
Alternativ kann man mit dem alten Gödel-Abschluss arbeiten, denn für alle w gilt
clA(w ∪ { w }) = cl(w ∪ { w } ∪ { w ∩ A }).
Wir definieren nun:
Definition (die Klassenmodelle L[ A ])
Sei A eine Klasse. Wir definieren rekursiv:
L0[ A ] | = A | |
Lα + 1[ A ] | = DefA(Lα[ A ]) | für alle α ∈ On |
Lλ[ A ] | = ⋃α < λ Lα[ A ] | für alle Limesordinalzahlen λ |
Wir setzen wieder L[ A ] = ⋃α ∈ On Lα[ A ]. 〈 Lα[ A ] | α ∈ On 〉 heißt die konstruktible Hierarchie relativ zu A, und L[ A ] heißt das konstruktible Universum relativ zu A. Eine Menge x heißt konstruktibel relativ zu A, falls x ∈ L[ A ] gilt.
Unser Kriterium für innere Modelle zeigt wieder, dass L[ A ] ein inneres Modell von ZF ist für alle Klassen A. Weiter gilt wieder das globale Auswahlaxiom in allen L[ A ]. Die Beweise des Kondensationslemmas und damit der allgemeinen Kontinuumshypothese können wir allerdings nicht mehr übernehmen. In L[ A ] können neue Teilmengen von ω erst sehr spät auftauchen (wobei dann natürlich V ≠ L gilt). Sei hierzu x ⊆ ω mit x ∉ L und sei δ ≥ ω eine Ordinalzahl. Wir setzen A = { { δ, n } | n ∈ x }. Dann ist x ein Element von Lδ + 3[ A ], denn es gilt δ ∈ Lδ + 1[ A ] und damit { n, δ } ∈ Lδ + 2[ A ] für alle n ∈ ω. Damit ist also A eine Teilmenge von Lδ + 2[ A ] und folglich ist
x | = { n ∈ Lδ + 2[ A ] | { n, δ } ∈ A ∩ Lδ + 2[ A ] } |
= { n ∈ Lδ + 2[ A ] | 〈 Lδ + 2[ A ], ∈ , A 〉 ⊨ { n, δ } ∈ R } ∈ Lδ + 3[ A ]. |
Andererseits ist A ∩ Lα[ A ] = ∅ für alle α < δ + 2. Damit erscheint also in der L[ A ]-Hierarchie eine neue Teilmenge von ω erst nach der Stufe δ, und δ kann beliebig groß sein. Das Kondensationslemma ist also verletzt.
In der allgemeinen inneren Modelltheorie konstruiert man Modelle L[ A ] für eine echte Klasse A mit dem Ziel, dass in L[ A ] möglichst viele große Kardinalzahlen existieren. Die von L bekannte Organisation der Teilmengen von κ ist eine sehr wünschenswerte Eigenschaft, unter anderem, weil sie (GCH) liefert. Man möchte also, dass in L[ A ] wie für L alle Teilmengen von κ bis zur Stufe κ+ konstruiert werden. Man erreicht dies, indem man die „Kardinalzahl-Information“ A so schnell und behutsam wie möglich hinzufügt: Man fügt nicht urplötzlich eine große Informationsmenge an der Stelle κ hinzu, sondern baut diese Information durch Hinzufügen partieller Information bis hinauf zu κ schrittweise auf. So wird unter anderem verhindert, dass an einer Stelle κ ≥ ω1 noch einmal eine neue Teilmenge x von ω konstruiert werden kann. Die Information, die man braucht, um x zu konstruieren, hat man dem Modell bereits vor der Stufe ω1 hinzugefügt.
Die Variante des Kondensationslemmas, die wir beweisen können, lautet:
Satz (Kondensationslemma in L[ A ])
Sei A eine Klasse. Sei γ eine Ordinalzahl mit Lγ[ A ] ⊨ ZF*. Weiter sei X ein elementares Submodell von Lγ[ A ], und es sei π : X → M der Mostowski-Kollaps von X. Dann gilt:
M = Lα[ B ] für α = o. t.(X ∩ On) und B = π″(A ∩ X).
Über (GCH) in L[ A ] halten wir fest:
Satz ((GCH) in L[ A ])
Sei A eine Menge. Dann existiert ein κ derart, dass (GCH) oberhalb von κ in L[ A ] gilt, d. h. es gilt
L[ A ] ⊨ „2μ = μ+ für alle μ ≥ κ“.
Ist κ ≥ ω eine Kardinalzahl in L[ A ] und A ⊆ (κ+)L[ A ], so gilt (GCH) in L[ A ] oberhalb von κ. Insbesondere gilt also (GCH) in L[ A ] für alle A ⊆ (ω1)L[ A ].
Die Beweise dieser Sätze liegen im Bereich anspruchsvollerer Übungen. Das Kondensationslemma liefert (GCH) oberhalb von κ+. Um zu beweisen, dass 2κ = κ+ in L[ A ] gilt, zeigt man: Ist x ∈ ℘(κ) ∩ L[ A ], so existiert ein β < κ+ mit x ∈ L[ A ∩ β ].
Gilt V = L, so ist L[ A ] = L für alle Klassen A. Andererseits sind die Hierarchien von L[ A ] und L i. A. verschieden. Ist z. B. x eine beliebige Teilmenge von ω, so erscheint x in der L[ x ]-Hierarchie an der Stelle ω + 1, während x in der L-Hierarchie i. A. erst sehr viel später auftaucht.
Gilt V ≠ L, so ist L[ A ] im Allgemeinen größer als L. Allerdings kann die Information, die A enthält, der Natur von L so fremd sein, dass die L[ A ]-Hierarchie das neue Prädikat A überhaupt nicht gewinnbringend verwerten kann. Es kann Mengen A geben mit A ∉ L und L[ A ] = L.
Die Charakterisierung der Modelle L[ A ] lautet:
Satz (Charakterisierung von L[ A ])
Sei A eine Klasse. Dann ist L[ A ] das kleinste innere Modell W von ZF mit:
A ∩ x ∈ W für alle x ∈ W.
Beweis
Offenbar gilt A ∩ x ∈ L[ A ] für alle x ∈ L[ A ]. Ist andererseits W ein inneres Modell mit A ∩ x ∈ W für alle x ∈ W, so gilt Lα[ A ]W = Lα[ A ] für alle α ∈ On, und damit L[ A ] = L[ A ]W ⊆ W.
Für alle A gilt also L[ A ] = L[ A′ ] mit A′ = A ∩ L[ A ].
Ist A eine Menge, so ist A′ = A ∩ L[ A ] ein Element von L[ A ]. Speziell ist x ein Element von L[ x ], falls x eine Menge von Ordinalzahlen ist.
Völlig analog sind die Klassenmodelle L[ A1, …, An ] definiert. Wir erweitern die Sprache hier um endlich viele neue Prädikate R1, …, Rn, die in der Definierbarkeit über w als A1 ∩ w, …, An ∩ w interpretiert werden. Die entsprechenden Basisfunktionen sind F10 + i mit F10 + i(x, y) = x ∩ Ai für alle x, y und alle 1 ≤ i ≤ n.
Übung
Sei B eine Klasse. Dann existiert ein A ⊆ On mit L[ A ] = L[ B ].
Übung
Sei κ eine Kardinalzahl, und sei κ ≤ α < κ+. Dann existiert ein A ⊆ κ mit L[ A ] ⊨ |α| = κ.
Übung
Sei 2ω = ω2. Dann existiert ein A ⊆ ω2 mit L[ A ] ⊨ 2ω = ω2.
Übung
Sei F : On → V surjektiv. Dann existiert eine Klasse A ⊆ On mit V = L[ A ].
Das Karo-Prinzip und das Suslin-Problem in L
Wir arbeiten im Folgenden wieder in ZFC. Im ersten Abschnitt hatten wir das Karo-Prinzip ◇ betrachtet. Dieses kombinatorische Prinzip behauptet, dass eine Folge 〈 Sα | α < ω1 〉, Sα ⊆ α für alle α < ω1, existiert, sodass für alle S ⊆ ω1 die Menge { α < ω1 | S ∩ α = Sα } stationär in ω1 ist. Eine solche Folge 〈 Sα | α < ω1 〉 heißt dann eine Karo-Folge. Jensen hat gezeigt, dass in L eine Karo-Folge existiert:
Satz (Karo-Prinzip in L)
(V = L) impliziert ◇.
Beweis
Wir arbeiten in ZFC + (V = L). Wir konstruieren rekursiv eine Folge 〈 (Sα, Cα) | α < ω1 〉 durch:
(Sα, Cα) = „das <L-kleinste Paar (S, C) mit den Eigenschaften:
(a)α S, C ⊆ α | |
(b)α C ist club in α | |
(c)α S ∩ γ ≠ Sγ für alle γ ∈ C,“ |
falls α Limes und ein solches Paar (S, C) existiert.
Andernfalls setzen wir (Sα, Cα) = (∅, ∅).
Wir zeigen, dass 〈 Sα | α < ω1 〉 eine ◇-Folge ist.
Annahme nicht. Sei dann (S, C) <L-minimal mit den Eigenschaften:
(a) | S, C ⊆ ω1 |
(b) | C ist club in ω1 |
(c) | S ∩ γ ≠ Sγ für alle γ ∈ C |
Wir erzeugen einen Widerspruch, indem wir zeigen, dass ein Anfangsstück von (S, C) in der Rekursion verwendet wird, d. h. es gibt ein κ < ω1 mit (Sκ, Cκ) = (S ∩ κ, C ∩ κ). Dann ist κ = sup(Cκ) ∈ C und folglich ist S ∩ κ ≠ Sκ nach (c), also Sκ = S ∩ κ ≠ Sκ.
Ein solches κ können wir durch eine Submodellkonstruktion finden. Die Objekte 〈 Sα, Cα | α < ω1 〉, (C, S) sind Elemente von Lω2, da sie Elemente von Hω2 sind und Hω2 = Lω2 unter (V = L) gilt. Sei also X ein elementares Submodell von Lω2 mit:
(α) | X ist abzählbar |
(β) | 〈 (Sα, Cα) | α < ω1 〉 ∈ X |
(γ) | (C, S) ∈ X |
Dann gilt ω ⊆ X, ω ∈ X, ω1 ∈ X. Weiter ist X ∩ ω1 eine Ordinalzahl.
Beweis hierzu
Denn sei α ∈ X ∩ ω1. Es gilt
X ⊨ „∃f. f : ω → α surjektiv“,
da dies in Lω2 gilt und X ein elementares Submodell von Lω2 ist. Sei also f ∈ X mit X ⊨ f : ω → α surjektiv. Dann ist aber f : ω → α surjektiv und folglich gilt α = f ″ω ⊆ X. Denn für alle n ∈ ω gilt
Lω2 ⊨ „es gibt ein eindeutiges β mit (n , β) ∈ f“,
und wegen n, f ∈ X und X ≼ Lω2 ist β = f (n) dann auch in X.
Wir setzen:
κ = X ∩ ω1
Sei σ : Lδ → X ≼ Lω2 der inverse Mostowski-Kollaps von X.
Dann gilt ω < κ < δ < ω1 und weiter:
(i) | σ|κ = Id|κ |
(ii) | σ(κ) = ω1 |
(iii) | σ−1(S) = S ∩ κ |
(iv) | σ−1(C) = C ∩ κ |
(v) | σ−1(〈 (Sα, Cα) | α < ω1 〉) = 〈 (Sα, Cα) | α < κ 〉 |
Es gilt
Lω2 ⊨ „(S, C) ist das <L-kleinste Paar mit (a) − (c)“,
und wegen σ : Lδ ≼ Lω2 gilt dann nach (i) − (v) für (S′, C′) = (S ∩ κ, C ∩ κ):
Lδ ⊨ „(S′, C′) ist das <L-kleinste Paar mit (a)κ − (c)κ“.
Wegen Lδ ≼ Lω2 ist Lδ ein Modell von ZF*, und folglich ist (<L)Lδ = <δ. Auch die Eigenschaften (a)κ − (c)κ sind absolut, und damit gilt:
(S ∩ κ, C ∩ κ) ist das <δ-kleinste Paar mit (a)κ − (c)κ.
Da aber <L eine Enderweiterung von <δ ist, ist (S ∩ κ, C ∩ κ) auch das <L-kleinste Paar mit (a)κ − (c)κ, und damit ist
(Sκ, Cκ) = (S ∩ κ, C ∩ κ)
nach der rekursiven Definition von (Sκ, Cκ), Widerspruch.
Allgemeiner gilt unter (V = L) ein analoges Prinzip ◇κ für alle regulären Kardinalzahlen κ ≥ ω1; das ◇-Prinzip ist dann identisch mit ◇ω1.
Dem Leser wird aufgefallen sein, dass die Definition der Folge der (Sα, Cα) genau die Situation (a) − (c) widerspiegelt, die immer vorliegt, wenn irgendeine Folge von Sα keine Karo-Folge ist. Die Rekursion reflektiert diese allgemeine Situation, und die Kondensationseigenschaften im Zusammenspiel mit der Absolutheit der kanonischen Wohlordnung von L garantieren dann, dass wir eine Folge von Sα erhalten, für die die Situation (a) − (c) nicht mehr eintreten kann, weil wir jedes potenzielle Gegenbeispiel (S, C) während der Rekursion beachtet haben.
Im ersten Abschnitt hatten wir bereits gesehen, dass das Karo-Prinzip die Existenz eines Suslin-Baumes nach sich zieht. Damit erhalten wir:
Korollar (Suslin-Hypothese in L)
Es gelte (V = L). Dann existiert ein Suslin-Baum. Insbesondere ist die Suslin-Hypothese in L falsch.
Zur Konstruktion eines Modells, in dem keine Suslin-Bäume existieren und folglich die Suslin-Hypothese erfüllt ist, werden wir die iterierte Erzwingungsmethode verwenden.
Kurepa-Bäume in L
Wir zeigen den folgenden Satz von Solovay:
Satz (Kurepa-Bäume in L)
Es gelte (V = L). Dann existiert ein Kurepa-Baum.
Beweis
Wir arbeiten in ZFC + (V = L), und konstruieren eine Kurepa-Familie F. Für alle α < ω1 sei:
f (α) = „das kleinste γ > α mit Lγ ≼ Lω1“.
Wir setzen:
F = { x ⊆ ω1 | x ∩ α ∈ Lf (α) für alle α < ω1 }.
Wir zeigen, dass F eine Kurepa-Familie ist. Nach Definition gilt
{ x ∩ α | x ∈ F } ⊆ Lf (α) für alle α < ω1.
Also ist { x ∩ α | x ∈ F } abzählbar für alle α < ω1. Es bleibt zu zeigen, dass |F| = ω2.
Annahme nicht. Dann ist |F| = ω1, denn { α } ∈ F für alle α < ω1. Sei also
y = 〈 xν | ν < ω1 〉
die <L-kleinste Aufzählung von F der Länge ω1. Dann ist y ∈ Lω2 und y definierbar in Lω2.
Wir definieren nun eine elementare Kette 〈 Nα | α < ω1 〉 von elementaren Submodellen von Lω2 durch:
N0 | = „das kleinste N ≼ Lω2“ |
Nν + 1 | = „das kleinste N ≼ Lω2 mit Nν ∪ { Nν } ⊆ N“ |
Nλ | = ⋃α < λ Nα |
Für ν < ω1 sei
πν : Lg(ν) → Nν ≼ Lω2
der inverse Mostowski-Kollaps, und es sei
αν = πν−1(ω1) für α < ω1.
Dann ist αν der kritische Punkt von πν, d. h. αν = min({ γ | πν(γ) ≠ γ }). Wir zeigen:
(1) g(ν) < f (αν) für alle ν < ω1
Beweis von (1)
Lg(ν) | ⊨ αν = ω1, | während |
Lf (αν) | ⊨ |αν| = ω, | denn dies gilt in Lω1 und es ist Lf (αν) ≼ Lω1. |
Hieraus folgt g(ν) < f (αν).
(2) πν−1(y) = 〈 xγ ∩ αν | γ < αν 〉 für alle ν < ω1
Beweis von (2)
Es gilt y ∈ Nν und weiter πν(αν) = ω1, ω1 ∩ Nν = αν.
Aus (1) und (2) folgt:
(3) 〈 xν ∩ αν | γ < αν 〉 ∈ Lf (αν) für alle ν < ω1
Weiter zeigen wir:
(4) 〈 αγ | γ < ν 〉 ∈ Lf (αν)
Beweis von (4)
Wir arbeiten in Lf (αν) ≼ Lω1. Wir konstruieren eine elementare Kette 〈 Mγ | γ < ν 〉 durch:
M0 | = „das kleinste N ≼ Lω2“ |
Mγ + 1 | = „das kleinste M ≼ Lg(ν) mit Mγ ∪ { Mγ } ⊆ M“ |
Mλ | = ⋃γ < λ Mγ für λ < ν Limes |
Für ν < ω1 sei
¯πν : L¯g(ν) → Mν ≼ Lg(ν)
der inverse Mostowski-Isomorphismus, und es sei
¯αν = ¯πν− 1(αν) für α < ω1.
Wir arbeiten nun wieder in L. Die Konstruktion liefert eine Folge 〈 ¯αγ | γ < ν 〉 ∈ Lf (αν). Eine einfache Induktion nach γ < ν zeigt, dass
πν−1|Nγ : Nν ≃ Mγ.
Dann gilt aber für alle γ < ν:
αγ = o. t.(Nγ ∩ ω1) = o. t.(Mγ ∩ αν) = ¯αγ
Also 〈 αγ | γ < ν 〉 = 〈 ¯αγ | γ < ν 〉 ∈ Lf (αν).
Wir setzen nun:
x* = { αν | ν < ω1, αν ∉ xν }
Die Menge x* ist also die Diagonalisierung von y = 〈 xν | ν < ω1 〉 bzgl. der Folge 〈 αν | ν < ω1 〉. Es gilt x* ≠ xν für alle ν < ω1. Aber:
(5) x* ∩ α ∈ Lf (α) für alle α < ω1.
Dann ist aber x* ∈ F nach Definition von F, Widerspruch. Es genügt also, (5) zu beweisen.
Beweis von (5)
Sei ν < ω1 maximal mit αν ≤ α. Nach (3) und (4) gilt
x* ∩ αν = { αγ | γ < ν und αγ ∉ xγ ∩ αγ } ∈ Lf (αν).
Dies zeigt (5), falls αν = α. Ist αν < α, so ist (wegen αν ∈ Lf (α))
x* ∩ α = x* ∩ αν ∈ Lf (αν) ⊆ Lf (α) oder x* ∩ α = x* ∩ αν ∪ { αν } ∈ Lf (αν).
Aus unserer Untersuchung kombinatorischer Prinzipien erhalten wir:
Korollar
Es gelte (V = L). Dann gilt die Negation der Transversalen-Hypothese, d. h. es gibt eine Folge 〈 gν | ν < ω2 〉 von Funktionen gν : ω1 → ω mit
{ α < ω1 | gν(α) = gμ(α) } ist dünn für alle ν < μ < ω2.
Folglich ist der club-Filter 𝒞ω1 nicht saturiert (und nicht dicht). Weiter ist die Ulam-Eigenschaft verletzt und jeder Ultrafilter auf ω1 ist regulär.
Kurepa-Bäume in L[ A ]
Obige Konstruktion von Kurepa-Bäumen lässt sich auch in vielen relativierten L-Hierarchien durchführen:
Satz (Kurepa-Bäume in L[ A ])
Sei A ⊆ ω1 derart, dass ω1L[ A ] = ω1, ω2L[ A ] = ω2. Dann gilt:
L[ A ] ⊨ „es existiert ein Kurepa-Baum“.
Damit erhalten wir aber:
Satz (Kurepa-Bäume und Unerreichbarkeit)
Es existiere kein Kurepa-Baum. Dann gilt für κ = ω2:
L ⊨ κ ist unerreichbar.
Beweis
Wir zeigen die Aussage indirekt. Sei also κ nicht unerreichbar in L. Wir zeigen, dass ein Kurepa-Baum in V existiert.
κ ist eine reguläre Kardinalzahl in L, und nach Voraussetzung keine Limeskardinalzahl. Sei also γ < ω2 mit κ = (γ+)L. Dann existiert aber ein A ⊆ ω1 mit ω1L[ A ] = ω1 und ω2L[ A ] = ω2 (!). Nach dem Satz existiert also ein 〈 T, < 〉 ∈ L[ A ] mit
L [ A ] ⊨ „〈 T, < 〉 ist ein Kurepa-Baum“.
Aber wegen ω2 = ω2L [ A ] ist 〈 T, < 〉 ein Kurepa-Baum (auf ω1 = ω1L [ A ]) in V.
Damit können wir aufgrund des zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatzes in ZFC nicht zeigen, dass die Aussage „Es gibt keinen Kurepa-Baum“ relativ konsistent zu ZFC ist. Die Situation ist hier also fundamental verschieden von der Kontinuums- und der Suslin-Hypothese, die wir samt ihren Negationen in ZFC behandeln können. Erst in der verstärkten Theorie ZFC + „Es gibt eine unerreichbare Kardinalzahl“ kann man, mit Hilfe der Erzwingungsmethode, ein Modell von ZFC + „Es gibt keinen Kurepa-Baum“ konstruieren. Insgesamt sind also die Theorien ZFC + „Es gibt eine unerreichbare Kardinalzahl“ und ZFC + „Es gibt keinen Kurepa-Baum“ äquikonsistent.
Verstärkungen des Karo-Prinzips
Die Existenz von Suslin-Bäumen hatten wir aus dem Karo-Prinzip abgeleitet. Auch Jensen zeigte zunächst die Existenz von Suslin-Bäumen aus dem Axiom „V = L“, und isolierte dann das Karo-Prinzip aus diesem Beweis. Es stellt sich die Frage, ob es ein verwandtes kombinatorisches Prinzip gibt, mit dessen Hilfe sich Kurepa-Bäume konstruieren lassen. Dies ist in der Tat der Fall. Wir betrachten hierzu einige Varianten des Karo-Prinzips.
Variante 1 (◇′)
Es gibt eine Folge 〈 𝒮α | α < ω1 〉 mit den Eigenschaften:
(i) | 𝒮α ist eine abzählbare Teilmenge von ℘(α) für alle α < ω1. |
(ii) | Für alle S ⊆ ω1 ist { α ∈ ω1 | S ∩ α ∈ 𝒮α } stationär in ω1. |
Das Prinzip ◇′ ist eine Abschwächung von ◇. Kunen hat aber gezeigt, dass ◇ bereits aus ◇′ folgt. Das Interesse an obiger Formulierung ist darin begründet, dass die Verstärkung von „stationär“ zu „club“ für abzählbare Rate-Mengen 𝒮α nicht mehr ausgeschlossen ist. Wir definieren:
Variante 2 (◇*)
Es gibt eine Folge 〈 𝒮α | α < ω1 〉 mit den Eigenschaften:
(i) | 𝒮α ist eine abzählbare Teilmenge von ℘(α) für alle α < ω1. |
(ii) | Für alle S ⊆ ω1 ist { α ∈ ω1 | S ∩ α ∈ 𝒮α } ∈ 𝒞ω1. |
Das Prinzip ◇* impliziert offenbar ◇′ und damit ◇. Es genügt aber noch nicht, um einen Kurepa-Baum zu konstruieren. Hierzu brauchen wir eine weitere Verstärkung:
Variante 3 (◇+)
Es gibt eine Folge 〈 𝒮α | α < ω1 〉 mit den Eigenschaften:
(i) | 𝒮α ist eine abzählbare Teilmenge von ℘(α) für alle α < ω1. |
(ii) | Für alle S ⊆ ω1 existiert eine club-Menge C ⊆ ω1 mit: S ∩ α, C ∩ α ∈ 𝒮α für alle α ∈ C. |
Hier raten wir also nicht nur die Anfangsstücke einer Menge club-oft richtig, sondern wir raten auch noch club-oft, wo wir richtig geraten haben. Für dieses Prinzip gelten nun die folgenden Sätze von Jensen, die wir ohne Beweis angeben (siehe e z. B. [ Devlin 1984 ] für Beweise.)
Satz
Es gelte (V = L). Dann gilt ◇+.
Satz
Es gelte ◇+. Dann existiert ein Kurepa-Baum.
Das starke Karo-Prinzip ◇+ ist also in L richtig, und unabhängig von (V = L) erlaubt es die Konstruktion eines Kurepa-Baumes.
Kanonische Funktionen in L
Wir zeigen schließlich noch, dass in L die kanonischen Funktionen die schwache Dominierungseigenschaft nicht besitzen. Damit haben wir dann alle kombinatorischen Fragen über ω1, die wir im ersten Abschnitt untersucht hatten, in L beantwortet. Das Argument geht auf Ketonen zurück.
Satz (Verletzung der schwachen Dominierungseigenschaft in L)
Es gelte (V = L). Dann ist die schwache Dominierungseigenschaft der kanonischen Funktionen auf ω1 verletzt.
Beweis
Sei D ⊆ ω2 − ω1 eine club-Menge in ω2 mit Lν ≼ Lω2 für alle ν ∈ D.
Für ν ∈ D sei gν : ω1 → ν surjektiv, und es sei 〈 Xνα | α < ω1 〉 eine stetige und ⊆-aufsteigende Folge von abzählbaren elementaren Submodellen von Lν mit der Eigenschaft gν″α ⊆ Xνα für alle α < ω1. Für alle ν ∈ D sei schließlich
Cν = { α < ω1 | Xνα ∩ ω1 = α }.
Dann ist Cν club in ω1 (da ν ≥ ω1 für alle ν ∈ D). Für alle ν ∈ D sei
Weiter sei σνα : Lhν(α) → Xνα der inverse Mostowski-Kollaps. (Das Kondensationslemma gilt für Lν, da jedes Lν ≼ Lω2 ein Modell von ZF* ist.)
Die Folge der abzählbaren Mengen Xνα ∩ On, α < ω1, ist für jedes ν ∈ D ⊆-aufsteigend, stetig, und hat die Vereinigung ν. Nach dem Satz über die direkte Definition der kanonischen Funktionen ist hν : ω1 → ω1 die modulo club eindeutig bestimmte ν-te kanonische Funktion für alle ν ∈ D.
Es gilt σνα|α = Id|α und σνα(α) = ω1 für alle ν ∈ D, α ∈ Cν. Insbesondere gilt:
(+) Lhν(α) ⊨ „α ist überabzählbar“ für alle ν ∈ D und alle α ∈ Cν.
Für alle α < ω1 sei nun
f (α) = „das kleinste γ < ω1 mit Lγ ⊨ ‚α ist abzählbar‘“.
Nach (+) gilt dann hν(α) < f (α) für alle ν ∈ D und alle α ∈ Cν, da sonst Lf (α) ⊆ Lhν(α) und damit α auch in Lhν(α) abzählbar wäre. Also dominiert die Funktion f jede der Funktionen hν, ν ∈ D, auf einer club-Menge. Aber D ist unbeschränkt in ω2, und damit dominiert f jede kanonische Funktion auf einer club-Menge.
Die im ersten Abschnitt aufgestellte Implikationstafel wäre in L also in gestürzter Form zu notieren, mit negierten Prinzipien. Die stärksten Aussagen in einem derartigen Diagramm sind dann die Existenz eines Kurepa-Baumes und die Existenz einer Funktion f : ω1 → ω1 mit ∥f∥𝒞 = ω2, die zur Negation der schwachen Dominierungseigenschaft der kanonischen Funktionen äquivalent ist. (Obiger Beweis gibt eine solche Funktion f konkret an.)
Die Stärke von „V = L“
Bereits unsere elementare Untersuchung von L hinterlässt einen Eindruck, den weitere Ausleuchtungen des Modells nur bestätigen: Im konstruktiblen Universum können wir unsere Fragen beantworten. Wir haben das Kontinuums- und das Suslin-Problem gelöst, und bei der Lösung des Suslin-Problems wurde mit dem Karo-Prinzip ein neues kombinatorisches Prinzip gefunden. Weiter haben wir die kombinatorischen Fragen, die die erste überabzählbare Kardinalzahl und speziell ihr club-Filter aufwirft, beantwortet. Und nicht zuletzt löste sich in L auch die ganze Diskussion um das Auswahlaxiom in Wohlgefallen auf. Die Theorie ZF + (V = L) ist ein Meisterstück der axiomatischen Kunst.
Hat die Mengenlehre gefunden, was sie gesucht hat? Warum ist ZF + (V = L) nicht zum goldenen Fundament der Mathematik erklärt worden? Die gängige vage Antwort auf diese Frage ist, dass das Axiom „V = L“ als restriktiv empfunden wird. Die Präzisierung dieses Eindrucks führt dann schnell in die Debatte um die großen Kardinalzahlen. In L können unerreichbare und Mahlo-Kardinalzahlen existieren, und auch noch schwach kompakte Kardinalzahlen. Danach beginnen die großen Kardinalzahlprinzipien dem strengen konstruktiblen Ansatz zu widerstreiten. Wir werden bei der Diskussion der Ultrapotenzen zeigen, dass es in L keine messbaren Kardinalzahlen geben kann. (Stärker gilt dies bereits für die Ramsey-Kardinalzahlen, die wir bei der Untersuchung der Partitionen kennen gelernt hatten.) Die Theorie der messbaren Kardinalzahlen ist reich an mathematischer Struktur, und L kann, so wird argumentiert, diese Struktur nicht richtig widerspiegeln, weil es in L keine transitiven Modelle von ZFC + „Es gibt eine messbare Kardinalzahl“ geben kann. Man müsste also auf die Transitivität verzichten. Das Model L verteidigend könnte man hinzufügen: Nun, warum nicht?
Welche von zwei Theorien als die reichere gelten darf, ist eine schwierige und oft auch unsinnige Frage. Anhänger von V = L und großen Kardinalzahlaxiomen können sich gegenseitig vorwerfen, Objekte in ihrem Universum vorzufinden, die ihr Gegenüber nicht hat. Die Theorie ZFC + (V = L) glänzt in jedem Falle mit Klarheit und Vollständigkeit. Sie gibt auf weitaus mehr Fragen Antworten als die Erweiterungen von ZFC um große Kardinalzahlaxiome.