2.Die Definition einer Primzahl

Zusammengesetzte Zahlen und Primzahlen hatten wir so erklärt:

Definition (zusammengesetzte Zahl, Primzahl, I)

Eine natürliche Zahl n ≥ 2 heißt eine zusammengesetzte Zahl, falls es natürliche Zahlen m, k ≥ 2 gibt mit n = m · k. Andernfalls heißt n eine Primzahl oder kurz prim.

 Diese Definition führt zwei neue Begriffe ein: zusammengesetzte Zahl und Primzahl. Die Definition betrifft natürliche Zahlen größergleich 2. Jede der Zahlen

2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, …

ist entweder zusammengesetzt oder eine Primzahl. Da in der Definition nur natürliche Zahlen größergleich 2 betrachtet werden, ist zum Beispiel die rationale Zahl 5/2 weder zusammengesetzt noch prim. Ebenso ist die Zahl 1 nach unserer Definition weder zusammengesetzt noch prim. Die Gründe, die Zahl 1 nicht als Primzahl anzusehen und die Frage, ob wir es nicht doch tun könnten, diskutieren wir in einem späteren Essay.

 Mathematische Definitionen sind in ihrem Ergebnis eindeutig, aber nicht in ihrer Formulierung. Es gibt zahlreiche sprachliche und inhaltliche Varianten, Primzahlen zu definieren. Wir diskutieren im Folgenden einige davon. Der Leser achte auf alle Details, die Unterschiede in der Formulierung sind oft sehr gering. Alle Definitionen sind äquivalent: sie liefern übereinstimmende Begriffe.

Definition (zusammengesetzte Zahl, Primzahl, II)

Sei n eine natürliche Zahl mit n ≥ 2. Dann heißt n eine zusammengesetzte Zahl, falls es natürliche Zahlen m, k ≥ 2 gibt mit n = m · k. Andernfalls heißt n eine Primzahl oder kurz prim.

 Diese Form enthält das für die Mathematik typische Schlüsselwort „sei“. Im Englischen würde man „let“ verwenden, etwa „Let n ≥ 2 be a natural number.“ Mit diesem Schlüsselwort werden vor der eigentlichen Begriffsdefinition die Objekte eingeführt, um die es geht. In unserem Fall geht es um eine natürliche Zahl größergleich 2, die n genannt wird. Diese Zahl ist samt ihrer Bezeichnung für den Rest der Definition fest und die Bezeichnung n steht nicht mehr für andere Objekte zur Verfügung. In unserem Fall ist ein Beginn mit „sei“ verzichtbar, da nur ein Objekt betrachtet wird und die Definition relativ kurz ist. Sobald eine Definition komplizierter wird, ist es aus Gründen der Lesbarkeit oft günstig, sie mit einem ganzen Satz der Form „Sei …“ oder „Seien …“ zu beginnen, der die beteiligten Objekte versammelt und benennt. Dadurch werden die Voraussetzungen klar sichtbar, unter denen der neue Begriff eingeführt wird. Danach geht es mit einem neuen ganzen Satz weiter: „Dann heißt …“ oder „Dann nennen wir…“. Dieses „dann“ bedeutet: „in dieser Situation“, „unter diesen Voraussetzungen“.

 Von den Zahlen m und k, mit denen wir eine Zahl n in der Definition multiplikativ zusammensetzen, fordern wir, dass sie größergleich 2 sind. Dadurch werden die Zerlegungen

n  =  n · 1  =  1 · n

ausgeschlossen. Dieses Ausschließen ist auch durch folgende Variante möglich:

Definition (zusammengesetzte Zahl, Primzahl, III)

Sei n eine natürliche Zahl mit n ≥ 2. Dann heißt n eine zusammengesetzte Zahl, falls es natürliche Zahlen m, k < n gibt mit n = m · k. Andernfalls heißt n eine Primzahl oder kurz prim.

 Natürlich können wir auch zuerst Primzahl und dann zusammengesetzte Zahl definieren:

Definition (Primzahl, zusammengesetzte Zahl, IV)

Sei n eine natürliche Zahl mit n ≥ 2. Dann heißt n eine Primzahl, falls es keine natürliche Zahlen m, k < n gibt mit n = m · k. Andernfalls heißt n eine zusammengesetzte Zahl.

 Eine weitere Möglichkeit ist:

Definition (Primzahl, zusammengesetzte Zahl, V)

Sei n eine natürliche Zahl mit n ≥ 2. Dann heißt n eine Primzahl, falls es keinen Teiler d von n gibt mit 1 < d < n. Andernfalls heißt n eine zusammengesetzte Zahl.

 Diese Definition setzt voraus, dass der Leser mit dem Begriff eines Teilers einer natürlichen Zahl vertraut ist. Wer nicht weiß, was ein Teiler ist, muss sich zuerst diesen Begriff aneignen, bevor er weiterlesen kann. In einem Lehrbuch bedeutet dies in der Regel, dass der Leser zurückblättern muss. Wird er nicht fündig, so muss er selbstständig oder mit Hilfe eines Literaturverzeichnisses eine andere Quelle aufsuchen, die den Begriff behandelt. Er wird dann vielleicht folgende Definition finden:

Definition (Teiler, Vielfaches)

Seien d und n natürliche Zahlen. Dann heißt d heißt ein Teiler von n, wenn es eine natürliche Zahl k gibt mit k · d = n. In Zeichen schreiben wir d|n [ gelesen: d teilt n ]. Ist d ein Teiler von n, so heißt n ein Vielfaches von d.

 Der Buchstabe „d“ steht hier für „Divisor“. Mathematische Zeichen werden wenn möglich passend und suggestiv gewählt. Dabei spielen sowohl lateinische Traditionen als auch Internationalität eine Rolle. Nicht zufällig ist „n“ das bevorzugte Zeichen für eine natürliche Zahl (engl. natural number, franz. entier naturel, ital. numero naturale) und „p“ das bevorzugte Zeichen für eine Primzahl (prime number, nombre premier, numero primo). Prinzipiell ist die Zeichenwahl beliebig, aber es gehört zum guten Benehmen, die üblichen Zeichen zu verwenden. Ob man „m“ oder „d“ in der Definition eines Teilers verwendet, ist egal. Wer aber „o“ statt „d“ wählt, wirkt befremdlich. In vielen Texten zur Zahlentheorie wird „p“ sogar für Primzahlen reserviert: „Für alle p gilt…“ heißt dann automatisch „Für alle Primzahlen p gilt…“ und „Es gibt ein p mit…“ heißt „Es gibt eine Primzahl mit…“ Auch wir werden dieser p-Konvention folgen, wenn es nicht aus dem Kontext anders hervorgeht.

 Mit Hilfe von Teilern können wir Primzahlen auch so einführen:

Definition (Primzahl, zusammengesetzte Zahl, VI)

Sei n ≥ 2 eine natürliche Zahl. Dann heißt n eine Primzahl, falls es genau zwei verschiedene natürliche Zahlen gibt, die Teiler von n sind. Andernfalls heißt n eine zusammengesetzte Zahl.

 Diese Definition nutzt, dass für jede natürliche Zahl n die Zahlen 1 und n Teiler von n sind (da n = n · 1 = 1 · n). Gibt es außer diesen sogenannten trivialen Teilern keine weiteren Teiler, so ist n eine Primzahl.

 Welche Definition ist die Beste? Letztendlich sind es Fragen des Geschmacks, des Stils, des vorausgesetzten Vorwissens und des angestrebten Niveaus, welche Definition gewählt und wie sie innerhalb der Freiheiten und Grenzen der Fachsprache notiert wird. Dabei gilt:

Mathematiker definieren, um zu beweisen.

Hieraus ergibt sich, dass Definitionen bevorzugt werden, die in Beweisen leicht zu handhaben sind. Die Definition über „genau zwei Teiler“ ist in dieser Hinsicht weniger erfolgreich, weswegen sie seltener zu finden ist. Unabhängig davon kann an eine Definition immer ein Satz über äquivalente Versionen angefügt werden. In weiteren Beweisen stehen dann verschiedene Formulierungen zur Verfügung, und je nach Kontext und Anwendung kann eine davon passender erscheinen als eine andere.