1.Warum plus 1?

In unserem Beweis des Satzes von Euklid stehen die Zahlen der Form

a  =  p1 · … · pn  +  1.

mit beliebigen Primzahlen p1, …, pn im Mittelpunkt. Wir fragen:

Können wir auch −1 statt +1 verwenden?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den Beweis Schritt für Schritt durchgehen, wobei wir nun

a  =  p1 · … · pn  −  1

setzen. Die Zahl a besitzt bei der Division durch p1 den Rest p1 − 1 ≠ 0, bei der Division durch p2 den Rest p2 − 1 ≠ 0 usw. Daher ist a nicht durch p1, …, pn teilbar. Jetzt betrachten wir wieder einen Primteiler von a, und genau hier taucht ein kleines Problem auf: Im Sonderfall n = 1 und p1 = 2 gilt

a  =  p1  −  1  =  2  −  1  =  1.

Die Zahl 1 besitzt im Gegensatz zu allen natürlichen Zahlen größergleich 2 gar keinen Primteiler. Dieser Sonderfall ist eher lästig als interessant, aber er ist nicht ausgeschlossen. Er ist eine Falle, in die wir hineintappen können, wenn wir nicht sorgfältig argumentieren. Ist a > 1, so bleibt das Argument gültig: Jeder Primteiler von a ist von allen Primzahlen p1, …, pn verschieden.

 Allgemein erhalten wir:

Lemma (Minus-Eins-Lemma)

Seien a1, …, an ≥ 2 natürliche Zahlen, und sei a = a1 · … · an − 1. Dann ist die Zahl a durch keine der Zahlen a1, …, an teilbar.

Korollar (Unendlichkeit der Primzahlen)

Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Beweis

Sei n ≥ 2, und seien p1, …, pn Primzahlen. Sei a = p1 · … · pn − 1. Wegen n ≥ 2 ist a > 1, und nach dem üblichen Argument ist jeder Primteiler von a von p1, …, pn verschieden. Hieraus folgt die Behauptung.

 Für dieses Argument müssen wir gar nicht wissen, dass es mindestens zwei Primzahlen (etwa 2 und 3) gibt. Die Forderung n ≥ 2 kann durch p1 = p2 = 2 erreicht werden. Die Argumentation verwendet an keiner Stelle, dass die betrachteten Primzahlen paarweise verschieden sind.

 Der Ansatz, 1 vom Produkt der Primzahlen p1, …, pn abzuziehen führt also ebenfalls ans Ziel. Er erzeugt aber Reste p1 − 1, …, pn − 1, die von p1, …, pn abhängen, während sich bei Addition von 1 stets der gleiche Rest 1 ergibt. Zweitens muss der Sonderfall n = 1 und p1 = 2 beachtet werden. Der erste Nachteil lässt sich umgehen, indem wir ganzzahlig denken und −1 als Rest zulassen. Insgesamt erscheint das Argument aber etwas weniger glatt als das erste, und das ist wohl der Grund, warum sich der +1-Ansatz als Standard durchgesetzt hat. Dennoch ist es sehr wichtig und wertvoll, solche Fragen zu stellen. Sie beleuchten den Beweis und können zu neuen Einsichten führen. Oft zeigen sie, warum etwas so gemacht wird und nicht anders. Derartige Überlegungen trainieren unsere geistige Flexibilität. Und in einem anderen Argument kann es, wie wir sehen werden, besser sein, die Zahl 1 abzuziehen als zu addieren!

 Wir fragen weiter:

Was passiert, wenn wir 2 statt 1 addieren?

Wir betrachten also

a  =  p1 · … · pn  +  2.

Zwei Fälle sind möglich:

1. Fall: Die Zahl 2 ist in der Folge p1, …, pn erhalten.

Dann ist das Produkt m = p1 · … · pn gerade und folglich ist auch a gerade, da a = m + 2. Also ist 2 ein Primteiler von a. Ist beispielsweise p1 = 2, so gilt

a  =  2 · p2 · … · pn  +  2  =  2( p2 · … · pn + 1).

Damit ist nicht jeder Primteiler von a von p1, …, pn verschieden. Im Fall

n  =  2,  p1  =  2,  p2  =  3

ist a = 2 · 3 + 2 = 8 = 2 · 2 · 2, sodass a keinen von p1, p2 verschiedenen Primteiler besitzt. Es ist also möglich, dass wir durch die Addition von 2 keine von p1, …, pn verschiedene Primzahl finden!

2. Fall:  Die Zahl 2 ist nicht in der Folge p1, …, pn enthalten.

Dann ist a durch keine der Primzahlen p1, …, pn teilbar, denn a besitzt den Rest 2 bei Division durch p1, …, pn. Damit ist erneut jeder Primteiler p von a von p1, …, pn verschieden.

 Wir können als allgemeines Ergebnis festhalten:

Lemma (Plus-r-Lemma)

Seien a1 ≤ a2 ≤ … ≤ an natürliche Zahlen mit a1 ≥ 2, und sei r eine natürliche Zahl mit 1 ≤ r < a1. Weiter sei a = a1 · … · an + r. Dann ist die Zahl a durch keine der Zahlen a1, …, an teilbar.

 Der Buchstabe „r“ steht hier für „Rest“: Die Zahl a hat bei der Division durch a1 den Rest r, und das gleiche gilt für a2, …, an.

 Zur Illustration betrachten wir einige Beispiele.

Beispiele

Seien p1 = 5, p2 = 7, p3 = 11. Es gilt 5 · 7 · 11 = 385. Wir erhalten

5 · 7 · 11  +  1  =  386  =  2 · 1935 · 7 · 11  +  2  =  387  =  3 · 3 · 43
5 · 7 · 11  +  3  =  388  =  2 · 2 · 975 · 7 · 11  +  4  =  389

Jeder Primfaktor der vier Zahlen ist, wie es sein muss, von den Primzahlen 5, 7 und 11 verschieden. Nur eine der vier Zahlen, nämlich 389, ist selbst prim. Weiter gilt

5 · 7 · 11  +  10  =  395  =  5 · 79.

Dies zeigt, dass wir anstelle der Bedingung „1 ≤ r < a1“ nicht lediglich fordern können, dass r von allen a1, …, an verschieden ist.