2. Die Riemannsche Zeta-Funktion
Unsere Überlegungen für die harmonische Reihe aus dem vorangehenden Essay lassen sich in analoger Weise für die Reihe
∑n ≥ 1 1n2
der reziproken Quadratzahlen durchführen. Wir erhalten so einen neuen Beweis für die Konvergenz dieser Reihe. Anstelle der Funktion 1/⌊x⌋ verwenden wir nun die Funktion 1/⌊x⌋2 für x ≥ 1.
Unser Verschiebungsargument zeigt erneut, dass die Summe der Flächeninhalte von A1, A2, …, An endlich ist und genauer echte durch 1 beschränkt ist (sie passen alle in das Quadrat [ 1, 2 ] × [ 0, 1 ] mit positivem Rest). Im Gegensatz zu 1/x ist die Fläche unter der Funktion 1/x2 nun endlich. Denn es gilt
∫n1 1x2 dx = = 1 − 1n.
Damit ergibt sich, dass die Reihe ∑n ≥ 1 1/n2 konvergent ist mit
∑n ≥ 1 1n2 < 1 + limn → ∞(1 − 1/n) = 1 + 1 = 2
Der exakte Wert der Reihe ist, wie Euler gezeigt hat, π2/6 = 1.64493… Die Summe der blauen Flächen des Diagramms ist also π2/6 − 1 = 0,64… Dieser Wert entspricht der Konstanten γ = 0,57… für die harmonische Reihe.
Analog zeigt das Argument, dass die unendliche Reihe
∑n ≥ 1 1ns
für jede reelle Zahl s > 1 konvergiert. Denn ist s > 1, so gilt
∫n1 1xs dx = ∫n1 x−s dx = = 11 − s(n1 − s − 1)
mit
limn → ∞ 11 − s(n1 − s − 1) = 1s − 1 < ∞.
Damit ist die Reihe ∑n ≥ 1 1/ns konvergent mit
rs < ∑n ≥ 1 1ns < 1 + rs, wobei rs = 1s − 1.
Es gilt lims→1, s > 1 rs = ∞. Der Exponent s = 1 entspricht der Divergenz der harmonischen Reihe.
Wir definieren:
Definition (Riemannsche Zeta-Funktion)
Wir definieren die reelle Riemannsche Zeta-Funktion ζ : ] 1, ∞ [ → ℝ durch
ζ(s) = ∑n ≥ 1 1ns für alle s > 1.
Traditionell wird für die Stellen der Zeta-Funktion der Buchstabe s verwendet.
Für alle s > 1 sind alle Summanden von ∑n ≥ 1 1/ns positiv und der erste Summand 1/ns ist gleich 1. Damit zeigen unsere Überlegungen:
Satz (Abschätzung der Zeta-Funktion)
Für alle s > 1 gilt
max(rs, 1) < ∑n ≥ 1 1ns < 1 + rs, wobei rs = 1s − 1.
Inbesondere gilt lims → 1 ζ(s) = ∞ und lims → ∞ ζ(s) = 1.
Die Zeta-Funktion auf ] 1, ∞ [ mit den Abschätzungen 1/(s−1) und 1 + 1/(s−1)
Der Zusammenhang zwischen dem Euler-Produkt und der Divergenz der harmonischen Reihe können wir nun erweitern:
Satz (Zeta-Funktion als Euler-Produkt)
Für alle s > 1 gilt
ζ(s) = ∏p prim 11 − 1/ps.
Beweis
Sei s > 1. Wir argumentieren wie im Beweis der Unendlichkeit der Primzahlen von Euler, wobei wir nun verwenden, dass
11 − 1/ps = ∑n ≥ 0 (1ps)n = ∑n ≥ 0 1psn für alle Primzahlen p.
Das distributive Ausmultiplizieren von endlich vielen geometrischen Reihen auf der rechten Seite für Primzahlen p1 < … < pk erzeugt genau die Summanden 1/ns der Zeta-Funktion, deren Nenner-Basis n durch p1, …, pk darstellbar ist. Durch einen Grenzübergang ergibt sich die Behauptung.
Der Polstelle der Zeta-Funktion entspricht die Unendlichkeit des Euler-Produkts für s = 1 und damit die Unendlichkeit der Primzahlen.