6.Die Psi-Funktion von Chebychev

Bei der Diskussion des Satzes von Legendre hatten wir bereits die von Mangoldt und die Psi-Funktion eingeführt. Diese Funktionen untersuchen wir nun genauer. Zur Erinnerung:

Definition (Lambda-Funktion und Psi-Funktion)

Die von Mangoldt-Funktion Λ :   und die Chebychev-Funktion ψ : [ 1, ∞ [   sind wie folgt definiert:

Ist p prim und k ≥ 1, so setzen wir

Λ(pk)  =  log(p).

Für alle anderen n ≥ 0 setzen wir Λ(n) = 0. Damit definieren wir nun

ψ(x)  =  n ≤ x Λ(n)  für alle x ≥ 1.

prim1-AbbID-mangoldt_lambda_a

Verlauf der Λ-Funktion bis x = 64 (blaue Punkte), zusammen mit konstanten Funktionen log(p), p prim

 Diagramme der ψ-Funktion zeigen einen quasilinearen Verlauf:

prim1-AbbID-chebychev-psi_c

Die Funktion ψ (blau) sowie die Identität (gelb) bis x = 1000

Es scheint beinahe so, als ob die Identität die ψ-Funktion anziehen würde. Dies wird noch deutlicher, wenn wir die Differenzfunktion betrachten:

prim1-AbbID-chebychev-psi_d

Die Werte ψ(x) − x bis x = 1000

 Im Abschnitt über den Primzahlsatz werden wir auf diese Phänomene zurückkommen und sie mit elementaren Methoden plausibel machen können.

Eigenschaften der von Mangoldt-Funktion

 Die von Mangoldt-Funktion hat genau für die Primzahlpotenzen positive Werte. Sie ignoriert den Exponenten und liefert log(p). Hieraus ergibt sich die folgende grundlegende Eigenschaft:

Satz (erste Summenformel für Λ)

Sei n ≥ 1. Dann gilt

(a)

log(n)  =  d|n Λ(d),

(b)

Λ(n)  =  d|n μ(n/d) log(d).

Mit anderen Worten:

log  =  1 ∗ Λ,  Λ  =  μ ∗ log.

Beweis

Ist p prim und d ein Teiler von n, so gilt Λ(d) = log(p) genau dann, wenn d eine der Primzahlpotenzen p, p2, …, pexp(n) ist. Damit sind genau exp(n) viele Summanden von d|n Λ(d) gleich log(p). Anwendung der Logarithmusregeln liefert (a). Aus der Umkehrformel von Möbius erhalten wir (b). Der Zusatz ergibt sich aus der Definition der Dirichlet-Faltung.

 Überraschend ist, dass wir in der Aussage (b) des Satzes μ(n/d) durch μ(d) ersetzen können − abgesehen von einem Vorzeichen:

Satz (zweite Summenformel für Λ)

Sei n ≥ 1. Dann gilt

(a)

μ(n) log(n)  =  − d|n μ(n/d) Λ(n),

(b)

Λ(n)  =  − d|n μ(d) log(d).

Mit anderen Worten:

− μ · log  =  μ ∗ Λ,  − Λ  =  1 ∗ (μ · log).

Beweis

Wir zeigen (b); die Aussage (a) ergibt sich aus (b) durch Anwendung der Umkehrformel auf die Funktion − μ · log. Sei also n ≥ 1. Nach dem vorangehenden Satz gilt

Λ(n) =  d|n μ(n/d) log(d)  =  d|n μ(d) log(n/d)
=  d|n μ(d)(log(n) − log(d))
=  log(n) d|n μ(d)  −  d|n μ(n) log(d)
=  − d|n μ(n) log(d)

Dabei verwenden wir im letzten Schritt den Satz über die Teilersumme von μ sowie log(1) = 0 im Fall n = 1.

 Etwas länger, aber direkter und kombinatorisch lehrreich ist:

Zweiter Beweis

Wir zeigen wieder (b). Die Aussage ist klar für n = 1. Sei also n ≥ 2, und sei n* = p1 … pk das Produkt der Primteiler p1 < … < pk von n. Dann gilt

d | n μ(d) log(d)  =  d|n* μ(d) log(d).

Ist k = 1, so ist n* = p1 und

d|n* μ(d) log(d)  =  μ(1) log(1) + μ(p1) log(p1)  =  − log(p1)  =  − Λ(n).

Sei also k ≥ 2. Sei A = { p1, …, pk } und sei p  ∈  A. Dann gilt:

(+)  |{ B ⊆ A | p  ∈  B, |B| gerade }|  =  |{ B ⊆ A | p  ∈  B, |B| ungerade }|.

Zum Beweis von (+) sei p*  ∈  A − { p }. Ist B ⊆ A − { p* } mit p  ∈  B, so hat B ∪ { p* } eine andere Parität als B. Hieraus folgt (+) (alternativ durch Induktion). Nach den Logarithmusregeln und (+) gilt nun

d|n* μ(d) log(d)  =  d|n* p|d μ(d) log(p)  =  p|n* 0  =  0  =  − Λ(n).

Denn die Teiler von n* entsprechen den Teilmengen von A, und für jedes p  ∈  A erscheint der Term log(p) nach (+) genauso oft mit einem positiven wie mit einem negativen Vorzeichen in der Doppelsumme.

 Kombinieren wir die Aussagen der beiden Sätze, so erhalten wir:

Korollar

Sei n ≥ 1. Dann gilt

d|n (μ(d) + μ(n/d)) log(d)  =  0.

Beispiele

Sei n = 26 = 64. Die Teiler von n sind 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64. Es gilt

d|n μ(d) log(d)  =  − log(2),

d|n μ(n/d) log(d)  =  − log(32) + log(64)  = (−5 + 6) log(2)  =  log(2)

Für n = 80 = 24 · 5 mit den Teilern 1, 2, 4, 5, 8, 10, 16, 20, 40, 80 gilt

d|n μ(d) log(d)  =  − log(2) − log(5) + log(10)

d|n μ(n/d) log(d)  =  log(8) − log(16) − log(40) + log(80)

Eigenschaften der Psi-Funktion

 Ein einfaches, aber bemerkenswertes Ergebnis über die ψ-Funktion ist:

Satz (kgV-Eigenschaft von ψ)

Sei x ≥ 1, und sei v = kgV({ 1, …, ⌊x⌋ }). Dann gilt ψ(x) = log(v).

Beweis

Sei p prim. Dann ist exp(v) das Maximum der p-Exponenten aller n ≤ x und damit das größte e ≥ 0 mit pe ≤ x. In

ψ(x)  =  n ≤ x Λ(n)

taucht der Summand log(p) genau e oft auf (an den Stellen p, p2, …, pe). Hieraus folgt die Behauptung.

 Aus der Definition von ψ und dem Additionstheorem der Exponentialfunktion folgt, dass eψ(x) ein Produkt von Primzahlen ist. Der Satz identifiziert dieses Produkt: De Zahl eψ(x) ist das kleinste gemeinsame Vielfache der natürlichen Zahlen bis einschließlich x.

 Im Essay über den Satz von Legendre hatten wir bereits gezeigt:

Satz (Chebychev-Identität)

Sei x ≥ 1. Dann gilt:

n ≤ x ψ(x/n)  =  log(⌊x⌋!)  =  n ≤ x log(n).

Bemerkung

Die Chebychev-Identität können wir mit Hilfe der Delta-Operation wie folgt schreiben:

1 Δ ψ  =  logfac,

wobei logfac(x) = log(⌊x⌋!) für alle x ≥ 1. Umkehrung liefert

ψ  =  μ Δ logfac.

 Wir geben noch einen direkteren Beweis für dieses wichtige Ergebnis (der aber im Wesentlichen die Legendre-Argumentation wiederholt):

Zweiter Beweis der Chebychev-Identität

Es gilt

n ≤ x ψ(x/n) =  n ≤ x d ≤ x/n Λ(d)
=  d ≤ x ⌊x/d⌋ Λ(d)
=  n ≤ x d|n Λ(d)
=  n ≤ x log(n).

Die erste Identität gilt nach Definition von ψ. Für die zweite Identität zählen wir für jedes d, wie oft der Summand Λ(d) in der Summe auftaucht. Da d ≤ x/n äquivalent zu n ≤ x/d ist, ist diese Anzahl gleich ⌊x/d⌋. Die dritte Identität ergibt sich aus der spalten- bzw. zeilenweisen Summation der Funktion f mit f(d, n) = Λ(d) für alle (d, n) mit d|n (vgl. die Teilbarkeitsdiagramme). Für die letzte Identität verwenden wir den Satz über die Teilersumme von Λ.

 Aus der Untersuchung des Sprungverhaltens der beteiligten Funktionen ergibt sich ein induktives Argument:

Dritter Beweis der Chebychev-Identität

Seien f (x) = n ≤ x ψ(x/n), g(x) = n ≤ x log(n) für x ≥ 1. Wir zeigen durch Induktion, dass f (m) = g(m) für alle natürlichen Zahlen m ≥ 1 gilt. Dies genügt, da beide Funktionen nur für natürliche Zahlen springen. Zunächst gilt f (1) = 1 = g(1). Im Induktionsschritt von m − 1 nach m nehmen wir an, dass f (m − 1) = g(m − 1). An der Stelle m springt die Funktion g um log(m). Die Funktion f springt um d|m Λ(d), denn die ganzzahligen Glieder der Folge m, m/2, m/3, … sind genau die Teiler von m. Aus d|m Λ(d) = log(m) und der Induktionsvoraussetzung folgt, dass f (n) = g(n).